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Blühende Landschaften seh‘ ich nicht

Nach dem Wüten der Treuhand, dem systematischen Raubbau am Volksvermögen der ehemaligen DDR, dem systematischen In-die-Arbeitslosigkeit-Treiben vom Rassisten Thilo Sarrazin und Horst Köhler bleibt anno 2020 die bittere Erkenntnis: Deutschland bleibt auch nach 30 Jahren Einheit ein tiefgespaltenes Land

Vor einer Weile besuchte ich übers Wochenende eine gute Freundin in Weißwasser in der Oberlausitz nahe der polnischen Grenze. Abends gingen wir tanzen und feiern. Auf dem ehemals rastlosen, backsteincharmanten Glasindustriegelände gibt’s in der Hafenstube heute gelegentliche Live-Musik und Poetry Slam. Um am nächsten Morgen dem Kater nicht das Feld zu überlassen, machten wir eine ausgedehnte Radtour übers Land. Auf dem Weg aus der Stadt raus fuhren wir an einer ehemaligen Glashütte vorbei. Ich liebe das metaphertriefende Schauspiel von zarten Blumen und kräftigen Bäumen, die sich ihren Weg durch massiven Stein bohren – die Natur holt sich zurück, was ihr gehört. Wir fuhren weiter zum Tagebau Nochten, wurden vom genervten Security vertrieben, nahmen den Schleichweg durch den Wald und fuhren kilometerweit nahe der Abbruchkante entlang. Am Horizont die fetten Kühltürme des Kraftwerks Boxberg – auch liebevoll Wolkenmacher genannt. Ich habe zwar nie Herr der Ringe gesehen, doch vermute ich, dass so in etwa Mordor aussehen muss. Wir fahren weiter nach Mühlrose – eines der letzten deutschen Dörfer, die der Kohle weichen sollen. Die meisten Dorfbewohner*innen wie auch der Ortsvorsteher haben sich kaufen lassen und beziehen bald schicke neue Häuser einige Kilometer weiter. Nicht so der widerspenstige Günther. Im Dreiseitenhof seiner Familie ist er geboren und will hier auch sterben. Wir gehen rein, sitzen am wackligen Holztisch mit sorbischer Blümchentischdecke, trinken Mineralwasser aus Gläsern, die gewiss vor Jahrzehnten in einer der nahegelegenen Glashütten gezogen wurden. Stolz zeigt er uns die gesammelten Zeitungsartikel über ihn und sein Dorf, erzählt mit zitternder Stimme über seinen Protest, seine Unbeugsamkeit. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er sich weigert zu gehen, einfach weil er unfassbar stur ist oder weil ihm die politische Dimension seiner Taten tatsächlich ein Anliegen ist. Wir trinken aus und fahren zurück nach Hause, in Weißwasser vorbei an Plattenbauten und Ecken, wo einst viele Platten mehr standen, die aus Mangel an Bedarf jedoch abgerissen wurden.

Heute ist der 3. Oktober. Widerwillig lese ich das Transkript von Steinmeiers Rede – 30 Jahre Deutsche Einheit. Er erzählt etwas von Stolz und Demokratie, von Mut und Demut, vom „Zusammenwachsen von Ost und West“, kritisiert den „militanten Nationalismus“ der Preußen, um uns dann einzuschwören: „Schwarz-Rot-Gold, das sind unsere Farben und die lassen wir uns nicht nehmen!“ Er schließt mit der Erkenntnis, Deutschland sei ein Land mit der Zuversicht, „dass Freiheit über Unfreiheit triumphiert“. Dann denke ich zurück an Weißwasser. An die Anekdote da oben. Auch in ihr quillt aus jedem Satz und zwischen allen Zeilen 30 Jahre Einheit. Genau wie in Steinmeiers Rede, nur eben ganz anders. Von welcher Freiheit, welcher Unfreiheit redet Steinmeier überhaupt? Weißwasser war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert das Zentrum der europäischen Glasproduktion, drei von vier Werktätigen arbeiteten im oder fürs Glas. In den 1920ern war die kleine Gemeinde dann der größte Glas produzierende Ort der Welt. Auch nach den Enteignungen der Glaswerke in der DDR blieb Weißwasser ein bedeutender Glasproduzent, der Tausende Menschen beschäftigte. Als die Treuhand dann schließlich ihre unersättlichen Heuschrecken ausschickte, „blühende Landschaften“ abzumähen, brach die Glasindustrie in Weißwasser in sich zusammen und beschäftigt heute mitten im Zentrum der Stadt im letzten verbliebenen Werk keine 500 Leute mehr. Von den 38.000 Einwohner*innen vor der Wende sind heute noch 15.000 übrig. Welche Freiheit meint Steinmeier also? Die Freiheit, arbeitslos zu werden, Meth zu rauchen oder wegzuziehen?

Überall finden sich in Weißwasser Relikte vergangener Tage. Hier der Glasmacherbrunnen vor dem Bahnhof. By Mars 2002, Wikimedia Commons, station and glassblower, licensed under CC BY-SA 3.0 (mashup by Jakob Reimann).

Der große Raubzug

Darauf hinzuweisen, ist lange zum Klischee verkommen, doch scheint es immer wieder geboten: „privatisieren“ stammt vom lateinischen „privare“ und meint „beraubt“. Die Treuhand wurde in den letzten Atemzügen der DDR gegründet – eigentlich, um über Anteilsscheine die Volkseigenen Betriebe und das DDR-Vermögen treuhänderischauf die DDR-Bürger*innen zu übertragen. Doch nach der Wiedervereinigung wurde sie dem Bonner Finanzministerium unterstellt und ihre Führungsriege mit westdeutschen Großindustriellen besetzt; darunter Rohwedder (Hoesch AG), Gohlke (Deutsche Bundesbahn) und Odewald (Kaufhof AG). Privatisierung als Dogma: Der große Raubzug konnte beginnen. Statt Bürger*innenbeteiligung und Anteilsscheinen wurde das „Volkseigentum“ entdemokratisiert und der Treuhand überschrieben, inklusive aller Besitzrechte. Klaus-Dieter Heiser von der Neuköllner Linken schrieb dazu vor nunmehr zehn Jahren: Die Treuhand wurde „damit nicht nur Besitzerin, sondern auch Eigentümerin von rund 8500 ‚volkseigenen‘ Betrieben mit etwa vier Millionen Beschäftigten in rund 45.000 Betriebsstätten. Hinzu kamen 17,2 Milliarden Quadratmeter landwirtschaftliche Flächen, 19,6 Milliarden Quadratmeter bewirtschaftete Wälder, 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien, etwa 40.000 Einzelhandelsgeschäfte und Gaststätten, 14 Centrum-Warenhäuser sowie einige tausend Buchhandlungen, hunderte von Kinos und Hotels und einige tausend Apotheken.“[i]

An all dem konnten sich Westdeutsche dann nach Belieben bedienen: Dresdner und Deutsche Bank nahmen das Filialnetz der DDR-Staatsbank, RWE und Preussag nahmen sich die Energieversorgung, Siemens schnitt sich hier und da einige Filetstücke heraus. Der größte Coup gelang jedoch der Allianz: „In keinem anderen Gewerbe ist es einem Westunternehmen gelungen, sich nach dem Mauerfall quasi die gesamte Ostbranche einzuverleiben“, schrieb der Spiegel. Die Allianz übernahm 30 Millionen Versicherungspolicen von der Staatlichen Versicherung, bei der sich jede*r DDR-Bürger*in versichern musste. Finanzminister Theo Waigel (CSU) focht jeden politischen Gegenwind gegen diese offensichtlich kartellrechtlich unzulässige Übernahme des Münchner Konzerns ab. Die Allianz „zahlte“ für die Übernahme 271 Millionen Mark, doch nicht in öffentliche Kassen, sondern als Einlage in die eigens für das Ostgeschäft gegründete Deutsche Versicherungs-AG, die später in der Allianz aufging, also an sich selber. Unterm Strich „zahlte“ die Allianz also Null Mark für eines der DDR-Kronjuwelen, das allein im letzten DDR-Jahr 1989 noch Überschüsse in Höhe von 1,7 Milliarden Mark erwirtschaftete.[ii]

Noch ein Beispiel: Mit einem Weltmarktanteil von 13 Prozent waren die Kaliwerke Bischofferode in Thüringen weltweit auf Platz 3 der Produzenten von Kalisalzen, Düngemittelhersteller im Westen rissen sich ob ihrer hohen Qualität um die Salze. Fast 2.000 Menschen arbeiteten dort. Dann kamen die Heuschrecken. Es kamen gierige Manager sowie korrupte Politiker und Gewerkschaftsführer. Die Treuhand nahm sich die Kaliwerke und wollte sie mit einer BASF-Tochter fusionieren, die alsbald die Schließung der Gruben ankündigte. Es folgte der „härteste Arbeitskampf, den das Land je erlebt hat“ (der Freitag): Bundesweite Unterschriftensammlungen und Proteste, ein Besuch beim Papst, der Marsch auf Berlin vor die Treuhandzentrale, Werksbesetzungen. 40 Kumpel gingen in den Hungerstreik, zwei Wochen später geht das Foto des ausgemergelten Kumpel Willibald Nebel auf der Notarzttrage liegend um die Welt. Alles vergebens, die Kaliwerke wurden geschlossen und geflutet – einzig und allein aus dem Grund, „die Wettbewerbsbedingungen der [BASF-Tochter] zu verbessern, man wollte sein Monopol um jeden Preis behalten“, wie es auf den Seiten der Stadt Bischofferode heißt. Im neu gegründeten Gewerbegebiet fanden dann zwei Dutzend Kalikumpel eine neue Anstellung, ein paar mehr „durften“ ihre alten Gruben fluten und dann als Securities das Gelände bewachen. Hunderte Menschen waren jedoch gezwungen, das kleine Dorf zu verlassen. Und die BASF-Tochter erhielt eine Milliarde D-Mark als Belohnung sowie bis ins Jahr 1997 Verlustausgleichszahlungen.[iii]

Luftbild vom Kaliwerk Bischofferode. Die weltweit erfolgreichen Werke fielen der Gier der BASF zum Opfer. © Michael Köhler, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0.

Das Treuhand-Fazit: 19.500 Unternehmen wurden privatisiert, Tausende weitere abgewickelt, 25.000 kleine Geschäfte und Restaurants verkauft, ebenso rund 50.000 Immobilien.[iv] Viele Betriebe wurden teils für eine D-Mark verkauft, allein der Deutschen Bank wurden 112 Niederlassungen in bester Lage für Peanuts regelrecht hinterhergeworfen.[v] Doch wie war das möglich, wie können im vermeintlich regelbasierten, marktwirtschaftlich organisierten Kapitalismus einfach ganze Konzerne verschenkt werden? Der Trick ging in etwa so: All die Unternehmen wurden zwar der Treuhand überschrieben, doch finanzielle Belastungen, Schulden also, blieben in den Büchern der Unternehmen. Für Großbanken waren sie damit nicht kreditwürdig und wurden für „Käufer“ so zum Schnäppchen. Im Anschluss wurden die Altschulden der Unternehmen durch die Treuhand ganz oder teilweise erlassen – et voilà: ein Konzern für lau.[vi] Wenn ein Diebstahl über verschiedene Ecken und von einer Vielzahl konspirierender Akteure ausgeführt wird, fällt es schwer, ihn überhaupt noch als solchen zu erkennen.

Die große Frage: Wo ist das „Volkseigentum“, das die Generationen meiner Eltern und Großeltern im kriegszerstörten Osten, in von den Sowjets leergeräumten Industrieanlagen und demontierten Fertigungshallen neu aufgebaut haben, geblieben? Die kurze Antwort: 85 Prozent wurde an Westdeutsche übertragen, zehn Prozent an Investor*innen aus dem Ausland und ganze fünf Prozent blieben im Osten.[vii]

Dieser kriminelle Raubbau der – man kann es nicht anders sagen – Mafiaorganisation Treuhand am Vermögen und an den Betrieben im Osten hatte katastrophale messbare makroökonomische Auswirkungen, doch hinterließ er auch persönlich unzählige Traumata, die derart flächendeckend waren, dass sie nicht minder eine gesamtgesellschaftliche Größe waren und die Psyche im Osten derart getroffen haben, wie es sonst nur Kriege vermögen – etwas, das im Westen gerne unter dem verachtenswerten Kampfbegriff „Jammerossi“ subsumiert wird. Der „Jammerossi“ hatte und hat noch einen zweiten Punkt, über den er „jammert“ und der ebenso vorsätzlich herbeigeführt wurde wie der erste.

Arbeitslosigkeit – von den „N****sklaven“ lernen

In der DDR gab es – zumindest auf dem Papier – bekanntlich Vollbeschäftigung. Im Westen waren 1989 hingegen knapp über zwei Millionen Menschen arbeitslos, entsprechend 7,9 Prozent. Eine Vereinigung zweier solcher Situationen ist aus arbeitsmarktpolitischer Sicht eine Katastrophe, ist doch nicht zuletzt aus Physik und Chemie bekannt, dass ein System mit einem derartigen Gefälle in welchem Parameter auch immer ein äußerst instabiles System sein muss. Auftritt eines Nazis, der 20 Jahre später mit Veröffentlichung eines ekelhaften Buches – durch das ich mich selbst auch durchgeekelt habe – zum ideologischen Wegbereiter der AfD, zum Rockstar der Neuen Rechten werden sollte.

Thilo Sarrazin analysierte bereits 1974 in seiner Doktorarbeit die Rentabilität von Sklavenarbeit in den US-Südstaaten.[ix] Sarrazin erkannte alsbald den grundlegenden ökonomischen Wert der Sklavenarbeit: „Die Sklaverei gab die nötige Anleitung und Aufsicht, welche der N**** brauchte, um produktiv zu sein.“[viii] Für den Sozialdemokraten Sarrazin, der während des Schreibens an seiner Dissertation 1973 in die SPD eintrat, war ein Menschenleben gleich wie Baumwollpreise oder Transportkosten lediglich ein mikroökonomischer Parameter unter vielen: „Die Kosten der Sklavenhaltung waren so gering, dass dadurch die niedrige Produktivität der N**** ausgeglichen wurde.“ Und wie 36 Jahre später in Deutschland schafft sich ab stand auch damals schon die Geschlechterfrage im Fokus seiner Analyse: „Die N****sklavin besaß die Hälfte bis zwei Drittel der Produktivität eines männlichen Sklaven.“ Da sie jedoch „während ihres Lebens 5-10 Kinder produzierte, welche in der Produktion verwendet oder verkauft werden konnten“, bilanziert Sarrazin, dass „sich für weibliche Sklaven höhere Kapitalwerte und interne Zinsfüße als bei den Männern“ ergeben. Abschließend Sarrazins Fazit, das ihm 1974 seinen Doktortitel an der Bonner Universität einbrachte: „Insgesamt lässt sich der Schluss ziehen, dass die Sklavenhaltung mindestens ebenso profitabel war wie alternative Verwendungen des eingesetzten Kapitals.“

Zusammen mit dem damaligen Finanzminister Theo Waigel (CSU) und dem Staatssekretär – und späteren IWF-Direktor und Bundespräsidenten – Horst Köhler (CDU), die Sarrazins Innovationsgeist beide in höchsten Tönen lobten, managten die drei maßgeblich die sogenannte „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“. Sarrazin konnte seine aus der US-Sklavenarbeit erlangten arbeitsmarktpolitischen Erkenntnisse nun endlich in der echten Welt anwenden und von den „N***sklaven“ auf die Ostdeutschen übertragen. Dazu verfasste er im Januar 1990 sein finanz- und arbeitsmarktpolitisches Grundsatzpapier, in dem er das „Freisetzungspotential“ berechnete, das im Zuge der Wiedervereinigung auf Seiten der DDR-Bürger*innen generiert werden musste. (Wobei „Freisetzung“ einfach ein Euphemismus für „in die Arbeitslosigkeit treiben“ ist und das zu bestimmende „Potential“ jenen Wert darstellt, der benötigt wird, um das oben beschriebene instabile System zwischen Ost und West bezüglich der stark abweichenden Arbeitslosenquote zu stabilisieren.) Sarrazins Rezept für die DDR-Arbeiter*innenschaft: „[Es muss] erhebliche Freisetzungen geben. Bei Freisetzungen im Umfang von ca. 35 bis 40 v. H. der Industriebeschäftigten wäre der in der Bundesrepublik übliche Anteil der Industriebeschäftigten an der Wohnbevölkerung erreicht.“ Es müssen also nur zwei von fünf Beschäftigten im Osten arbeitslos gemacht werden und die Wiedervereinigung steht auf makroökonomisch soliden Füßen. Gesagt, getan: Waigel, Köhler und Sarrazin trieben vorsätzlich drei Millionen Ostdeutsche in die Arbeitslosigkeit, um den Osten so an das geringere Beschäftigungsniveau des Westens anzugleichen.[x]

Der Rassist Thilo Sarrazin und Horst Köhler haben an der Zerstörung Ostdeutschlands ihren Beitrag geleistet wie kaum jemand neben ihnen. By VIPevent, Flickr, CC BY-SA 2.0 (Sarrazin), DrabikPany, FlickrCC BY 2.0 (Köhler), (mashup by Jakob Reimann).

Der tiefe Spalt

Es fällt schwer, Westdeutschen die Auswirkungen der Wende auf die ostdeutsche Psyche verständlich zu machen – der Raubzug am Vermögen und den in Jahrzehnten geschaffenen materiellen Werten, das millionenfache Stürzen in die Arbeitslosigkeit, das Überstülpen eines fundamental anderen Systems buchstäblich von heute auf morgen. Hinzu kommen die systematischen Demütigungen und die in weiten Teilen bis heute fortwährende Herablassung und Arroganz. Was heißt es, wenn unter Vorsatz ganze Städte ausgeblutet werden? Wenn reihenweise Lebensentwürfe vernichtet werden? Unzählige naive und gutgläubige Ostdeutsche, die von westdeutschen Firmen mit böswilligen Absichten über den Tisch gezogen wurden. NVA-Soldaten, die es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten, zur Bundeswehr zu gehen, zum „Klassenfeind“. Oder die Tausenden Menschen aus der Glasindustrie in Weißwasser, die ihre Jobs verloren und deren Fabriken, die einst in alle Welt exportierten, heute baufällige Ruinen sind. Oder die Kalikumpel aus Bischofferode, deren Lebensgrundlagen einzig und allein aufgrund der ekelhaften Gier der BASF-Vorstände buchstäblich geflutet wurden.

All das sind Identitäten, die bewusst zerstört wurden, mit allen Konsequenzen, die ein Identitätsverlust mit sich bringt. Dasselbe gilt – ob mir durch meine grüne Brille das nun passt oder nicht – für die Tausenden Jobs in der Lausitzer Kohle. 1789 wurde im heutigen Lauchhammer der erste Kohleflöz angebohrt. Kohlekumpel: Das ist eine über zweieinhalb Jahrhunderte gewachsene Identität. Und wenn, im Wesentlichen, westdeutsche Politiker*innen in Berlin zwar vollkommen richtig doch viel zu spät den Kohleausstieg beschließen, ohne all diesen Leuten auch nur irgendetwas anzubieten, ist das mit dreißig Jahren Verzögerung der zweite Tritt ins Gesicht all der Lausitzer*innen. Die zweite Demütigung. Drei Jahrzehnte hallt das Echo durch die Geschichte und beweist einmal mehr, dass die Entscheidungsträger*innen unfähig sind, ihre Blase zu verlassen und für nur einen Moment die Welt durch die Augen jener Personen zu betrachten, deren Leben sie mit ihren Entscheidungen auf den Kopf stellen werden. Erst nehmen sie uns das Glas, jetzt nehmen sie uns die Kohle. Und zurück bleibt Ödland, Mordor.

Mag sein: Vom hohen Ross aus klingt das hier unten vielleicht wirklich alles wie „Jammern“. Doch von der realen Welt am Boden aus betrachtet ist das die bittere Erkenntnis, dass Deutschland auch nach 30 Jahren Einheit ein tief gespaltenes Land ist.

Dieser Artikel von Freiheitsliebe-Autor Jakob Reimann erschien in leicht veränderter Form im Print in der November-Ausgabe der Monatszeitung Graswurzelrevolution.

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Quellen

[i] Zit. nach marx21, Klaus-Dieter Heiser, (14) 2010: Ausverkauf der DDR: Verblühte Landschaften.

[ii] Zit. nach und vgl. Der Spiegel, Alexander Jung, 2. Oktober 2015: Der Schatz im Paternoster.

[iii] Vgl. Untergang des Kaliwerkes, bischofferode.de; sowie Capital, 26. August 2019: Der Kampf der Kalikumpel von Bischofferode gegen die Treuhand.

[iv] Vgl. Märkische Oderzeitung, Nina Jeglinski, 6. August 2019: Das Erbe der Anstalt – die Treuhand im Fokus eines Forschungsprojekts.

[v] Vgl. Telepolis, Reinhard Jellen, 4. Dezember 2012: Die große Enteignung.

[vi] Vgl. Quelle 1.

[vii] Vgl. Mitteldeutscher Rundfunk, 7. Juli 2020: Wie die Treuhand den Osten verkaufte.

[viii] Im Originaltext benutzt der Rassist Sarrazin das N-Wort, das hier durch „N***“ ersetzt wurde, weil die ausgeschriebene rassistische Schreibweise BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) häufig als eine retraumatisierende Mikro-Aggression erleben.

[ix] Vgl. Ossietzky, Otto Köhler, (1) 2016: Bundeszentrale – Sklaverei ohne Sarrazin.

[x] Vgl. Quelle 5.

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