Rosa Luxemburg, eine zeitlose Rebellin – Im Gespräch mit Sally Campbell

Sally Campbells Pocket Book „A Rebels Guide – Wer war Rosa Luxemburg?“ erschien Anfang des Monats (Januar 2019) im Edition Aurora Verlag. Doch warum sollte man sich 100 Jahre nach dem Tod der Kommunistin und Marxistin mit ihren Ideen auseinandersetzen? Was bringt Menschen auch heute noch dazu, die Bücher und Pamphlete der verstorbenen und einstigen Ikone der Linken zu lesen? Wir sprachen mit Sally über Luxemburg und ihre wichtigsten Beiträge zur marxistischen Theorie und warum es sinnvoll sein kann, auch 100 Jahre nach ihrem Tod noch einmal einen Blick in ihre Werke zu werfen.

Die Freiheitsliebe: Ein „Rebels Guide“ für Rosa Luxemburg? Soso, Rosa war also eine Rebellin? Du auch?

Sally Campbell: Rosa ist für mich die Definition einer Rebellin. Sie war eine polnische Jüdin im rassistisch-zaristischem Russland, welche bereits zu ihrer Schulzeit eine Revolutionärin wurde. Sie war eine Frau in einer Zeit, als Frauen nur wenige Rechte und noch weniger zu erwarten hatten. Ihr wurde eine Auszeichnung in der Schule verwehrt, weil sie „rebellisch gegenüber Autoritäten“ wäre. Sie war selbst aktiv bei Schülerkämpfen gegen die „Russifizierung“ in Warschau – so durfte man damals kein polnisch sprechen.

Sie wurde Mitglied von „Proletariat“, Polens erster sozialistischer Organisation, obwohl im gleichen Zeitraum vier ihrer führenden Mitglieder durch den Staat erschossen wurden. Mit Mitte 20 zog sie nach Berlin und trat der SPD bei, wo sie sich direkt in einen Konflikt mit deren Führungspersonal begab. Im besonderen mit Eduard Bernstein über die Frage, ob der Kapitalismus reformiert werden könne oder durch eine Revolution überwunden werden muss. Sie war niemals bereits etwas zu akzeptieren, nur weil ihr Gegenüber älter oder erfahrener war, Karl Marx kannte oder ein Mann war.

Sally Campbell kommt aus Großbritannien und ist Redakteurin beim Socialist Review.

Rosas ganzes Leben bis hin zu ihrem Tod während der deutschen Revolution, war ein Akt der Rebellion gegen die Grenzen des Systems. Ich kann für mich nicht in Anspruch nehmen, annähernd so eine Rebellin zu sein, wie es Rosa war. Aber ich bin eine Sozialistin, die in der Tradition steht, die Rosa repräsentiert: ein Sozialismus von unten, geschaffen durch die Mehrheit der normalen Menschen und kein Sozialismus von oben, der einem durch eine Partei, den Staat oder Guerillas auf dem Tablett serviert wird.

Was hat dich inspiriert das Pocket Book über Rosa Luxemburg zu schreiben? Eine Marxistin, die nun seit 100 Jahren tot ist.

Ich habe den Guide 2010/2011 geschrieben. Eine Zeit, in denen größere gesellschaftliche Kämpfe stattfanden und es schien, dass Rosas Worte zum Leben erweckt wurden. In Großbritannien gab es 2010 eine Studierendenbewegung, die darin gipfelte, dass tausende Studierende das Hauptquartiert der konservativen Partei besetzten. Im darauffolgende Jahr streikten zwei Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes von Großbritannien. Der arabische Frühling begann und im Januar 2011 wurde der ägyptische Diktator Mubarak abgesetzt. Veränderung wurde greifbar.

Und was hat das mit Rosa zu tun?

Vieles! Einer der größten theoretischen Beiträge Rosa Luxemburgs zum Marxismus war ihr Pamphlet „der Massenstreik.“ Im Pamphlet debattiert sie über die Wechselwirkung von politischen und wirtschaftlichen Kämpfen. Jahrelange quälende Unzufriedenheit und Missstände können spontane Massenproteste auslösen. Rosa beschrieb diesen flüchtigen und spontanen Prozess. Sie ist auch als inspirierende Frau wichtig, von der nicht genug Menschen wissen. Das zunehmende Interesse an der Unterdrückung von Frauen und der Kampf um die Befreiung waren ein weiterer Grund, warum ich über Rosa schrieb.

Ist Rosa nach wie vor wichtig für Linke und Marxisten? Denn am Ende deines Pocket Books schreibst du: Rosas Taten „leuchten heute noch genauso stark wie vor einem Jahrhundert.“

Sie ist sehr wichtig. In den letzten zehn Jahren gab es ein wiederkehrendes Interesse an Rosa mit Konferenzen, Büchern, Artikeln und einer neuen englischen Übersetzung ihrer gesamten Werke im Verso Verlag. Vor allem Rosas Kreativität und Energie für Bewegungen die von unten kommen, ist inspirierend. Ihr Glaube an das Potenzial der Arbeiterklasse die Welt zu verändern, egal wie schwierig die Umstände zu sein scheinen, ist für uns auch heute noch wichtig. Selbst wenn Bewegungen besiegt wurden – wie der Arabische Frühling – besteht immer die Möglichkeit, dass sie sich wieder erheben können.

Das Pocket Book erschien 2011 auf englisch und ist seit Januar 2019 auf deutsch erhältlich.

Sie verbrachte ihr Leben damit zu agitieren, zu organisieren, zu schreiben und Reden zu halten. Sie verband konkrete Probleme mit der Frage, wie der Kapitalismus funktioniert. Das ist auch heute noch für die Linke bedeutend. Wir befinden uns in einer Situation, in der die Rechte weltweit wächst, von Trump bis zur AfD. Zur gleichen Zeit haben Millionen Menschen zur Linken geschaut, von Jeremy Corbyn bis Bernie Sanders, oder sie haben sich der Rechten auf der Straße entgegengestellt. Die Zeit in der Rosa lebte war in vielerlei Hinsicht viel turbulenter, als unsere, aber andererseits sind die Einsätze, „um die gespielt wird“, auch heute extrem hoch. Die Aussicht auf eine globale Klimakrise setzt der Möglichkeit diese Welt zu verändern eine zeitliche Grenze – bevor der Kapitalismus sie zerstört.

Was können wir von Rosa lernen: Den Kampf gegen Opportunismus, gegen Reformismus oder der Kampf für Frauenrechte?

Ihre Kritik am Reformismus ist wahrscheinlich ihr zentraler Beitrag zum Marxismus. Es ist interessant über die Entwicklung der SPD zu diskutieren die, trotz aller Kritik, damals weit radikaler war als heute. Rosa erkannte diese negative Entwicklung bereits 1898 und wehrte sich gegen die sich entwickelnde Idee, dass eine Revolution nicht mehr notwendig sei, da sich der Kapitalismus seit Marx ‚Zeiten geändert habe und nicht mehr krisenanfällig wäre. Bernstein und andere waren der Meinung, dass die bloße Wahl sozialistischer Abgeordneter und die Verabschiedung von Gesetzen ausreichend wären, um schrittweise eine gerechte Gesellschaft zu schaffen. Dieser vermeintliche „langsame und friedliche Weg“ zum Sozialismus wurde durch den Ersten Weltkrieg widerlegt, als die SPD-Abgeordneten für deutsche Kriegskredite stimmten. Luxemburg war entsetzt, aber ihre theoretische Kritik des Reformismus erklärt warum dies geschehen ‚musste‘. Die SPD-Führer akzeptierten die Grenzen von Nation und Kapitalismus. Und der Kapitalismus ist auch heute noch anfällig für Krisen – sowohl in politischer, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht – und er muss immer noch gestürzt und durch etwas ersetzt werden, das auf einer echten „Graswurzel-Demokratie“ basiert.

Was würdest du Luxemburg gerne fragen, wenn sie heute noch leben würde?

Ich denke Rosa würde die Welt von heute sehr leicht wiedererkennen. Wirtschaftskrisen, die Armen müssen dafür bezahlen, Krieg und Hunger, politische Polarisierung nach links und nach rechts. Wenn sie heute hier wäre, wäre sie im internationalen Zentrum des Kampfes gegen die neue Recht. Sie studierte außerdem Volkswirtschaft und Imperialismus und das, was wir heute Globalisierung nennen würden. Ich glaube, wenn sie heute hier wäre, wäre sie außerdem sehr interessiert am Klimawandel und der Umweltpolitik. Ein Motto der Umweltbewegung lautet ja ’system change, not climate change‘ (Systemwechsel, statt Klimawandel a.d.R.) – das ist ein sehr Rosa-ischischer Slogan!

Danke dir für das Gespräch.

Sally Campbell ist Marxistin und Redakteurin beim Socialist Review. Ihr Pocket Book „A rebels guide – Wer war Rosa Luxemburg“ erschien im Januar erstmalig auf Deutsch und ist für 6,50 Euro im Edition Aurora Verlag erhältlich.


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