Zwei griechische Schiffe bei einem völkerrechtswidrigen Pushback. Die Regierung in Athen bestreitet die vielfach belegten Vorwürfe. – Alle Rechte vorbehalten Türkische Küstenwache

Griechischer Geheimdienst verfolgt Menschenrechtsbeobachter:innen

Die Regierung in Athen geht gegen Organisationen und Personen vor, die dem Staat Menschenrechtsverletzungen nachweisen und dies im Internet dokumentieren. An den Ermittlungen ist eine Behörde beteiligt, die mit EU-Mitteln errichtet wurde.

Zwei griechische Schiffe bei einem völkerrechtswidrigen Pushback. Die Regierung in Athen bestreitet die vielfach belegten Vorwürfe. – Alle Rechte vorbehalten Türkische Küstenwache

Abermals holen griechische Behörden zum Schlag gegen europäische Menschenrechtsorganisationen aus. Insgesamt zehn Personen aus verschiedenen Ländern sollen seit Juni 2020 die „illegale Einreise von Ausländern“ in der Ägäis ermöglicht haben. Dies teilte die Polizei am vergangenen Montag auf einer Pressekonferenz mit. Die Betroffenen werden außerdem der Spionage sowie der „Erschwerung von Ermittlungen“ beschuldigt. Einige von ihnen sollen zudem gegen das Einwanderungsgesetz verstoßen haben. Festnahmen oder Durchsuchungen erfolgten bislang aber nicht.

Die Ermittlungen zielen auf vier Mitarbeiter:innen unterschiedlicher Organisationen, die auf den Inseln Chios, Samos und Lesbos zur Menschenrechtsbeobachtung tätig sind, sowie sechs weitere Personen. Laut der regierungsfreundlichen Zeitung „Kathimerini“ ist unter anderem die norwegische Organisation Aegean Boat Report betroffen.

Angebliche „Spionage“ wegen Dokumentation von Pushbacks

Die Verdächtigen sollen „Anwendungen im Internet“ betrieben und über „Migrationsströme“ aus der Türkei informiert haben. Mithilfe von „Telefonverbindungen“ hätten sie Koordinaten von Booten mit Geflüchteten erhalten und an andere Aktivist:innen weitergegeben, die dann den Kurs bis zur Ankunft am griechischen Festland beobachtet hätten. Bei dem Informationsaustausch seien auch die Anzahl der Bootsinsassen und deren Gesundheitszustand von Interesse gewesen.

Vermutlich stimmen sämtliche dieser Anschuldigungen – denn dies gehört zu dem selbst gesteckten Ziel der Organisationen, die sich der Menschenrechtsbeobachtung in Griechenland verschrieben haben. Aegean Boat Report stellt etwa regelmäßig Statistiken zu Ankünften von Booten in Griechenland auf. Außerdem untersucht die Organisation sogenannte Pushbacks durch die griechische Küstenwache und dokumentiert diese wie zuletzt am Montag online. Viele dieser Aufnahmen stammen von den Geflüchteten selbst. Sie zeigen das gefährliche Abdrängen der seeuntüchtigen Schlauchboote, Schüsse in ihre Richtung oder Schläge auf die Insassen.

Bei den Zurückweisungen beschlagnahmt die Küstenwache oft die Außenbordmotoren von Schlauchbooten und lässt die Boote in türkische Gewässer zurückdriften. In zahlreichen Fällen werden Geflüchtete, die bereits auf griechischen Inseln angekommen sind, in Boote oder Rettungsinseln gezwungen und ebenfalls in Richtung Türkei getrieben. Auf ihrer Webseite hat auch die türkische Küstenwache Hunderte derartiger Pushbacks mit Fotos und Videos online gestellt. Im vergangenen Jahr haben internationale Medienhäusern die Berichte überprüft und mit eigenen Recherchen belegt.

Das von Aegean Boat Report veröffentlichte Material ziehen die griechischen Behörden jetzt als Beweis für eine angebliche Spionagetätigkeit heran. Mit den Fotos und Videos würden geheimhaltungsbedürftige Informationen über Schiffe und Einrichtungen der griechischen Küstenwache bekannt gemacht. Die Verdächtigen hätten zudem Fotos von menschenunwürdigen Lagern auf den Ägäis-Inseln veröffentlicht. Dies stelle nach einer Gesetzesänderung eine Straftat dar. 

Geheimdienst spioniert selbst in der Türkei

Im September 2020 hatte die griechische Polizei mit der „Operation Alkmene“ ähnliche Ermittlungen gegen 35 ausländische Staatsangehörige und Mitglieder verschiedener Organisationen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Norwegen und Bulgarien öffentlich gemacht. Zu ihnen gehören die deutschen Vereine Mare Liberum, Sea Watch und die Forschungsgesellschaft Flucht & Migration. Ebenfalls auf dem Radar der Behörden ist die auch in Deutschland ansässige Organisation Alarm Phone/Watch the Med, die ein Notruftelefon für Geflüchtete auf hoher See betreibt.

An den Ermittlungen sind neben der griechischen Polizei, dem Migrationsministerium, der Ausländerbehörde und der Küstenwache auch der zivil-militärische Inlandsgeheimdienst EYP sowie die Anti-Terror-Abteilung DAEEB beteiligt. Über die ebenfalls beteiligte Direktion für Informationsmanagement und -analyse (DIDAP), deren Einrichtung 2016 aus EU-Mitteln unterstützt wurde, könnten auch Informationen über die Betroffenen aus EU-Datenbanken abgefragt werden. Die Behörde fungiert als internationale Kontaktstelle unter anderem für die Verarbeitung von Passagierdaten.

Im Zuge der Ermittlungen wurden zwei Mobiltelefone beschlagnahmt, die zwei ausländischen Aktivist:innen zugeordnet werden. Weitere Laptops und Handys fielen der Polizei im September nach einer Razzia auf dem Schiff „Mare Liberum“ in die Hände. Eine Anklage gegen die Betroffenen erfolgte bislang nicht. Bislang hat die Polizei auch keine Beweise für ihren Verdacht vorgelegt. Dies lässt vermuten, dass die Maßnahmen vor allem auf Einschüchterung zielen.

Im vergangenen Jahr wurden indes dubiose Ermittlungsmethoden der griechischen Behörden bekannt. Zur Untermauerung der vermeintlichen Vorwürfe hatte der EYP zwei Spione in die Türkei geschickt. Im Auftrag des Geheimdienstes hatten die beiden Drittstaatenangehörigen in der türkischen Hafenstadt Izmir ein Boot nach Lesbos bestiegen und anschließend Einzelheiten zu ihrer Überfahrt berichtet.

Dieser Text von Matthias Monroy erschien zuerst hier auf netzpolitik.org (unter CC BY-NC-SA 4.0-Lizenz). Wir bedanken uns vielmals für das Recht zur Übernahme.

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