Am 4. Dezember 2016 endete die österreichische Präsidentschaftswahl mit der Niederlage des rechtsgerichteten Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Doch dieses Ergebnis sollte nicht zu Optimismus verleiten. Auch wenn es sich vom Brexit und dem Sieg Donald Trumps in den USA positiv abhebt, sollten wir bedenken, dass mehr als 46% der österreichischen Wähler für einen Kandidaten gestimmt haben, dessen Partei islamophobe, nationalistische, fremdenfeindliche und populistische Maßnahmen verteidigt. Und aktuelle Umfragen schätzen, dass die FPÖ mit einem Stimmenanteil von ca. 34-35%[1] bei der nächsten Parlamentswahl die größte Partei im Nationalrat werden kann.[2] Eben diese Prognose wurde von Marine Le Pen, der Führungsfigur des französischen Front National (FN), zum Hoffnungszeichen erklärt, als sie Hofer nach seiner Niederlage Trost zusprach.[3] Von Antoine de Cabanes.
Le Pens Reaktion war kein Zufall, denn die Abgeordneten des FN und der FPÖ im Europäischen Parlament sitzen in derselben Fraktion,[4] zusammen mit den Abgeordneten der niederländischen Partij voor de Vrijheid (PVV). FN und FPÖ teilen indes nicht nur die Mitgliedschaft in einer Fraktion, gemeinsam haben sie auch eine islamfeindliche und euroskeptische Rhetorik, eine Vergangenheit, die eng mit neofaschistischen Bewegungen verbunden ist,[5] sowie die Tatsache, dass sie beide an den Pforten der Macht stehen. Die gemeinsamen Merkmale dieser rechtsextremen Parteien wie der PVV oder auch, in einer etwas anderen Art und Weise, der britischen UKIP (United Kingdom Independence Party), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) oder der AfD (Alternative für Deutschland), haben unter Akademikern und Aktivisten verschiedene Debatten ausgelöst, vor allem über die treffende Charakterisierung dieser neuen, politisch weit rechts stehenden Formationen. Während einige sie dem Rechtsextremismus zuordnen,[6] ziehen andere den Begriff der populistischen rechtsradikalen Parteien vor.[7] Wir übernehmen die Bezeichnung Rechtspopulisten, die am treffendsten die wichtigsten Merkmale dieser Parteien widerspiegelt.[8]
Wie bereits gesagt, scheinen diese Parteien in der Lage zu sein, Wahlen und damit den Zugang zur Macht zu gewinnen. Am offensichtlichsten trifft dies für den FN bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai und Juni 2017 in Frankreich zu. Während die klassische Rechte (die ehemalige Union pour un mouvement populaire, UMP, 2015 umbenannt in Les Républicains) im Oktober ihren Spitzenkandidaten gewählt hat, organisiert die Sozialistische Partei (PS) im Januar eine Vorwahl, um ihren Kandidaten zu ernennen.[9] Daher wird der genaue, insbesondere personelle Kontext der Wahl Anfang Februar bekannt sein und der Wahlkampf wird in diesem Moment wirklich beginnen. Deshalb kommt es jetzt darauf an, die neuartigen Aspekte des Front National zu analysieren und zu charakterisieren, um zu verstehen, wie es ihm gelungen ist, sich an die Spitze der französischen Parteien zu setzen, und um seine Chancen bei den bevorstehenden Wahlen einzuschätzen.
Ein schneller Aufstieg bei den Wählern
Ein Rückblick auf die Wahlergebnisse des FN seit 2007 führt das Ausmaß seines Aufstiegs eindrücklich vor Augen.[10] Im Jahr 2007, als Nicolas Sarkozy zum Präsidenten gewählt wurde, gewann der FN 10,44% der Stimmen. Während Jean-Marie Le Pen im Jahr 2002 in der ersten Runde den zweiten Platz belegte, also in die Stichwahl gelangte, kam er 2007 nur auf Rang vier. Der FN verlor eine Million Stimmen im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2002 (das entspricht 3,8 Millionen Wählerstimmen gegenüber 4,8 Millionen im Jahr 2002). Sarkozy eignete sich damals einige Themen des FN an, vor allem im Bereich Einwanderung und nationale Identität, und es gelang ihm, diese Strategie in Wählerstimmen umzusetzen. Viele Wähler des FN wandten sich Sarkozy zu. Allerdings war dies eine kurzsichtige Politik, die nur die Kernthemen des FN aufwertete und an die Spitze der offiziellen und institutionellen politischen Agenda setzte. Sie zerstörte die ideologische Barriere zwischen der klassischen Rechten und dem FN, ebenso wie sie den traditionellen »cordon sanitaire«, die Strategie der Nichtkooperation mit dem FN bei Wahlen, durchbrach.
Während der Kantonalwahlen von 2011 gewann der FN viele Wähler zurück, da Sarkozys Politik die rechte Wählerschaft enttäuschte. Um die FN-Wähler zu halten, beschloss Sarkozy, bei diesen regionalen Wahlen die »republikanische Front« zu durchbrechen. Dieser Ausdruck bezieht sich auf den Rückzug des klassischen rechten oder linken Kandidaten (UMP oder PS), wenn er oder sie im ersten Wahlgang Dritter wird. Im System der zwei Wahlgänge bedeutete dies: Wenn es dem FN gelungen war, in die zweite Runde zu kommen, dann zog sich der Kandidat der unterlegenen Partei zurück und gab für die Stichwahl die Anweisung, sich dem FN »in den Weg zu stellen«, d.h. die andere Regierungspartei (UMP oder PS) zu wählen, um sie anstelle des FN gewinnen zu lassen. Der PS-Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002, Lionel Jospin, forderte somit dazu auf, für Jacques Chirac (UMP) zu stimmen. Diese »republikanische Front« bildete sich mit der Entstehung des FN in den 1980er Jahren heraus, und sie wurde seit dem Ende der 1980er Jahre vom gesamten politischen Spektrum durchgesetzt. 2011 markierte das Ende dieser Regel für die klassische Rechte, da Sarkozy erklärte, dass diese nicht zwischen dem FN und der Linken wählen sollte. Das rettetete weder seine eigene Stellung noch die der UMP, hatte aber erhebliche Konsequenzen.
Die Wahl 2012 war ein Wendepunkt, da sie seitens des FN den Beginn der Erringung von klassischen Rechtswählern unter Arbeitern und Angestellten markiert. Marine Le Pen errang einen Stimmenanteil von 18%, das bis dahin beste Ergebnis der Partei bei Präsidentschaftswahlen – zwei ihrer Kandidaten wurden sogar ins Parlament gewählt. Der Zeitraum von 2012 bis heute ist durch den Aufstieg des FN gekennzeichnet. Seine Strategie bestand darin, die lokale Verankerung durch regionale Wahlen zu entwickeln und die PS oder die UMP herauszufordern, um in die zweite Wahlrunde zu gelangen. Lange Zeit war das System der zwei Wahlgänge, welches das Zweiparteiensystem stärkt, ein großes institutionelles Hindernis für den FN gewesen.
Seit den Kommunalwahlen 2014 trifft dies jedoch nicht mehr zu, da es dem FN seither gelingt, die erste Runde bei Wahlen zu überstehen. Diese Situation erweist sich dann als besonders kompliziert, wenn im zweiten Wahlgang PS und FN gegeneinander antreten, da die klassische rechte Wählerschaft zunehmend für den FN votiert. Die »Normalisierung« der Partei (initiiert durch Marine Le Pen seit 2011) erleichterte den traditionellen rechten Wählern die Stimmabgabe für den FN in der zweiten Runde. Die Strategie der lokalen Verankerung funktionierte sehr gut: Im Jahr 2014 gewann der FN bei den Kantonalwahlen elf Rathäuser, und es wurden 1.500 Stadträte aus seinen Reihen gewählt. Zudem nutzte der FN die Kommunalwahlen, um seine Sympathisanten in aktive Mitglieder zu verwandeln. Sie errichteten ein dichtes Netzwerk, das mithilfe gut ausgebildeter Aktivisten und Stadträte lokale Strukturen aufbaute und weitere Mitglieder rekrutierte. Der FN hatte bis dahin eine schwache aktivistische Tradition und eine geringe Mitgliedschaft, was sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert hat. Bei der Europawahl von 2014 gelang es, ein Viertel der Wählerstimmen zu erringen und die stärkste Partei Frankreichs zu werden. Sie stellen jetzt 24 der insgesamt 74 französischen Abgeordneten im Europaparlament. Bei den Regionalwahlen von 2015 erreichten sie ihr bislang bestes Ergebnis; in 6 der 13 Regionen wurden sie zur stärksten Kraft, in den anderen kamen sie an die zweite Stelle. Wegen der Strategie der »republikanischen Front« (die immer noch vonseiten der Linken, vor allem der PS angewandt wurde) regieren sie zwar in keiner der Regionen, aber sie erzielten sehr hohe Werte in der zweiten Runde (42% im Nord Pas de Calais-Picardie und 45% in der Provence Alpes Côtes d’Azur).
Von nun an stabilisierte der FN seine Wählerschaft mit zwischen fünf und sechs Millionen Wählern – und das trotz niedriger Wahlbeteiligung. Darüber hinaus schuf die Partei eine beispiellose lokale Verankerung, sie erhöhte ihre Mitgliedschaft und die Zahl ihrer gewählten Vertreter. All diese Elemente sind völlig neu und haben einen starken Einfluss auf die politische Situation. In den Umfragen zur Präsidentschaftswahl 2017 rangiert der FN auf zweiter Position mit 24 bis 26%, während François Fillon, der Kandidat der Rechten, bei 26 bis 29% und der PS bei 10 bis 12% gesehen wird. Nach derzeitigem Stand wird Marine Le Pen in jedem Szenario in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl einziehen.
Die Normalisierungsstrategie: von der Marginalität zur Glaubwürdigkeit
Der Ursprung dieser Dynamik liegt im Jahr 2011, als Marine Le Pen Präsidentin des FN wurde, als Nachfolgerin ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. Seit 2002 führte Marine Le Pen eine Strategie der »Entdämonisierung«[11] in ihrer Hochburg Hénin-Beaumont, einer Kleinstadt im Norden Frankreichs, die von Deindustrialisierung und hoher Arbeitslosigkeit betroffen war. Mit ihrem Aufstieg an die Parteispitze war sie in der Lage, diese Strategie auf die gesamte Partei auszudehnen. Vor 2011 wurde der FN vom gesamten politischen Spektrum dämonisiert, seine Verbindungen zu offen rechtsextremen Gruppierungen, zu neofaschistischen Bewegungen, seine Unterstützung des Kolonialismus, Jean-Marie Le Pens Antisemitismus und rassistische Äußerungen wurden gebrandmarkt. Dieser dämonisierende Ansatz beruhte auf der moralischen Verurteilung der mit dem Vichy-Regime und der französischen Kollaboration im Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebrachten Rechten. Marine Le Pens Strategie bestand darin, ihre Partei zu normalisieren, und um das zu tun, änderte sie den Diskurs und die Grundaussagen der Partei.
Hierzu gehört als Erstes die Beseitigung jener Diskurse und Elemente, die den FN mit dem traditionellen Rechtsextremismus verbinden. Marine Le Pen kappte alle offiziellen Verbindungen zu rechtsradikalen, vor allem zu neofaschistischen Gruppierungen. Sie untersagte rassistische und antisemitische Äußerungen und entschied sich dafür, systematisch jene Aktivisten aus der Partei auszuschließen, die das Vichy-Regime oder die französische Kolonisation Algeriens öffentlich unterstützten. Mehrere Aktivisten, Kandidaten und sogar hochrangige Parteifunktionäre wurden wegen der Übertretung dieser Regeln ausgeschlossen. Die sichtbarste Konsequenz dieser Säuberung war die Suspendierung von Jean-Marie Le Pen. Der Parteigründer wurde im Jahr 2016 aus dem FN ausgeschlossen – ein übler Holocaust-Witz auf eine jüdische französische Sängerin brachte das Fass zum Überlaufen. Allerdings besitzt der FN weiterhin inoffizielle Verbindungen zum traditionellen Rechtsextremismus,[12] und die neofaschistischen Gruppen bewegen sich noch in der Umlaufbahn der Partei, zum Beispiel stellen sie das Sicherheitspersonal für öffentliche Veranstaltungen des FN. Im Zuge der Normalisierung gab der FN einige radikalere Aussagen auf, insbesondere zu gesellschaftlichen Fragen, da er sich von den katholischen Fundamentalisten distanzierte. Er erscheint nun wie eine konservative Partei, mit Positionen, die der klassischen Rechten ähneln: Sie sind gegen die Homoehe, tolerieren jedoch Homosexualität; sie wollen die Abtreibung zurückdrängen, aber nicht mehr gänzlich unterbinden.
Das zweite Merkmal der Normalisierungsstrategie ist die Umstrukturierung mit der Bildung eines lokalen Netzwerks, das auf gut ausgebildeten Aktivisten und gewählten Vertretern basiert. Die Normalisierung führte zu einer fortschreitenden Säuberung von allen Mitgliedern, die von der politischen Linie Marine Le Pens abwichen. Bei den Kommunalwahlen von 2014 und 2015 zog der FN mehrere traditionelle Kandidaten zurück, weil sie antisemitische, negationistische[13] oder rassistische Reden schwangen. Die FN ersetzte diese Kandidaten und lokalen Funktionäre durch eine neue Generation gut ausgebildeter Aktivisten. Das Trainingsprogramm wurde zentralisiert und in die Hände von Experten gelegt, die argumentative Leitlinien zu einem breiten Themenspektrum zur Verfügung stellten – von der Kommunikation über soziale Netzwerke bis hin zu spezifischen Aspekten des Programms.
In den letzten fünf Jahren gelang es dem FN, eine neue Generation vorzeigbarer Kandidaten hervorzubringen, die sich die Kompetenzen und Kenntnisse des politischen Feldes angeeignet haben. Besonderes Augenmerk wurde auf das Headhunting von Aktivisten anderer Parteien gelegt, um die Attraktivität und Respektabilität des FN zu erhöhen. Diese Bemühungen des FN, eine neue politische Elite zu rekrutieren, zu schulen und zu professionalisieren, sind beispiellos und ihr Erfolg in einem so kurzen Zeitraum ist im politischen Frankreich einmalig.[14] Er erforderte die Bildung eines ideologischen Apparates mit thematischen Kommissionen, die mit neu eingestellten Experten besetzt wurden. Florian Philippot, der stellvertretender Vorsitzer des FN ist und als enger Vertrauter von Marine Le Pen gilt, ist das bekannteste Beispiel für diese Rekrutierungen unter Technokraten und Akademikern. Die Parteidisziplin wurde erweitert, um diesen massiven Ersatz zu ermöglichen, und Marine Le Pen erhöhte die Zentralisierung ebenso wie die Arbeitsteilung innerhalb der Partei. Diese Rationalisierung des Aktivismus half dem FN, sein Image zu ändern: So wird er zunehmend als kompetent für die Verwaltung einer Stadt, einer Region und sogar des Staatsapparates wahrgenommen. Seit 2011 hat die Partei auch ihre Mitgliederbasis erweitert, auf bis zu 52.000 zahlende Mitglieder beim Kongress von 2015. Die Professionalisierung ist eine sich selbst verstärkende Tendenz: Sie hilft der Partei, Wahlen zu gewinnen, und infolgedessen werden FN-Aktivisten zu Stadt-, Départements- oder Regionalräten, und zu diesen Positionen kommen wiederum mehrere Stellen für politische Profis hinzu wie Abgeordnetenmitarbeiter oder politische Berater. Vor zehn Jahren fehlte es dem FN noch an Fachwissen, heutzutage gelingt es ihm, alle Insignien und Symbole einer Regierungspartei zu erringen.
Es sollte nicht der Fehler gemacht werden, die Normalisierung als Zeichen einer Mäßigung zu interpretieren, vielmehr ist eine Strategie zu beobachten, mit der die Wahrnehmung des FN verändert werden soll, um seine Marginalität zu überwinden und ihn in die Lage zu versetzen, an die Macht zu gelangen. Eine solche Strategie ist nicht neu; in der Geschichte des FN wurden verschiedentlich Entdämonisierungsstrategien angewandt.[15] Mitte der 1980er Jahre, bevor Jean-Marie Le Pen den Holocaust »ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges« nannte, hatte der FN bereits den Versuch unternommen, als respektabel wahrgenommen zu werden. Damals zielte die Entdämonisierung darauf, Wahlbündnisse mit der klassischen Rechten zu ermöglichen.[16]
Diskursverschiebung und Wahlprogramm
Indes ist die Normalisierung nicht der einzige kausale Faktor für den Aufstieg des FN. Marine Le Pen änderte auch das Programm und den Diskurs der Partei.[17] Diese Veränderung ging sehr subtil vor sich, da sie die Bewahrung bestimmter Elemente der Identifikation, eine radikale Veränderung anderer Elemente und die Einführung neuer Themen miteinander kombiniert.
Zuerst entwickelte der FN seine »Anti-System«-Rhetorik und verband sie geschickt mit der Normalisierungsstrategie. Die Partei behauptet, weder nach rechts noch nach links zu gehören, und erklärt (durch das Schlagwort der »UMP-PS«), dass die Linke und die Rechte sich nicht wesentlich unterscheiden und eine ähnliche Politik vertreten würden. In dieser Rhetorik ist der FN der einzige Anwalt des Volkes, der französischen Nation, die durch die konformistische politische Oligarchie bedroht ist. Dieses populistische Argument scheint mehr und mehr akzeptiert zu werden, zumal die klassische Rechte und die Sozialdemokratie die gleichen neoliberalen Maßnahmen vertreten und umsetzen. Zum anti-systemischen Diskurs kommt ein Diskurs der Viktimisierung hinzu, das heißt, der FN behauptet, das Opfer des Establishments zu sein, das in seiner Logik aus UMP und PS, aber auch aus den Massenmedien besteht, die als konformistisch und von den »realen« Sorgen der Menschen abgehoben eingestuft werden. Der FN zielt daher gegen die Massenmedien und die gesamte Journalistenzunft, wobei er seit 2011 die bei Weitem umfassendste Medienberichterstattung und die meiste Übertragungszeit im Fernsehen und Radio hat. Vor der Normalisierung war dieser Verfolgungs- und Anti-System-Diskurs weniger effizient, da es für Massenmedien und politische Gegner einfach war, die Ausgrenzung mit den rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen und neofaschistischen Zügen der Partei zu rechtfertigen. Heute, im Kontext eines starken Vertrauensschwunds der französischen Bevölkerung in die politischen Institutionen, ist die Anti-Establishment-Rhetorik ein sehr wichtiges Instrument für den FN.
Das Herz der ideologischen Verschiebung der Partei liegt im Aufgreifen des Themas der Unsicherheit. Dieses wird auf drei verschiedene Weisen durchdekliniert: kulturelle Unsicherheit, soziale Unsicherheit und traditionelle, durch Kriminalität verursachte Unsicherheit. Um die angebliche Zunahme der Unsicherheitsgefühle zu erklären, setzt der FN auf einen Sündenbock: die Globalisierung. Die neoliberale Globalisierung wird für die soziale Unsicherheit verantwortlich gemacht, weil sie die Deindustrialisierung und die hohe Arbeitslosenquote (durch Sozialdumping) verursacht hat. Sie wird aber auch für den Anstieg der Einwanderung verantwortlich gemacht, da die neoliberale Agenda die Öffnung der Grenzen einschließt (und so den freien Verkehr von Waren mit der Freizügigkeit des Personenverkehrs verwechselt). Der FN behauptet, dass die Einwanderung Millionen von Ausländern ins Land gebracht habe, die den französischen Arbeitnehmern Jobs und Sozialleistungen wegnehmen würden. Darüber hinaus werden diese Ausländer beschuldigt, ihre muslimische Kultur und die islamische Religion zu importieren und damit die kulturelle und religiöse Identität der französischen Nation zu bedrohen. Schließlich wird die Theorie vertreten, dass die Immigranten die Kriminalitätsrate erhöhen, da sie keine patriotische Loyalität besitzen, und dass sie hohe Kosten für staatliche Almosen verursachen. Diese ideologische Mischung ist extrem gefährlich, denn sie formuliert eine kohärente Antwort auf die Ängste großer Teile der französischen Bevölkerung, die von Prekarität, Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg betroffen sind. Die Schlüsselelemente des früheren Programms bleiben erhalten, fügen sich aber in einen größeren ideologischen Rahmen ein, der sich an die unteren Volksklassen und die Opfer der neoliberalen Politik wendet.
Die Verschiebung des Einwanderungsdiskurses vom biologischen zum kulturellen und postkolonialen Rassismus sollte nicht als eine Form der Mäßigung interpretiert werden, fällt sie doch mit der Verbreitung der Verschwörungstheorie des »großen Bevölkerungsaustauschs« zusammen, demzufolge die christliche weiße Bevölkerung Europas durch muslimische Einwanderer aus Afrika, dem Maghreb und dem Nahen Osten ersetzt werden soll. Mit diesem Diskurs heizte der FN den Diskurs um Entwicklungen an, die ihm zugutekamen: die allmähliche Zunahme der Islamophobie, die Flüchtlingskrise und die Terroranschläge des »Islamischen Staates« im Jahr 2015. Die Partei war in der Lage, eine klare und einfache Argumentation zu diesen Ereignissen bereitzustellen, indem sie die Einwanderung zur Ursache all dieser Phänomene erklärte. Die islamophobe Rhetorik führte sie auch dazu, ihre Position zu Frauenrechten zu ändern: von einer sehr konservativen Position hin zur Verteidigung der Frauenrechte, die vom Islam bedroht seien. Ihr islamophober Diskurs geht mit der Verteidigung einer traditionellen französischen Identität einher, die auf dem Essentialismus[18] beruht, der vom Multikulturalismus angegriffen werde.
Zudem thematisieren sie eine kulturalistische Beziehung zwischen Delinquenz und Einwanderung: Da Immigranten nicht die traditionellen westlichen Werte wie Ehrlichkeit und Respekt teilen, seien sie für die vermeintliche Zunahme asozialer Verhaltensweisen, Straftaten und Verbrechen verantwortlich. Die Mobilisierung des Klischees einer Nation, die durch eine äußere Invasion bedroht sei, die ihre Kultur zerstören werde, ist ein klassisches politisches Manöver der extremen Rechten, aber es war in den letzten Jahren in Frankreich durchaus erfolgreich (wobei die Verarmung der unteren Klassen wahrscheinlich eine große Rolle beim Aufgreifen dieses Narrativs spielte).
Darüber hinaus musste der FN nicht viel an seiner Programmatik ändern: Er vertritt weiterhin die Forderung, die Grenzen zu schließen, um die Einwanderung einzudämmen, die illegalen Einwanderer zu vertreiben und die »nationale Präferenz« umzusetzen, d.h. die Idee, dass französische Bürger beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Arbeitsplätzen gegenüber ausländischen Bewohnern bevorzugt werden sollten. Schließlich legitimierten das Vorgehen der klassischen Rechten und insbesondere Sarkozys sowie die Einwanderungspolitik der PS-Regierungen seit 2012 den Diskurs des FN, da sie teilweise dessen Analysen bestätigten.
Die wichtigste Veränderung fand auf wirtschaftlichem Gebiet statt: In den 1980er und 90er Jahren hatte der FN die Reformen Thatchers und Reagans noch verherrlicht und ein neoliberales Programm vertreten. Marine Le Pen verkörpert diese Umstellung auf eine sozialere Wirtschaftspolitik, diese Verschiebung begann aber bereits vor ihrem Aufstieg an die Parteispitze. Seit Mitte der 2000er Jahre vertritt der FN die Verteidigung des Sozialstaates und des nationalen Interesses, aber auch der Marktwirtschaft.[19] Eine der wichtigsten Grundlagen ist eine Form des nationalistischen Kapitalismus (oder des Wohlfahrtschauvinismus[20]): Durch die Umsetzung der nationalen Präferenz, die Kürzung von Sozialleistungen und die Ausweisung illegaler Einwanderer, wodurch arbeitslose Franzosen deren Jobs zurückbekommen, wird der Wohlfahrtsstaat nicht mehr zum Defizitfaktor. Der FN rechtfertigt diese fremdenfeindliche Programmatik mit der Notwendigkeit, einen funktionierenden Sozialstaat aufrechtzuerhalten, was eine massive Begrenzung der Kosten der Einwanderung erfordere (wobei Frankreich faktisch wirtschaftlich von der Einwanderung profitiert[21]). Mit dem Zusammenbruch der radikalen Linken in Frankreich in den 1980er, 90er und 2000er Jahren und der neoliberalen Verwandlung des PS gelang es dem FN, sich zum Anwalt der Arbeiterklasse aufzuschwingen und die gesellschaftliche Diskurshoheit über ökonomische Fragen zu behaupten. Aber aus einem allgemeineren Blickwinkel zeigt sich eine Art Bismarckscher Haltung zur Ökonomie: Der FN will den französischen Firmen durch Steuererleichterungen helfen, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, er plant, die Schulden und die öffentlichen Ausgaben (vor allem für Kultur und Bildung) zu senken und gleichzeitig die Sozialleistungen aufrechtzuerhalten. Die andere Haupteinnahmequelle zur Finanzierung dieses Programms ist die Wiedererhebung von Zöllen und die Besteuerung ausländischer Waren. Ein Merkmal dieses Bismarckschen Projekts ist die Übernahme einer protektionistischen Agenda durch den FN, die mit seiner Vorstellung von der Europäischen Union im Einklang steht.
In der neuen Ideologie des FN ist die EU nämlich die Synthese der unbegrenzten Einwanderung und der neoliberalen Deregulierung. Die Partei profitiert von der wachsenden EU-Skepsis und hat daher ihre Kritik an der EU zugespitzt. Der FN richtet seinen europäischen Diskurs an der Idee der Wiedererlangung der – in der europäischen Konstruktion verloren gegangenen – Souveränität aus: Währungs- und Handelssouveränität, Grenzkontrollen, aber auch wirtschaftliche und juristische Souveränität, was der Ablehnung einer supranationalen Ordnung entspricht. Der FN entwickelte seine Anti-EU-Rhetorik zur Kritik der EU weiter, verbunden mit der Forderung nach einem »Europa der Nationen«, das auf nationaler Souveränität aufbaut. Die EU wird verantwortlich gemacht für die hohe Arbeitslosenquote im Gefolge des Sozialdumpings, das zum Teil durch die 2006 verabschiedete Bolkenstein-Richtlinie bedingt ist, die den europäischen Dienstleistungsmarkt liberalisierte. Marine Le Pen droht mit dem Frexit, wenn es ihr nicht gelingt, die EU in ein Europa der Nationen zu verwandeln. Sollte sie gewählt werden, will sie ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft abhalten und in einer zweiten Phase einen Verhandlungsprozess mit Brüssel beginnen. Ferner plädiert sie für einen Ausstieg aus der Eurozone, um die Möglichkeit zur Abwertung der Währung und somit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen.
Die ideologische Verschiebung vom Neoliberalismus zum Bismarckschen, fremdenfeindlichen Kapitalismus ermöglichte es dem FN, die verarmten Arbeiter und Angestellten durch eine vereinfachte Rhetorik anzusprechen, die sich gegen zwei Feinde richtet: den Einwanderer und die EU. Die Verbindung von Islamophobie und der Forderung nach Wiederherstellung einer erträumten französischen Identität, die von traditionellen kulturellen Werten geprägt ist (wie auch von der Autorität des Staates), bildet einen nationalistischen und populistischen Diskurs, der weit über die traditionellen Wähler der Partei hinausreicht. Die Artikulation der drei Formen der Unsicherheit verschafft dem FN die Gelegenheit, sehr unterschiedliche Wähler hinter sich zu versammeln, indem er mit den Ängsten der Menschen spielt und sie sich zunutze macht. Allerdings ist sein sozialer Diskurs nicht nur fremdenfeindlich, sondern inkohärent, da er nicht auf die Fragen der Finanzmärkte, die Kaufkraft oder den Anstieg der Löhne eingeht. Weder die Entwicklung öffentlicher Dienstleistungen noch Konjunkturprogramme werden darin erwähnt. Des Weiteren beruht seine Diagnose auf einer falschen Annahme, da der Sozialversicherungsbeitrag der in Frankreich lebenden Immigranten viel höher ist als die Sozialleistungen, die sie erhalten. Dennoch zeigt diese neue Programmatik den Übergang von einer traditionellen rechtsextremen zu einer rechtspopulistischen Partei, die eine souveränistische, konservative, euroskeptische, anti-systemische, nationalistische und islamophobe Partei ist.
Wer sind die Wähler des Front National?
Um die Zusammenhänge zwischen der beschriebenen ideologischen Erneuerung und den Wahlerfolgen in den letzten fünf Jahren zu verstehen, bedarf es einer Analyse der Wählerschaft des FN. Wenn man sich der Frage mit sozialen Kategorien nähert, können drei Wählergruppen der Partei ausgemacht werden. Die erste Gruppe gehört zur gutsituierten Bourgeoisie, bei ihr sind traditionelle Werte der extremen Rechten stark verankert (fundamentalistischer Katholizismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie). Dann gibt es eine Gruppe aus der Mittelschicht, hauptsächlich Handwerker und Kaufleute, die vom protektionistischen und »poujadistischen«[22] Diskurs angezogen wird und die wirtschaftliche Globalisierung sowie den Niedergang der französischen Nationalidentität sehr kritisch bewertet. Die dritte Gruppe gehört der unteren Schicht und der Arbeiterklasse an, sie sieht sich stark vom sozialen Abstieg betroffen und ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Prekarität und Arbeitslosigkeit. Diese letzte Gruppe wirft viele Fragen für die Linke auf, zumal mehrere Experten behaupten, dass frühere Wähler der radikalen Linken (hauptsächlich ehemalige Wähler der Kommunistischen Partei, PCF) jetzt für die FN stimmen.[23]
Diese Annahme wurde nicht bestätigt; unter Wissenschaftlern besteht im Allgemeinen Konsens, dass jene Arbeiter und Angestellten, die vorher die Rechte gewählt haben, zur extremen Rechten abgedriftet sind, während jene Wähler aus der Arbeiterklasse, die traditionell für den PS und den PCF stimmten, sich zunehmend der Stimme enthalten haben. In den vergangenen 20 Jahren konnte bei den Wählern der Arbeiterklasse ein starker Rückgang der Stimmen für die klassische Rechte und die Sozialdemokratie beobachtet werden – verbunden mit einem beträchtlichen Anstieg der Wahlenthaltung und einem Übergang der traditionellen rechten Wähler zum FN. Das führt dazu, dass der FN vor dem Hintergrund einer massiven Wahlenthaltung der unteren Klassen derzeit 30 bis 40% der Wähler aus der Arbeiterklasse repräsentiert. Es ist interessant zu beobachten, dass es dem FN gelungen ist, seine Wählerbasis durch die Gewinnung von Nichtwählern sowie eines Teils der rechten Wählerschaft und insbesondere der rechten Wähler aus den unteren Klassen zu verbreitern. Die Anziehung von Wählern, die zuvor für die Linke gestimmt haben, ist im Verhältnis zu den Verlusten der Rechten oder zu den Zugewinnen unter den Nichtwählern gering. Zudem bilden die FN-Wähler aus der Arbeiterklasse eine besondere Gruppe, da sie sich fast ausschließlich aus Arbeitnehmern des privaten Sektors rekrutieren, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind.
Ein weiterer interessanter Ansatz, um die Wählerstruktur des FN zu erfassen, ist ihre geografische Verteilung. Erstens gibt es ein konstantes Ost-West-Gefälle: Die Partei ist im Osten von Frankreich viel stärker als im Westen. Diese Spaltung lässt sich durch strukturelle Faktoren erklären: die Existenz einer linksgerichteten katholischen Tradition im Westen und die starke Präsenz von Nachkommen der Pied-noirs (der einstigen französischen Siedler in Algerien) im Südosten. Ein neuer Aspekt sind die großen Wahlerfolge in den ländlichen und suburbanen Gebieten. Diese Gebiete wurden am stärksten von der Deindustrialisierung getroffen, dort besteht hohe Arbeitslosigkeit und Prekarität, kombiniert mit einem Mangel an öffentlichen Dienstleistungen und sozialem Zusammenhalt.[24] Auf der anderen Seite ist der FN in den Metropolen und Stadtzentren und selbst in den von Armut geprägten Banlieues, dem Schmelztiegel, in dem viele Nachkommen von Immigranten aus der ersten Generation leben, nicht erfolgreich. Diese Schwäche in den Banlieues, die von Multikulturalismus geprägt sind, ist vor dem Hintergrund ihrer Stärke in suburbanen Gebieten zu betrachten. Einige Wissenschaftler führen an, dass dies die Wirkung des fremdenfeindlichen und islamophoben Diskurses des FN auf jene gesellschaftlichen Gruppen zeigt, die nicht täglich mit der Realität der Einwanderung konfrontiert werden, die aber Angst vor ihr haben und die Zuwanderung als eine Ursache ihrer sozialen Situation betrachten.[25]
Es ist bemerkenswert, dass die FN-Wählerschaft schon seit Langem von sozialer Diversität geprägt ist,[26] doch in den letzten zehn Jahren gelang es der Partei, sowohl Wähler aus begüterten Schichten zu halten als auch vermehrt Wähler aus der unteren Mittelklasse und einen beträchtlichen Teil der noch zur Wahl gehenden Teile der Arbeiterklasse anzuziehen. Diese Dynamik zeigt, dass die oben erwähnte ideologische Reorganisation des FN nicht zum Absprung der traditionellen bürgerlichen oder poujadistischen Mittelklasse-Wähler geführt hat und dass es tatsächlich gelungen ist, drei sehr unterschiedliche Gruppen mit verschiedenen Wahlmotiven um die neue rechtspopulistische Partei zu versammeln.
Linke Strategien gegen den FN und den Rechtspopulismus
Aus einer politisch aktiven Perspektive müssen wir uns zunächst bewusst machen, welche Auswirkungen die Veränderung des Diskurses, der Programmatik und der Wählerbasis des FN hat. Diese Verschiebungen ähneln der Entwicklung anderer rechtspopulistischer Parteien in Europa, etwa der niederländischen PVV oder der FPÖ.[27] Es sollte nicht der Fehler gemacht werden, sie als Zeichen einer Mäßigung des FN zu verstehen. Vielmehr ist offenbar eine Strategie zu beobachten, mit der die Wahrnehmung dieser Partei verändert werden soll, um ihre Marginalität zu brechen und den FN in die Lage zu versetzen, an die Macht zu gelangen.
Die Vortäuschung eines sozialen Diskurses über ökonomische Fragen, die Selbststilisierung des FN als alleiniger Bewahrer der französischen Nationalidentität und die islamophobe Rhetorik – diese Kombination ist die Folge eines radikalen Wandels, der sich am Wendepunkt der Parteigeschichte 2011 einstellte, als Marine Le Pen die Führung übernahm. Indes verfolgt der FN schon lange eine Strategie der Machteroberung auf der Grundlage der Eroberung der Hegemonie, und wir sollten nicht vergessen, dass der aktuelle Erfolg durch endogene Faktoren (wie in diesem Beitrag erläutert), aber auch durch exogene Faktoren erklärt werden kann. Zu Letzteren gehören die Schwäche der radikalen Linken und der historische Prozess der Annäherung der Sozialdemokratie an den Neoliberalismus und Finanzkapitalismus.
Um dem FN erfolgreich entgegenzutreten, braucht die radikale Linke eine treffsichere Strategie, die defensive und offensive Aspekte miteinander verbindet. Die Defensivstrategie bezieht sich auf Aktionen, mit denen die Erfolgswelle des FN zu stoppen wäre, vor allem aber auf die Dekonstruktion seines Diskurses und die im großen Stil zu verbreitenden Analysen dessen, was sie wirklich vorschlagen, aber auch auf Methoden, wie sie zu bekämpfen ist. Andererseits müssen wir auch die Offensive zurückgewinnen: mit einer progressiven eigenen Agenda, um das Kräfteverhältnis wieder zu unseren Gunsten zu verändern.
Der erste Schritt des defensiven Ansatzes erfordert eine gründliche und eingehende Analyse der verschiedenen Seiten des FN: seiner Wählerbasis, seiner Erfolge im Parlament und in den lokalen Regierungen, seiner Verbindungen zu neofaschistischen Gruppen, seiner statistischen Begründungen für seine Analyse usw. Die Idee ist, von einer moralischen Verurteilung und einem (nicht mehr funktionierenden) dämonisierenden Ansatz zu einer rationalen, präzisen und massiven Dekonstruktion seiner Analysen und Behauptungen zu gelangen, um deutlich zu machen, was die Vertreter des FN vorschlagen und wer sie sind, und um ihr Image infrage zu stellen und ihre Glaubwürdigkeit anzugreifen (die sich aus ihrer abstrusen Bewertung der Kosten für die Einwanderung und ihrem Schreckbild einer Islamisierung Frankreichs speist). Um das Schlagwort des FN, selbst »weder links noch rechts« zu sein, zu entmystifizieren, muss diese Analyse die Politik aufgreifen, die von Parlamentsabgeordneten des FN und von Mitgliedern der Nationalversammlung sowie von ihren Amtsträgern in den lokalen Behörden vertreten wird, um ihre Nähe zu einer neoliberalen und an Austerität orientierten Politik herauszuarbeiten.[28] Dieser ideologische Kampf erfordert eine massive Verbreitung von Flugblättern und Schriften mit entsprechenden Analysen. Es gibt hierfür bereits einige Strukturen wie VISA,[29] eine Sammlungsbewegung der wichtigsten linken Gewerkschaften (CGT, FSU, Solidaires) zum Kampf gegen die extreme Rechte. Zusätzlich zu den bestehenden Strukturen muss sich die Arbeit der Dekonstruktion auf kleine Unternehmen und – mit Haustürkampagnen – auf Arbeiterviertel erstrecken. Eine zeitlich unbefristete Kampagne ist unverzichtbar, insbesondere weil der FN-Diskurs in den Medien weit verbreitet ist. Zweitens muss die radikale Linke einen Teil ihrer eingefahrenen Gewohnheiten ändern, um politische Verhaltensweisen zu überwinden, mit denen sich der FN in seiner Analyse des politischen Spektrums bestätigt sieht. Dazu gehört, die Taktik der »republikanischen Front« aufzugeben, eine Taktik, die eine Sammlung des gesamten politischen Spektrums organisiert, ohne ein gemeinsames Programm oder eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Sie erscheint nur als eine dogmatische Opposition gegen den FN, und dieser kann sich leicht als Anti-System-Partei charakterisieren, während er diejenigen Parteien, die Teil der »republikanischen Front« sind, zum Establishment erklärt, das den Status quo verteidigt.
Auch wenn diese Maßnahmen den Aufstieg des FN aufhalten und ihn sogar in die Defensive drängen können, so garantieren sie noch keine Veränderung der kulturellen Hegemonie im ideologischen Kräfteverhältnis. Hierfür ist zunächst anzuerkennen, dass der FN zum Teil richtig liegt: Die Sozialdemokratie und die klassische Rechte setzen die gleichen politischen Strategien um, und François Hollande ist in gewisser Weise noch schlimmer als Nicolas Sarkozy (siehe die Arbeitsmarktreform [Loi Travail], die Debatte über den Entzug der Staatsangehörigkeit, den Europäischen Fiskalpakt, den Ausnahmezustand). PS und Les Républicains vertreten einen hegemonialen Konsens bezüglich neoliberaler Wirtschaftspolitik und überzogener Sicherheitsmaßnahmen. Der Kern des Problems besteht darin, dass der FN als Herausforderer dieser Hegemonie erscheint. Und es ist leicht für ihn, als Alternative zum »Establishment« zu erscheinen, wenn die Linke ein homogener Block ist.
Dem bipartistischen Narrativ des FN zufolge ist das politische Spektrum in zwei Blöcke geteilt: den FN und das Establishment. Seit 2012 nimmt der PS den Aufstieg der FN zum Anlass, das politische Narrativ in Richtung Tripartismus umzuformen: die Linke, die Rechte und die extreme Rechte. Das impliziert die Einheit der Sozialdemokratie und der radikalen Linken. Die Rechte hat dieses Narrativ übernommen, weil es ihr zupasskommt. Somit wird die radikale Linke mit dem PS verschmolzen, das heißt mit jener Partei, die seit vier Jahren neoliberale Politik umsetzt, die Gewerkschafter und Demonstranten verfolgt, die gegen das Arbeitsmarktgesetz demonstriert haben, und die pro Jahr mehr illegale Einwanderer abgeschoben hat als Sarkozy. Es ist offensichtlich, dass die Position des FN als Gegner der neoliberalen Hegemonie unangefochten bleibt, es sei denn, die radikale Linke bricht mit der Sozialdemokratie. Wenn die radikale Linke weiterhin als Hilfskraft des sozialen Liberalismus erscheint, dann wird die neoliberale Hegemonie nicht aus einer linken Perspektive herausgefordert.
Die Trennung von der Sozialdemokratie ist für uns die einzige Möglichkeit, eine Gegenhegemonie zu schaffen, die auf sozialer Transformation basiert. Wir müssen als eine glaubwürdige Alternative zum Neoliberalismus und zum Rechtspopulismus erscheinen (was auch bedeutet, keine Kompromisse bezüglich unserer emanzipatorischen Werte, vor allem auf dem Gebiet der Einwanderung, des Multikulturalismus oder im Kampf gegen Islamophobie einzugehen, die bis heute eine Trennlinie innerhalb der radikalen Linken darstellt).
Die Kombination aus einer langfristig zu führenden Kampagne der Dekonstruktion und der Entstehung einer klaren linken Alternative kann den FN zurückdrängen, da sie der radikalen Linken ermöglicht, die dominante Hegemonie herauszufordern. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn die radikale Linke für die Probleme der unteren Klassen Lösungen bietet, dann gewinnen wir und der FN verliert an Boden. Während der sozialen Bewegung gegen die Arbeitsmarktreform war vom FN nichts zu hören, die Partei bestimmte nicht mehr die politische Agenda oder die Themen in den Massenmedien. Warum? Weil die Gewerkschaften, die Parteien der radikalen Linken und die Studentenbewegungen sich zu dieser Zeit in einer Position der Stärke befanden. Nicht nur über den direkten Kampf gegen den FN können wir uns diesem erfolgreich entgegensetzen, sondern auch über die Herausbildung einer starken, glaubwürdigen radikalen Linken.
Der Artikel erschien in der Sozialismus-Ausgabe 02/2017. Die Zeitschrift ist ein Forum für die politische Debatte der gewerkschaftlichen und politischen Linken. (Probe-)Abonnements können auf www.sozialismus.de abgeschlossen werden. Antoine de Cabanes studiert Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an der Sorbonne in Paris; er ist Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und von Espaces Marx. Übersetzung aus dem Englischen von Marion Fisch.
[1] www.oe24.at/oesterreich/politik/Hofer-fuehrt-im-Hofburg-Thriller/259205883
3 Antworten
Wieso nennen Sie sich „Portal für den kritischen Journalismus“ – wenn hier ganz klar linke Hetzkampagnen betrieben werden????
Der obige Artikel entspricht genau DEM populistischen Gehetze, was eben den „rechtspopulistischen Parteien“ vorgeworfen wird – mal DARÜBER nachdenken?
Hat mit Freiheit, Demokratie und Toleranz NICHTS, aber auch GAR NICHTS MEHR ZU TUN und DAS ist äusserst schade, aber auch verwerflich.
Wieso nennen Sie sich „Portal für den kritischen Journalismus“ – wenn hier ganz klar linke Hetzkampagnen betrieben werden????
Der obige Artikel entspricht genau DEM populistischen Gehetze, was eben den „rechtspopulistischen Parteien“ vorgeworfen wird – mal DARÜBER nachdenken?
Hat mit Freiheit, Demokratie und Toleranz NICHTS, aber auch GAR NICHTS MEHR ZU TUN und DAS ist äusserst schade, aber auch verwerflich.
Achja, genauso WIDERWÄRTIG UND VERWERFLICH finde ich unter „Polls“ die „Umfrage“ zum Verhalten der Kölner Polizei an Silvester – WESHALB GIBT ES NICHT DIE MÖGLICHKEIT – N E I N – ODER – WAR GERECHTFERTIGT – ANZUKLICKEN????
WAS IST D A S. FÜR EIN PORTAL? Nur für absolute linksextreme Linksfaschisten? Ich bin wirklich irritiert…..