Die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes: Ein vergessenes Kolonialverbrechen

Das deutsche Kolonialreich war im Jahr 1914 flächenmäßig das drittgrößte der Welt. In den vom Deutschen Kaiserreich besetzten Gebieten wurde die lokale Bevölkerung oftmals brutal unterdrückt und ausgebeutet, um Absatzmärkte für die deutsche Wirtschaft zu schaffen und gleichermaßen günstige Waren ins Kaiserreich exportieren zu können. Im Verlaufe dieser jahrzehntelangen Besetzungen verübten die Kolonisatoren viele grausamen Verbrechen, wie zum Beispiel den Völkermord an den Herero und Nama, welcher bis zu 100.000 Menschen ihr Leben gekostet und in den letzten Jahren immer mal wieder mediale Aufmerksamkeit bekommen hat.

Im Gegensatz dazu ist die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes in Deutsch-Ostafrika aber so gut wie komplett aus dem kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft verschwunden, obwohl es sich bei diesem um eines der blutigsten Kapitel der deutschen Kolonialherrschaft handelt.

Deutsch-Ostafrika:

Die Kolonie Deutsch-Ostafrika existierte vom Jahr 1885 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs im Jahre 1918 und umfasste ganz oder teilweise die heutigen Länder Tansania, Ruanda, Burundi und Mosambik. Erste Schutzverträge wurden 1885 vom Kolonisator und Pastorsohn Carl Peters abgeschlossen. Wie bei den so genannten Schutzverträgen jedoch häufig der Fall wussten viele Anführer der lokalen Stämme überhaupt nicht, was sie da eigentlich unterschreiben, und welche Konsequenzen diese Verträge in kommenden Jahren nach sich ziehen würden. Da Reichskanzler Bismarck einer Kolonialisierung der Gebiete ablehnend gegenüberstand, hatten die Bemühungen Peters vorerst lediglich symbolischen Charakter, denn die unter seiner Leitung stehende Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) besaß nicht die Ressourcen, um das bereits gewonnene Land zu verwalten. Dies änderte sich, als Peters drohte, eine Vereinbarung mit dem belgischen König Leopold einzugehen. Bismarck gab nach und ließ einen von Kaiser Wilhelm unterzeichneten Schutzbrief verfassen, welcher die Besetzung der ostafrikanischen Gebiete legitimierte. Nachdem Peters die Unterstützung des Kaiserreiches zugesichert bekommen hatte, begann er mit einer weiteren Expansion, bis im Jahr 1891 Deutsch-Ostafrika offiziell als „Schutzgebiet“ ins Deutsche Reich eingegliedert und von diesem verwaltet wurde.

Ursachen des Aufstandes:

Die Zustände in der Kolonie waren brutal: Zwangsarbeit, Ausbeutung, und hohe Steuerabgaben machten ein menschenwürdiges Leben für die lokale Bevölkerung unmöglich. Im Jahr 1898 wurde die so genannte „Hüttensteuer“ eingeführt, welche die unterschiedlichen Haushalte zwang, „pro Hütte“ eine Abgabe zu leisten. 1903 wurden durch eine neue Jagd- und Wildschutzverordnung Jagdaktivitäten, welche traditionell ein bedeutender Teil der lokalen Wirtschaft waren, illegalisiert. Da die ursprüngliche Hüttensteuer mit der Zeit nicht mehr genug Geld einbrachte, wurde diese im März 1905 durch eine Kopfsteuer ersetzt, die zu einer steuerlich noch höheren Belastung der Menschen führte. Wer sich diese hohen Abgaben nicht leisten konnte, wurde zu Zwangsarbeit auf den staatlichen Baumwollplantagen eingesetzt, was dazu führte, dass die eigenen Felder der Bevölkerung immer mehr brach lagen und diese sich nur noch schwer selbst versorgen konnte. Immer mehr Land der indigenen Stämme wurde auch einfach enteignet und weißen Siedlern zur Verfügung gestellt.

Der Einfluss von Kinjikitile:

Aufgrund dieser repressiven Zustände breitete sich immer mehr Unmut in der Gesellschaft aus. Der Wille, gegen die Besetzung zu kämpfen, verstärkte sich dabei noch einmal deutlich durch die Lehren des Heilmagiers und Propheten Kinjikitile. Dieser versprach, dass ein magischer Trank, genannt Maji (zu Deutsch: Wasser), die Kämpfer unverwundbar im Kampf gegen die Deutschen machen würde, die Gewehrkugeln des Feindes sollten, nachdem man den Trank getrunken oder sich mit ihm übergossen hatte, einfach am Körper abprallen.

Der Aufstand:

Geeint in ihrer Ablehnung der deutschen Kolonialherrschaft und bestärkt vom Glauben an die Wirkung des Maji schlossen sich am 20. Juni 1905 rund 20 verschiedene Stämme und Völker zusammen, um gegen die Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen. Der Aufstand begann mit der Zerstörung eines staatlichen Baumwollfeldes, auf welchem Zwangsarbeit verrichtet wurde, und breitete sich über die nächsten Wochen immer weiter aus. Es wurden Militärstationen und Farmen weißer Siedler sowie Telegrafenlinien angegriffen, um die Kommunikation mit dem Deutschen Reich zu verkomplizieren. Da der Aufstand für die Kolonisatoren überraschend kam, konnten in den ersten Wochen große Erfolge gefeiert werden: Rund 20% der Kolonie wurde von den Besetzern zurückerobert. Im August 1905 ereignete sich jedoch ein bedeutender Wendepunkt des Krieges, die Schlacht bei Mahenge. Als die Aufständischen den Militärposten und Verwaltungssitz Mahenge stürmen wollten, mussten sie, bedingt durch die deutsche technologische Übermacht, vor allem durch Maschinengewehre, eine bittere Niederlage hinnehmen. Als Reaktion auf diesen Rückschlag wechselten die Maji-Kämpfer immer mehr zu einer Guerilla Taktik, welche sich jedoch gegen die deutsche Taktik der verbrannten Erde als größtenteils wirkungslos erwies. Die Kolonisatoren begannen nun mit einem deutlich brutaleren Vorgehen, sie brannten ganze Dörfer nieder, vernichteten Vorräte und Felder, und ermordeten Tausende von Menschen. Offiziell galt der Aufstand im Juli 1907 als niedergeschlagen, letzte Kampfhandlungen zogen sich jedoch noch bis ins Jahr 1908 hinein. Unterschiedlichen Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 75.000 und 300.000 Menschen im Verlaufe des Aufstandes von den Deutschen getötet, viele von Ihnen fielen der kalkulierten Hungersnot zum Opfer, welche sich durch die Zerstörung von Feldern und Vorräten ausgebreitet hatte. Die Verluste auf deutscher Seite beliefen sich auf einige wenige Hundert.

Aufbau einer neuen Erinnerungskultur:

Das skrupellose Vorgehen der deutschen Besatzungsmacht während des Maji-Maji-Aufstandes kostete Hunderttausende das Leben und veranschaulicht, mit was für einer Kompromisslosigkeit das Kaiserreich bereit war, Absatzmärkte und Rohstoffe zu sichern. Doch obwohl er eines der blutigsten und brutalsten Ereignisse der deutschen Kolonialzeit darstellt, ist der Aufstand heute größtenteils in Vergessenheit geraten. Es gibt kaum Gedenkveranstaltungen, Deutschland hat bis heute keine Entschädigungszahlungen getätigt, und auch in Schulen steht dieses Kapitel der Geschichte nicht auf dem Lehrplan. Die Erinnerungskultur in unserer Gesellschaft besitzt große Lücken. Je mehr wir die Gräueltaten der Vergangenheit in Vergessenheit geraten lassen, erschaffen wir Räume für Nationalisten, die ein verfälschtes Bild der Geschichte so lange reproduzieren, bis es als wahr angesehen wird. Daher liegt es an uns, den Opfern des Maji-Maji-Aufstandes zu gedenken, und dieses sowie andere koloniale Verbrechen wieder in das Gedächtnis der deutschen Gesellschaft zurückzuholen. Kein Mensch sollte mehr durch deutsche Waffen sein Leben lassen müssen.

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