Anfang des Jahres verabschiedete das irakische Parlament eine Resolution, in der alle ausländischen Truppen aufgefordert werden, das Land zu verlassen. US-Präsident Trump, die NATO und die Bundesregierung weigern sich kategorisch, dem nachzukommen. Diese Weigerung verdeutlicht einmal mehr die imperialen Ambitionen des Westens und die Verachtung jeglicher demokratischer Prozesse in den besetzten Ländern.
Żaklin Nastić über die westliche Ignoranz gegenüber einer demokratisch beschlossenen Resolution des irakischen Parlaments, in der der Abzug aller ausländischen Truppen gefordert wird.
Es ist ein Paradebeispiel für die Missachtung von Demokratie durch die Nato-Mitgliedstaaten:
Am 5. Januar 2020 verabschiedete das irakische Parlament eine Resolution. Die Abgeordneten forderten darin den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus dem Land. Auch die irakischen Hoheitsgewässer und der irakische Luftraum dürften fortan nicht mehr genutzt werden, befanden die Parlamentarier. Die irakische Regierung solle ihr Hilfsgesuch an die US-geführte und 2014 gegründete „Internationale Koalition gegen den Islamischen Staat“ zurücknehmen.
Die Begründung: Die US-Armee habe die irakische Souveränität sowie die irakisch-US-amerikanische Vereinbarung, die der Stationierung von US-Soldaten im „Zweistromland“ zugrunde liegt, verletzt, als sie am 3. Januar 2020 mit einer Drohne den iranischen General Qassem Soleimani, den stellvertretenden Vorsitzenden der irakischen Volksmobilisierungskräfte Abu Mahdi al-Muhandis und weitere Personen tötete. Die irakische Regierung war über den völkerrechtswidrigen Angriff auf ihrem Hoheitsgebiet anders als über den iranischen Vergeltungsschlag auf US-Militärstützpunkte in dem Land wenige Tage später nicht informiert worden. Qassem Soleimani sei zudem auf einer diplomatischen Vermittlungsmission zwischen der saudischen Regierung und Teheran gewesen, bei der die irakische Regierung eine Mittlerposition innehabe, so der geschäftsführende irakische Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi, der in der entsprechenden Parlamentssitzung den Resolutionsentwurf selbst eingebracht hatte. Auch die US-Administration sei darüber informiert gewesen und habe sich sogar bei ihm bedankt.
Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags haben Resolutionen des irakischen Parlaments zwar „nach innerstaatlichem Verfassungsrecht keine Gesetzeskraft und sind für die Regierung nicht bindend“. Käme die Aufforderung aber vom irakischen Präsidenten, der einen eindeutigen Parlamentsbeschluss eigentlich seinerseits nicht ignorieren dürfte, müssten die entsendenden Staaten dieser allerdings Folge leisten, denn die völkerrechtliche Grundlage für die Truppenstationierung sei dann nicht mehr gegeben. Sofern nicht etwa eine Resolution des UN-Sicherheitsrates an ihre Stelle träte, stelle eine Verweigerung des Abzugs eine Völkerrechtsverletzung dar, urteilt der Wissenschaftliche Dienst unmissverständlich.
US-Präsident Donald Trump aber sah dies ganz anders: Die Truppen würden keinesfalls abgezogen, erklärte er umgehend und ganz in Besatzer-Manier. Solle es doch zu einem Abzug kommen, müsse die irakische Regierung sämtliche Kosten für von den USA errichteten Militärstützpunkte „zurückzahlen“, darunter ein moderner Luftwaffenstützpunkt in Milliardenhöhe. Im Klartext: die irakische Bevölkerung, die bis heute unter den Folgen des Krieges von 2003, in dem die Infrastruktur des Landes nachhaltig zerstört wurde sowie der seit über 16 Jahren anhaltenden Besatzung leidet, soll für die Kosten der Zerstörung und die Besetzung ihres Landes selbst aufkommen. Werde die irakische Regierung die rund 5.000 US-amerikanischen Soldatinnen und Soldaten dennoch des Landes verweisen, werde man Sanktionen „wie nie zuvor“ verhängen, die sogar die Iran-Sanktionen in den Schatten stellten, so Trump weiter. Zur Erinnerung: Den gegen den Irak vor dem dritten Golfkrieg verhängten Sanktionen fielen mindestens 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Mindestens 500.000 davon waren Kinder.
Die offizielle Aufforderung des irakischen Präsidenten an ausländische Streitkräfte, das Land zu verlassen, ist nicht erfolgt. Stattdessen stimmte ausgerechnet der geschäftsführende irakische Premier – der den Parlamentsbeschluss ja selbst herbeigeführt hatte – in einem Brief von Mitte Februar an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einer Ausweitung der Nato-Mission zu, ohne die Entscheidung der Abgeordneten auch nur zu erwähnen. Ganz offensichtlich sind die irakische Regierung und der Staatspräsident massiv unter Druck gesetzt worden, den demokratischen Beschluss der irakischen Abgeordneten genau wie den Willen von Zehntausenden Irakerinnen und Irakern, die am 24. Januar einen Abzug der Truppen forderten, zu missachten.
Dass kein Zweifel an ihrer Fügsamkeit bestand, zeigt nicht zuletzt der Fakt, dass die Nato-Mitgliedstaaten bereits einen Tag VOR der irakischen Zustimmung beschlossen hatten, die Trainingsaktivitäten, die wegen „Sicherheitsbedenken“ in der hochexplosiven Situation nach dem Drohnenmord vom 3. Januar ausgesetzt worden waren, wieder aufzunehmen – wenn auch offiziell vorbehaltlich der Zustimmung der irakischen Regierung.
„Demokratie ja – aber nur wenn sie uns nützt“ ist der Leitsatz für das Agieren von Nato und US-Administration. Wie eine schallende Ohrfeige muss der deutsche Kabinettsbeschluss vom 12. März auf die Irakerinnen und Iraker gewirkt haben: Unter Missachtung ihres Willens werden die in Jordanien stationierten Tornados zwar Ende März zurückgeholt, letztlich aber weitet die Nato ihre Truppenpräsenz aus. Deutsche Tankflugzeuge werden weiterhin die italienischen Flugzeuge, die die Tornados ersetzen sollen, mit Treibstoff versorgen. Auch soll ein deutscher Überwachungsradar über dem Irak zum Einsatz kommen. Bis zu 700 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten können in den Irak entsandt werden.
Das Ziel ist klar: Genau wie von Donald Trump gefordert, soll sich die Nato stärker engagieren, um die im Land verbleibenden US-Truppen weniger sichtbar zu machen, denen der Groll der irakischen Bevölkerung ganz besonders gilt. Die Nato-Mission übernimmt auch „Teile der Ausbildungsaktivitäten“ der US-geführten sogenannten Anti-IS-Mission. Von einem Abzug, wie vom irakischen Parlament beschlossen, ist keine Rede.
Diese Missachtung einer demokratischen Parlamentsentscheidung dürfen gerade Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht durchgehen lassen. Wir sind es, die über das Mandat zu entscheiden haben. Nicht nur die US-Soldatinnen und -Soldaten würden bei einer Fortführung des Einsatzes völlig zu Recht als Besatzungskräfte wahrgenommen. Nach über 16 Jahren US-Besatzung, die mit ihrer Zerschlagung politischer und gesellschaftlicher Strukturen und dem Schüren von interkonfessionellem Hass das Erstarken des IS erst ermöglicht hat, müssen die Irakerinnen und Iraker endlich selbstbestimmt und in Frieden leben können. Militäreinsätze und Ausbildungsmissionen sind dafür das falsche Mittel, das hat die Vergangenheit eindrücklich gezeigt. Im Gegenteil, die fortgeführten Raketenangriffe auf Militärstützpunkte mit US-amerikanischer Präsenz und die unverantwortlichen Gegenangriffe der US-Armee auf irakischem Gebiet zeigen nur allzu deutlich, dass das Pulverfass jeden Moment explodieren kann und durch die ausländische Truppenpräsenz immer gefährlicher wird. Inzwischen hat die irakische Regierung wegen der US-Angriffe einen Beschwerdebrief an den UN-Sicherheitsrat verfasst.
Die Bundesregierung muss endlich aufhören, sich von der Trump-Administration vor den Karren geostrategischer Interessen spannen zu lassen. Ohnehin ist die Behauptung der westlichen „Wertegemeinschaft“, Frieden und Demokratie in alle Welt bringen zu wollen, längst ad absurdum geführt. Auch Saddam Hussein galt als verlässlicher „Partner“ und wurde massiv unterstützt, solange er den westlichen Interessen entsprach und dienlich war.