Ates Gürpinar

Ist das schon die Mehrheit für eine bessere Welt? Linke Mehrheiten und rot-rot-grün

Viele sehen Licht am Horizont. In mehreren Ländern wird gerade neben zermürbendem Rechtsdrall und verängstigendem Menschenhass die Hoffnung auf eine progressivere, gerechtere und freiere Gesellschaft genährt. In den kapitalistischen Zentren USA und Großbritannien waren nicht mehr nur Brexit und Trump oder Blair und Clinton im Gespräch, sondern auch Menschen wie Corbyn und Sanders. Selbst in Deutschland bewegt sich etwas nach langem merkeligen Schlaf, und zwar nicht ausschließlich wegen des lauten Gekeife von rechts. Es existiert plötzlich ein Glaube an eine linke Mehrheit. In anderen Ländern ist sie mit Namen verbunden, hier kommt sie vor allem in der Presse als rot-rot-grünes Farbspiel daher. Diese Hoffnung ist wichtig – und sie ist auch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen: In den letzten Jahren sind Bewegungen entstanden, die zu Beginn völlig unterschätzt wurden: Der Kampf um TTIP und CETA bringt Hunderttausende auf die Straße, Millionen Menschen erklärten sich bereit, die Geflüchteten zu unterstützen, weil Regierungen weder wollten noch konnten. Eine solidarischere Gesellschaft scheint nicht mehr nur Utopie zu sein, sondern rückt näher, wird machbar und real.

Dieses Farbspiel ist in Deutschland allerdings genau die Schwierigkeit. Während bei Sanders und Corbyn konkrete Personen mit bestimmen Themen und Lösungen verbunden wurden, stehen hier drei unterschiedliche Parteien auf dem Plan. Mit SPD und Grünen sind zwei dabei, die jahrelang keine linke Politik betrieben haben, im Gegenteil: Wir kämpfen gegen die Folgen einer ehemals rot-grünen Mehrheit im Bundestag, die eine Entsolidarisierung nicht nur nicht widerstanden, sondern erst ermöglicht haben. Die Versursacherinnen und Verursacher dieser Politik sind selbstverständlich immer noch an den Schaltstellen dieser Parteien.
Dass ein Regierungswechsel kein Automatismus für eine solidarischere Gesellschaft ist, sollte überall klar sein. Auch bei Corbyn und Sanders würden sich im Falle einer Machtübernahme nicht alle Hoffnungen bestätigen: Dafür sind marktradikale Strukturen und Verwaltungsapparate zu verfestigt, harte Lobbygruppen und die Macht der Konzerne bestehen außerhalb des direkt greifbaren politischen Zugangs. Diese würden die Grenzen aufzeigen, vor allem dann, wenn die Menschen auf der Straße die Arbeit einer Person oder einer Partei überlassen würden.

Es wird aber in Deutschland noch komplexer, weil hier mit dem Farbspiel Parteien herbeigesehnt werden, die bisher für den Erhalt und die Verschärfung der bisherigen Verhältnisse standen. Damit wird als Hoffnung in der Presse zwar die Palette rot-rot-grün genannt, der eigentliche Hoffnungsträger und das bisher Verändernde ist aber DIE LINKE. Das ist einerseits positiv und stärkt. Wir können klarstellen, dass eine Stimme für die SPD ist eine Stimme für die große Koalition ist, ein Kreuz bei den Grünen nur Angela Merkel im neuen, für Beschäftigte unbezahlbaren olivgrünen Kleid erscheinen lässt. Einzig die Stimme und der Einsatz für DIE LINKE bietet überhaupt eine Chance für linke Mehrheiten.

Was sich für DIE LINKE kräftigend und salbungsvoll anhört, hat aber auch eine Kehrseite: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass ein linkes Projekt, was nichts ändert, die Hoffnung der Menschen umso mehr enttäuschen würde. Denn gleichzeitig wollen Teile von SPD und Grünen nicht, dass sich was ändert. DIE LINKE ist also nicht nur eigentliche Hoffnungsträgerin – übrigens auch für die Linken innerhalb von SPD und Grüne –, sie muss auch dafür Sorge tragen, die Hoffnungen zu erfüllen. Nicht die Grünen werden mit den Erwartungen an eine friedlichere Welt verbunden, nicht die SPD wird belangt, wenn der Mindestlohn nicht spürbar steigt. Dies muss uns bewusst sein.

Aber jetzt sollte nicht einer drohenden Enttäuschung vorgebaut werden. In Zeiten der Hoffnung mit Handbremse zu fahren, wäre absurd. Diese Erwartungen bestärken doch: Wir werden jetzt zeigen, was mit uns noch alles möglich ist. Wir werden jetzt dazu drängen, dass SPD wie Grüne ihren marktradikalen Teil ablegen und die Lobbyisten aus den Konzernen an Macht verlieren. Klar muss allerdings sein: Rot-rot-grün ist nicht automatisch eine linke Mehrheit. Das passiert nur, wenn entscheidende Inhalte durchgesetzt werden. Diese Inhalte sind mehr als Haltelinien. Es sind Ansagen an die SPD und die Grünen, die sich entscheiden müssen, ob sie ihre Marktradikalität abstreifen. Das ist noch mehr eine klare Ansage an die Menschen, die eine solidarischere Welt wollen, dass sie sich einbringen, dass sie mitmachen!

Wir werden diese solidarischere Welt nicht im Oktober 2017 erreicht haben. Aber wir können anbieten, die nächsten vier Jahre die entscheidenden Schritte in die Richtung gegangen zu sein – mit SPD und Grünen, wenn sie das wollen. Das sind Schritte, die obszönen Reichtum beschränken und eine würdige Grundsicherung zulassen. Das ist der Weg zu einem neuen Sicherheitskonzept, der nicht von Aufrüstung, sondern von Abrüstung geprägt ist. Wenn DIE LINKE Hoffnungsträgerin ist für eine armutsfeste Mindestsicherung im Alter, genügend Pflegerinnen und Pfleger, für die Unterstützung der Geflüchteten, die als Chance und Teil einer solidarischen Gesellschaft begriffen werden – dann wird das unser Angebot an die Menschen und an die anderen Parteien sein. Dann wird nach den Wahlen bei einer rechnerischen Mehrheit für rot-rot-grün feststehen, ob SPD und Grüne das Angebot einer solidarischeren und ökologischen Gesellschaft annehmen oder nicht: Wenn DIE LINKE die Punkte offensiv benennt, dann wird den Menschen deutlich, wofür Grüne und SPD stehen, wenn sie das Wagnis nicht eingehen. Dann werden die Menschen wissen, dass diese Parteien für eine solidarische Welt nicht bereit sind und dass eine Stärkung der linken Bewegung notwendig wird, um die nächsten vier Jahre entscheidende Veränderungen auf der Straße zu erstreiten und dort diesen Weg zu gehen.

Wenn SPD und Grüne das Angebot annehmen, perfekt: Dann gehen wir den nächsten Schritt und werden wieder klar und offensiv sein. Die Gesellschaft wird es uns zwar nicht übelnehmen, wenn wir in vier Jahren den demokratischen Sozialismus nicht eingeführt haben. Aber sie wird es uns übelnehmen, wenn die versprochenen Punkte nicht eingelöst oder nicht zumindest die entscheidenden Schritte gegangen wurden. Da ist es mit einem guten Koalitionsvertrag nicht getan, die Arbeit geht dann erst los: Wie setzen wir uns gegen die bestehenden marktradikalen Strukturen durch, gegen die Menge an Lobbyisten, die nicht nur in den anderen Parteien, sondern auch in jahrzehntelang gewachsenen Verwaltungen und der medialen Öffentlichkeit zu finden sind? Wie reagieren wir bei tagesaktuellem Geschehen? Wenn wir davor sicherstellen, was unsere Punkte für ein linkes Projekt sind, dann fällt die Verteidigung auch in der Regierung vor den Rechten und Marktradikalen der anderen Parteien und der Öffentlichkeit leichter. Dennoch braucht es als Unterstützung gerade in der Regierungszeit die kritische Arbeit von der Straße, die das einfordert und deren Kraft wir im Parlament und Regierung für die linke Sache nutzen können.

Das Kämpfen um linke Mehrheiten und eine bessere Welt wird 2017 der Streit für eine starke LINKE sein. Es wird das Nähren der Hoffnung sein und die Klarheit, was wir alles erreichen können und was unser Angebot an die Menschen und die anderen Parteien ist. Kämpfen um linke Mehrheiten wird aber nicht zuletzt die einfache Offenbarung sein, dass auch eine linke Regierung die entscheidenden Änderungen nicht alleine vollziehen wird, sondern nur mit der Unterstützung aus den Bewegungen und von der Straße, mit der Unterstützung der Menschen.

Ein Beitrag von Ates Gürpinar, Landessprecher der Linken in Bayern

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