Die Linke und die SED – Von der Irreverenz eines Vergleichs

Die Linke mit der Sozialistischen Einheitspartei (SED) der DDR gleichzusetzen, ist ein altbewährtes Mittel, um Ressentiments und Vorurteile gegen diese Partei heraufzubeschwören. Gerade in der Rhetorik bürgerlicher und konservativer Politikerinnen und Politiker erweist sich die Aussage erstaunlicherweise resistent, obschon nun seit dem Wandel von SED in PDS nun mehr als dreißig Jahre vergangen sind.

Zu Beginn einige terminologische Klarstellungen, denn bedauerlicherweise ähnelt die Debatte um Kommunismus und Sozialismus in Deutschland gelegentlich den hysterischen Konflikten in den USA, in denen jede auch nur annähernd liberale oder progressive Politik pauschal und diffus als Sozialismus abgetan wird und in denen „kommunistische“ Staaten wie China und Russland, die wohl nach genauerer Betrachtung so viel mit Kommunismus gemein haben wie Karl Marx mit Friedrich Hayek, heraufbeschworen werden.

Erstens: Es gab in der Geschichte (noch) keinen kommunistischen Staat. Die Staaten des Warschauer Paktes, darunter die U.D.S.S.R. und die DDR waren realsozialistische Staaten, die sich der kommunistischen Idee verpflichtet hatten und auf Verwirklichung dieser hinarbeiteten oder diesen Anspruch an sich hatten.

Der in der DDR bestehende Realsozialismus sollte eine Abgrenzung zum „utopischen“ demokratischen Sozialismus sein. Der demokratische Sozialismus, in dem die Wirtschaft tatsächlich vergesellschaftet und nicht lediglich verstaatlicht und die umfassende demokratische Beteiligung gesichert war, wurde bekanntermaßen in der DDR mit ihrer Zentralverwaltungswirtschaft und ihrem demokratischen Zentralismus verfehlt.

Realistische Chancen, diesen zu erreichen, gab es wohl lediglich Ende der 1940er Jahre und kurzzeitig 1989/1990, als verschiedene Ansätze noch zur Diskussion standen und Mehrheiten jenseits der ideologisch gefestigten Blöcke möglich schienen. Diese Nuancen werden im populärhistorischen oder medialen Diskurs selten bis gar nicht wahrgenommen. Ähnlich komplex gestaltet sich die Darstellung der Geschichte der Partei Die Linke und ihre Wurzeln in der SED.

Zur historischen Entwicklung

Die SED war die Regierungs- und Staatspartei der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die das Land von 1949 bis 1989 regierte. Ihr Führungsanspruch war in der Verfassung verankert. Gegründet wurde sie aus der forcierten Vereinigung zwischen Kommunistischer Partei Deutschlands (KPD) und Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD) in der sowjetischen Besatzungszone. Sie bestimmte bis zum Fall der Mauer und der politischen Wende von 1989 die Geschicke der DDR. Politisch bestimmend war bis 1989 der Marxismus-Leninismus mit einer starken sowjetischen Prägung in Anlehnung an die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU).

Von ihrem Aufbau her war die SED hierarchisch: An der Spitze stand das Politbüro des Zentralkomitees, dessen Führung wiederum der Generalsekretär übernahm und welches sich unter anderem aus gewählten Mitgliedern des Zentralkomitees (ZK) zusammensetzte. Das ZK wiederum wurde vom in mehrjährigen Abständen stattfindenden Parteitag gewählt. Die parteilichen Strukturen zogen sich weiter auf die Ebene der Bezirke, Kreise, Städte und Dörfer bis in einzelne Einrichtungen, Betriebe und Wohnsiedlungen. Als Kaderpartei setzte die SED auf Rekrutierung und Ausbildung ihrer leitenden Funktionäre und Mitglieder aus der Bevölkerung. Diese sollten nach intensiver ideologischer Schulung das marxistisch-leninistische Weltbild verinnerlichen. Die Mitgliederzahl belief sich im Oktober 1989 auf 2,3 Millionen, womit die SED größte und mitgliederstärkste Partei der DDR war.

Die bedeutenden Umbrüche des Jahres 1989 in der DDR hatten auch Auswirkungen auf die Staatspartei. Im Zuge der politischen Wende und den anhaltenden Protesten in der Bevölkerung wurde am 1. Dezember 1989 der Führungsanspruch der SED aus der Verfassung der DDR gestrichen. Dem folgte am 3. Dezember 1989 der Ausschluss zahlreicher Politbüro-Mitglieder nach deren kollektiven Rücktritt, darunter der Generalsekretär des ZK der SED und langjährige Staatschef Erich Honecker sowie der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke. Dem vorangegangen waren Zerfallserscheinungen und massive Austritte.

Dem drohenden Zusammenbruch der Partei sollte mit Sonderparteitagen am 8./9. Dezember 1989 und am 16./17. Dezember 1989 entgegengewirkt werden. Bei diesen wurden die wesentlichen Grundlagen für die künftige politische und organisatorische Ausrichtung der Partei bestimmt. Es wurde der endgültige Bruch mit dem Stalinismus und dem demokratischen Zentralismus, der bis dahin die Kontrolle aller Institutionen der DDR der SED sicherte, beschlossen. Als Parteivorsitzender wurde Gregor Gysi, als Stellvertreter Wolfgang Berghofer, damaliger SED-Oberbürgermeister von Dresden, und Hans Modrow, damaliger Chef der SED-Kreisleitung Dresden, gewählt.

Bei der Neubesetzung von Posten in der Partei wurde auf demokratische Legitimation und die kritische Haltung der Kandidatinnen und Kandidaten gesetzt. Von entscheidender Bedeutung war im Rahmen der Sonderparteitage die Frage der Auflösung und Neugründung gegenüber der Reform von innen. Mit einem klaren Votum entschieden sich die Parteimitglieder für den Erhalt und die damit verbundene Sicherung von Parteieigentum, Arbeitsplätzen und organisatorischen Strukturen.

Inhaltlich gab es den wohl radikalsten Wandel in der Parteigeschichte: ein Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus und zum Stalinismus, dessen Verfehlungen man akzeptierte. Dieser Sozialismus sollte geprägt sein durch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Humanismus, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Beschlossen wurde ebenfalls der neue Name SED/PDS, wobei PDS für Partei des Demokratischen Sozialismus steht.

Mit der Ankündigung von Volkskammerwahlen für das Jahr 1990 wurde der Erneuerungsprozess intensiv weiter vorangetrieben. Im Januar des Jahres wurden auch weitere belastete Mitglieder wie Egon Krenz, Günter Schabowski und Heinz Keßler ausgeschlossen. Im Februar wurde schließlich der Name SED vollständig aufgegeben.

Programmatisch zog die PDS mit einer Forderung nach „Demokratischen Freiheiten für alle. Sozialer Sicherheit für jeden.“ in den Wahlkampf. Im Vordergrund stand vor allem der Erhalt der sozialen Errungenschaften der DDR, etwa die soziale Gerechtigkeit, die Existenzsicherheit, die Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Kultur, die Gleichstellung von Mann und Frau, das Netz von Kindereinrichtungen und der antifaschistische Charakter der DDR. Diese waren im Zuge des massiv von sämtlichen westdeutschen Parteien geförderten Wahlkampfes zunehmend hinterfragt und verunglimpft worden. Die von der „Allianz für Deutschland“ und der Kohl-CDU präferierte überstürzte Wiedervereinigung wurde abgelehnt. Gefordert wurde stattdessen eine Konföderation beider Staaten, die perspektivisch zu einem entmilitarisierten und neutralen deutschen Staatenbund führen sollte.

Auch das Selbstverständnis der Partei wurde neu begründet. Als gescheitert angesehen wurde die bürokratische und autoritäre Umsetzung des Sozialismus, nicht jedoch der Sozialismus als solcher, der nach wie vor als politischer Leitwert galt. Man setzte sich daher für die Fortsetzung der friedlichen Revolution ohne Abrechnung, aber auch ohne Vergessen ein. Der Stalinismus in Politik, Theorie und Denken sollte umfassend beseitigt werden. Man sah sich in der Tradition der Arbeiterinnenbewegung und deren Parteien (darunter KPD, SPD, USPD, Spartakusbund und andere).

Nach der Volkskammerwahl 1990 (16,4 Prozent für die PDS) musste die Partei in die Opposition. Sie stellte ihre politische Arbeit um, verstand sich nunmehr nicht mehr als Kader- oder Staatspartei, zog sich zugleich aus Betrieben und Wohneinheiten zurück und glich sich somit den anderen Parteien an. Bereits 1991 bescheinigte eine ISDA-Studie einen grundsätzlichen Wandel; die PDS habe nicht mehr die Struktur einer Staatspartei.

Der inhaltliche Wandel wurde 1993 durch ein eigenes Parteiprogramm gefestigt, das in weiten Teilen mit den Beschlüssen des Sonderparteitags und den Schwerpunkten des Volkskammerwahlkampfes übereinstimmt. 2003 wurde folgender Passus in das Parteiprogramm aufgenommen:

„Die sozialistische Idee ist durch ihren Missbrauch als Rechtfertigung von Diktatur und Unterdrückung beschädigt worden. Die Partei sieht die Erfahrungen der DDR einschließlich der Einsicht in die Ursachen ihres Zusammenbruchs verpflichtet, das Verständnis von Sozialismus neu zu durchdenken. Das Programm konstruiert kein ‚Modell‘ einer sozialistischen Gesellschaft, das nur realisiert werden müsste, sondern geht von der einfachen Frage aus: ‚Was brauchen Menschen, um selbstbestimmt leben zu können?‘“

Im Ergebnis vollzog sich also ein Wandel – eine Abkehr vom Stalinismus und sämtlichen autoritären Tendenzen. Missbrauch und Unrecht wurden angeprangert bei gleichzeitiger Würdigung des Erreichten und Forderungen nach Erhalt und Ausbau in demokratischer Weise. Darüber hinaus wurden auch Themen aufgenommen, welche in der DDR vernachlässigt worden waren, also etwa die Ausweitung der Demokratie, verstärkt emanzipatorische Elemente, Umweltschutz und die Gleichstellung von Minderheiten.

Nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990 gelang es der PDS, auch in den gesamtdeutschen Bundestag zu kommen. Es folgten einige Regierungsbeteiligungen und Kooperationen auf Länderebene. Die Verankerung der Partei, auch im Westen, begann. Entscheidend vorangetrieben wurde das zunächst durch das Bündnis und anschließend der Vereinigung mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG). Diese Entwicklung setzt sich bis heute in den westdeutschen Bundesländern fort.

Mitgliederstruktur

Eine der wohl radikalsten Auswirkungen der bedeutenden Umbrüche von 1989/1990 betraf die Mitglieder der einstigen Staatspartei. Von den etwa 2,3 Millionen Mitgliedern traten im Zuge der politischen Wende etwa 95 Prozent aus. Die Mitgliederzahl betrug 1990 etwa 285.000, sank kontinuierlich bis 2006 auf 60.338 und stabilisierte sich seitdem.

Aufgrund einer überalterten Mitgliedschaftsstruktur entwickelten sich Todesfälle zu den primären Ursachen des Mitgliederschwunds. Hieraus ergibt sich allerdings auch der Schluss, dass mit dem Jahr 2021 die personellen und inhaltlichen Überschneidungen mit der ehemaligen SED auf ein Minimum reduziert wurden und dass sich dieser Prozess weiterhin fortsetzt. Stand 2021 haben etwa 80 Prozent der Linke-Mitglieder keine SED-Vergangenheit.

Selbstverständlich gibt es Mitglieder und Mitarbeiter, deren Biographien in die DDR/SED zurückreichen; aufgrund der demographischen Entwicklung ist die Zahl derer, die in der SED herausgehobene Positionen einnahmen, allerdings gering. In der Bundestagsfraktion der Linken waren von 69 Bundestagsmitgliedern zehn in der SED.

Noch bestehende Verbindungen

Zur Realität gehört, dass die heutige Linke mit der SED rechtsidentisch ist. Sie ist nie aufgelöst worden und besteht rein formell als Institution weiter. Dabei außer Acht gelassen wird, dass allein eine solche rechtliche Kontinuität wenig über die Institution an sich aussagt; insbesondere unter Berücksichtigung der radikalen Wandlung der politischen, demographischen und geographischen Verhältnisse seit 1990 in der ehemaligen DDR.

Medial immer wieder aufgegriffen wurde das Parteivermögen der SED. Teilweise wurde dieses durch Schenkungen an Parteimitglieder gesichert, teilweise gab es Versuche der unerlaubten Verschiebung durch Scheinzahlungen, so etwa der 1990 bekanntgewordene Putnik-Deal.

1992 verzichtete die PDS nach einer notariellen Einigung mit der Treuhandanstalt auf sämtliche Auslandsvermögen. Es folgte 1995 ein abschließender Vergleich, welcher jegliches neu aufgefundenes Vermögen an den Staat entfallen lässt. Von den zahlreichen Immobilien der SED blieben der PDS lediglich solche, welche auf die ursprüngliche KPD zurückgeführt werden konnte; so etwa das Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Seit dem Vergleich konnte auch keine Verwendung von Geldern aus der Zeit vor 1990 nachgewiesen werden. Gegen anderslautende Aussagen konnte erfolgreich vor Gericht vorgegangen werden.

Inhaltliche Abgrenzung

Entscheidend ist die inhaltliche Abgrenzung, die immer wieder aufs Neue infrage gestellt wird. Tatsächlich bekannte sich aber die PDS seit ihrer Grünung zu Demokratie und Menschenrechten. Belastete hochrangige Mitglieder der Staats- und Parteiführung wurden ausgeschlossen. Berücksichtigt werden muss die Position bis 1990, die sich in dem Wahlspruch für die Volkskammerwahl 1990 „progressiv – produktiv – pro DDR“ widerspiegelte und den Erhalt der DDR und ihrer Errungenschaften forderte.

Nach der vollzogenen Wiedervereinigung akzeptierte die PDS allerdings die Einheit, das politische System, die demokratischen Regeln und das fortan für die Gebiete der ehemaligen DDR geltende Grundgesetz. Ganz ausdrücklich wird im Programm und von einzigen Politikerinnen und Politiker das System der DDR als Ganzes abgelehnt. Das Parteiprogramm fordert weder die Einführung einer staatlichen gelenkten Planwirtschaft, noch die Enteignung zugunsten eines „volkseigenen Eigentums“; beides Merkmale staatssozialistischer Ausprägung. Wohlgemerkt wird diese Umsetzung als verfehlt angesehen, da es sich nicht um tatsächlich unter der Kontrolle der Werktätigen stehende Güter handelte, sondern letztendlich um Staatseigentum, welches der exklusiven Lenkung von Staats- und Parteiführung unterstand. Auch die stalinistische politische Kultur, in der eine politische Linie forciert und Gegenstimmen unterdrückt werden, ist der heutigen basisdemokratischen und pluralistisch gesinnten Linken fremd.

Es ist wohl dem Unwillen, sich mit dem tatsächlich von der Linken geforderten demokratischen Sozialismus und den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen, geschuldet, dass in inhaltlichen Debatten unsachgemäße Gleichsetzungen vorgenommen werden.

Positionierung anderer Akteure

Über Jahre hinweg wurde die PDS/Linke durch das konservative Parteienspektrum unter der ritualisierten Propagierung der Identität beider Parteien geächtet. Besonders deutlich zeigte sich dieser Eklat 1994, als die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag mit Ausnahme von Rita Süssmuth dem Alterspräsidenten Stefan Heym nach dessen Rede den Applaus verweigerte. Die Rote Gefahr wurde Gegenstand zahlreicher politischer („Zukunft ja – aber nicht auf roten Socken“) und medialer Kampagnen.

Die Publikationen der bürgerlichen und Boulevardpresse, allen voran der Axel-Springer-Verlag, der mit seinen Berichten immer wieder einen fehlgeleiteten politischen Aktivismus betreibt, werden nicht müde, die Linke als SED-Nachfolgepartei zu titulieren. Je nach Ansicht des jeweiligen Autors steht die Partei in verschiedenen Graden im Schatten ihrer Rechtsvorgängerin SED.

Indem die institutionelle Kontinuität mit der personellen oder gar der politischen gleichgesetzt wird, bedient man sich jedoch einer zutiefst pauschalisierenden und selektiven Betrachtung der Geschichte. Das Narrativ der abgesetzten Staatspartei, die die Wiedereinführung stalinistischer Verhältnisse anstrebt, vermag bei näherer Betrachtung, nicht zu überzeugen. Es bedarf erheblicher argumentativer Verrenkungen, diese Sichtweise weiterhin zu vertreten. Dies überrascht jedoch nicht im Hinblick auf die undifferenzierte Sicht, welche die deutsche Politik seit Jahrzehnten auf die nationale Geschichte hat und nach wie vor unangenehme Kapitel wie die Kolonialgeschichte, nationalsozialistische Verstrickungen oder den Ausverkauf der DDR-Wirtschaft ausblendet. Es erlaubt die Aufrechterhaltung des Feindbildes vom „bösen Ostblock“, der erst durch die Großzügigkeit des Westens erlöst wurde.

Folglich kann alles, was dem Osten zugeschrieben wird, als rückwärtsgewandt und verfehlt abgetan werden. Solche Weltbilder wären bei genauerer Betrachtung eher in den 1950er Jahren zu verorten, doch bis heute halten sie sich in den Vorstellungen konservativer Parteien. Warum auch ändern, wenn es um einiges angenehmer ist, die eigenen Verstrickungen zu verdrängen?

Dass die Ost-CDU bis heute von ehemaligen SED-Mitgliedern geprägt ist. Dass die CDU als bereits vor der Wende existierende Partei und Teil des Blocks der Nationalen Front Minister stellte und die Entscheidung der SED-Führungsclique mitgetragen hat, sie sich aber bis heute unter Aufrechterhaltung eines Mythos der demokratischen Musterpartei weigert, ihre Historie aufzuarbeiten. Dass die hastig herbeigeführte Wiedervereinigung um jeden Preis zur wirtschaftlichen Verödung Ostdeutschlands geführt hat. In diesem Text soll es nicht um die Vergangenheit der CDU gehen. Durch diese Aufzählung sollen aber die Nuancen verdeutlicht werden – die PDS war eine radikal verschiedene Partei als die SED. Sie bot als einzige eine Alternative zum Wildwest-Kapitalismus der 1990er Jahre. Wie, wenn sie sich nicht radikal gewandelt hatte, konnte sie ehemalige Kritikerinnen und Kritiker wie Stefan Heym oder Heinrich Graf von Einsiedel und prominente westdeutsche Akteure wie Manfred Müller und Uta Ranke-Heinemann als Kandidierende oder Mitglieder gewinnen? Die PDS hatte binnen kürzester Zeit ihre Rolle als Kämpferin für soziale Gerechtigkeit gefunden. Sie hatte nunmehr nicht mehr den Anspruch auf bedingungslose Zustimmung, sondern die Bereitschaft, mit den Mitteln des demokratischen Staates um diese zu kämpfen.

Eigene Positionierung

Seit ihrer Gründung war sich die PDS ihrer historischen Belastung bewusst. Bei der Wahl Gregor Gysis als Parteivorsitzender 1989 wurde ihm ein Kehrbesen übergeben, der symbolisch für eine Beseitigung der stalinistischen Elemente stehen sollte. Dies spiegelte sich in den Beschlüssen des Wahlprogramms 1990 und des Parteiprogramms 1993 wider. Das Erbe der SED ist in den Jahren 2011, 2013 und 2019 im Bundestag thematisiert worden. Für die Parteien CDU, FDP und AfD bleibt dies nach wie vor ein Diskussionsthema sowie ein Grund, Koalitionen bis hin zu Kooperationen jeglicher Art auszuschließen. Zu Vorwürfen bezüglich der SED-Geschichte hat sich die Partei jedoch umfassend geäußert.

So wurden die Vorwürfe mehrmals im Bundestag aufgegriffen, etwa von Stefan Liebich, Dietmar Bartsch oder Katja Kipping. Letztere bekannte sich beispielsweise 2019 zur Historie ihrer Partei und entschuldigte sich bei den Opfern der SED-Diktatur. Sie reiht sich ein in eine Gruppe jüngerer Politikerinnen oder Politiker, die die Aufarbeitung nicht scheuen. So sucht beispielsweise der Berliner Kultursenator Klaus Lederer den Kontakt zu Opferverbänden. Auch der bisher einzige Ministerpräsident der Linken, Bodo Ramelow, gab 2014 eine öffentliche Entschuldigung ab und erklärte die Ansiedelung der Aufarbeitung von in der Zeit der DDR begangenen Unrechts auf die Ebene der Staatskanzlei. Die Bundestagsfraktion der Linken unterstützte das Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer von DDR-Unrecht.

Von herausragender Bedeutung ist auch die Gründung einer innerparteilichen historischen Kommission, die sich mit der Geschichte der Partei kritisch auseinandersetzt. In ihren Stellungnahmen rechnet sie ab mit der diktatorischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie dem Missbrauch der sozialistischen Idee durch den Monopolanspruch der SED. Das dabei entstandene undemokratische System sei eine antimarxistische und undemokratische Verfremdung. Gleichzeitig entwickelten sich unter dem System auch Verantwortungsbewusstsein, Kreativität, Zusammenhalt und Leistungsbereitschaft. Nichts anderes als Anerkennung hierfür fordert die Linke auch heute noch.

Zusammenfassend

Wie nur wenige andere belastete Parteien hat die Linke ihre Parteihistorie aufgearbeitet, hat Streit hierüber geführt, Mitstreiterinnen und Mitstreiter verloren und neue dazugewonnen. Aus politischem Opportunismus wird in breiten Kreisen jedoch nach wie vor das Feindbild SED aufrechterhalten. Es ist leichter, die Konzepte der Linken als stalinistische Spinnereien abzutun, als sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Das würde nämlich das lückenhafte historische Wissen offenbaren, ebenso wie die Erkenntnis, dass 30 Jahre nach der Wiedervereinigung zwar die territoriale Einheit erreicht ist, die politische und gesellschaftliche jedoch noch lange brauchen wird. Dass auch die alten Ungerechtigkeiten der BRD nicht durch euphorische Reden von Einheit beseitigt wurden. Und dass dies alles ganz konkrete politische Ursachen hat.

Bis heute begleitet (junge) Mitglieder der Linken der Vorwurf von Eltern, Bekannten, Freunden – eine Ungerechtigkeit, mit der sie sich auseinandersetzen müssen und die es zu entkräften gilt. Nach genauerer Betrachtung ist die Gleichsetzung von SED und Linke ein historisch undifferenziertes, politisch opportunistisches Zerrbild einer unangenehmen Realität. Eine Realität, die sich nicht mehr in Kategorien aus der Ära Adenauer einordnen lässt. Dieser Text erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, möchte jedoch eine Stütze zur Argumentation bieten. Er plädiert auf eine differenzierte Sicht auf die Geschichte und soll anregen, historische Zusammenhänge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Immer, und heute mehr denn je, aus solchen, die den eigenen Ansichten auch zuwiderlaufen. Geschichte wird niemals politisch opportun sein.

Christian Köhler Pinzón, Jurastudent, aktiv bei DIE LINKE. Köln, aufgewachsen in Ost-Berlin und Lateinamerika.

Quellen:

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Eine Antwort

  1. Die LINKE und auch die PDS vorher hat nie dei Aufarbeitung gescheut, ganz im Gegensatz zu den bürgerlciehn Parteien im Westen in Bezug auf ihre Vorgeschichte und die ihrer Politiker:innen im NS-Regime, was zudem eine ganz andere Qualität als System des Massenmords und staatlichen Terrors hatte. Unterwerfungsgesten wie Erklärung der DDR als angeblicher „Unrechtsstaat“ (was nicht das Gleiche ist wie festzustellen, dass die DDR kein Rechtsstaat war) in Koalitionsverträge sind dagegen abzulehnen. Die DDR war ein legitimer und aufgrund der von den kapitalistischen Alllieerten betriebenen Staatsgründung in den Westzonen unvermeidlicher Versuch einen Sozialismus auf deutschem Boden aufzubauen. Dass und was dabei schief gegangen ist und nicht demokratischen Anforderungen entsprach steht u.a. im LINKE Grundsatzprogramm. Notwendig ist aber eine fundierte und ernsthafte Bewertung, die auch den Druck des kalten Krieges und der westlichen Politik dabei in Rechnung stellt. Es muss um Erklärung und Lernen aus der Geschichte gehen.

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