Längst überfällig: Kinderrechte sollten ins Grundgesetz

Wenn man hört, was Politikerinnen und Politiker der großen Parteien zur Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz zu sagen haben, drängt sich die Frage auf, warum bei solch großer Einmütigkeit die Rechte von Kindern nicht schon längst Erwähnung in unserer Verfassung finden. Selbst Konservative, die sich lange gegen eine entsprechende Grundgesetzänderung sperrten, sprechen sich nun grundsätzlich dafür aus.

Ein Blick zurück zeigt allerdings: Selbst SPD und Grüne, die heute zu den lautesten Verfechtern des Vorschlags gehören, taten sich lange schwer damit.

Die PDS als Kinderrechts- Pionierin 

Als die PDS-Fraktion 2001 einen Gesetzentwurf zur Änderung der Grundgesetzes im Bundestag vorlegte, stellte die grüne Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk noch unmissverständlich klar: „Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, wir haben kein gesetzliches Defizit, sondern ein Defizit bei der Umsetzung. Darum müssen wir uns auf allen Ebenen vielmehr für die Einhaltung der Menschenwürde einsetzen. Wir brauchen aber keine Änderung des Grundgesetzes.“ Die Abgeordneten der PDS fanden sich seinerzeit auf verlorenem Posten. Keine andere Fraktion begrüßte das Ansinnen der Genossinnen und Genossen. Knapp 20 Jahre später sieht die Lage anders aus. Bereits 2017 hatten sich CDU und CSU in ihrem „Regierungsprogramm“ genannten Wahlprogramm zur Überraschung vieler Beobachterinnen und Beobachtern erstmals dazu bekannt, dass sich nun auch die konservativen Schwesterparteien für die Aufnahme der Rechte von Kindern in das Grundgesetz einsetzen wollten. Schon lange vorher hatten SPD und Grüne ihrer zunächst ablehnende Haltung revidiert und setzen sich, wenn auch mit unterschiedlicher Vehemenz, ebenfalls für eine Grundgesetzänderung ein. Folgerichtig fand 2018 das Vorhaben dann auch Eingang in den Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Kindern die Subjektrolle zusprechen

Für die Grundgesetzänderung sprechen gewichtige Argumente. So fehlt bisher schlicht eine  Erwähnung eigenständiger Rechte von Kindern im Grundgesetz. Kinder werden zwar als Objekt elterlicher und staatlicher Fürsorge erwähnt. Eine eigenständige Subjektstellung von Kindern im Grundgesetz fehlt aber. Gegnerinnen und Gegnern einer Grundgesetzänderung argumentieren hier stets, dass das Bundesverfassungsgericht längst die Rechte von Kindern in seiner Rechtsprechung hervorgehoben hätte und Kinder ja sowieso Menschen seien und damit die allgemeinen im Grundgesetz festgelegten Menschenrechte gelten würden. Dies vergisst aber, dass Kinder eben keine kleinen Erwachsenen sind. Sie habe besondere Bedürfnisse und Interessen, aus denen sich auch kindespezifische Rechte ableiten, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention dargelegt sind. Das sollte sich gerade auch im Grundgesetz wiederfinden. Schließlich würde eine starke Subjektstellung in der Verfassung auch dem geänderten gesellschaftlichen Bild von Kindern Rechnung tragen. Gerade die ausdrückliche Aufnahme eines Rechts der Kinder auf Förderung und Entfaltung würde deutlich machen, dass die in Artikel 6 festgelegte elterliche Erziehungsbefugnis ein Recht im Interesse des Kindes ist. Eine Grundgesetzänderung bietet außerdem die Chance, den Staat stärker für das Wohl von Kindern in die Pflicht zu nehmen. Zwar gab es in den letzten Jahren immer wieder kleinere und größere Reformen, die die Situation von Kindern verbessern sollten, allerdings stellt sich Lebensrealität für viele Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik nach wie vor dürftig dar. Kinderarmut ist ein weit verbreitetes Phänomen, das nachweislich die freie Entfaltung von Betroffenen stark beeinträchtigt. Sie rechtliche Situation von geflüchteten Kindern hat sich in den letzten Jahren gar deutlich verschlechtert.

Bei Grundgesetzänderungen achten Sie bitte auf Risiken und Nebenwirkungen

Doch trotz guter Argumente und eines breiten Konsens ist es seit der Bundestagswahl nicht zu einer Grundgesetzänderung gekommen. Der Teufel liegt wie so häufig im Detail oder genauer gesagt: Nachdem eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zunächst kurz vor dem Scheitern stand, legte sie am Ende nicht einen Formulierungsvorschlag auf den Tisch, sondern gleich drei. Das SPD-geführte Justizministerium legte sich wohl aus Angst vor den unionsgeführten Häusern auf den weichsten aller Vorschläge fest. Bei dessen Formulierung kommt selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu dem Schluss, „[…] dass dieser bezüglich der Beteiligungs- und Mitspracherechte der Kinder hinter den völkerrechtlichen Staatenverpflichtungen aus Art. 12 UN-KRK zurückbleibt.“ Sprich: der Vorschlag aus dem Hause Lambrecht stellt keine Verbesserung, sondern sogar eine Verschlechterung zum Status Quo der von Deutschland ratifizierten Kinderrechtskonvention dar. LINKE und Grüne haben bereits vor Monaten eigene Gesetzentwürfe eingebracht, die die Rechtsstellung von Kindern deutlich verbessern würden. Wir werden uns dafür stark machen, dass die längst überfällige Grundgesetzänderung zu einer tatsächlichen Verbesserung führt und nicht als trojanisches Pferd die Rechte von Kindern aushöhlt.

Norbert Müller (MdB) ist kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag und Obmann im Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.


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