Das andere Sachsen

2019 droht in Sachsen die erste schwarz-blaue Landesregierung. Antifaschistischer Widerstand existiert, braucht aber langen Atem und lokale Organisierung im Treibhaus im sächsischen Döbeln. Ein Kommentar von Danilo Streller.

Für manche ist Sachsen Mordor am Fuße des Schicksalsberges. Kämpfe um Sozialreformen und Anerkennung fänden nicht statt, die Bevölkerung wäre politikverdrossen und hätte eine endlose Sehnsucht nach charismatischen Führerinnen und Führer. Von ehemals großen Nazidemos wie dem 13. Februar in Dresden über PEGIDA bis hin zur Menschenjagd in Chemnitz zieht sich eine Linie rechter Mobilisierung. Immer wieder kam es zu rechter Gewalt, Rassismus und Diskriminierung. Hier organisierten sich seit den 90ern militante Neonazis.

Nährboden des Hasses

Die Abwicklung der DDR-Wirtschaft führte zu Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit. Nach wie vor werden Ostdeutsche bei Löhnen wie Renten ungleich behandelt. Zudem verwischte die sächsische CDU mit Extremismusklauseln und abstrusen Gleichsetzungen den Unterschied zwischen Rechts und Links. Das CDU-Musterland hat eine restriktive Innen- und Asylpolitik. Neben Bayern zeigte sich vor allem in Sachsen der Willen der Union, (gefilterte) AfD-Forderungen in Regierungspolitik umzusetzen. Damit graben sie aber nicht der AfD das Wasser ab, sondern liefern ihr und den Pegidistinnen und Pegidisten Erfolgserlebnisse.

Die rassistische Stimmung schlug sich auch in Wahlen nieder. So holte die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Sachsen 27 % und wurde stärkste Partei. Das ist verglichen mit dem AfD-Bundesergebnis von 12,6 % mehr als das Doppelte. Für die Landtagswahl 2019 werden Rekordergebnisse der AfD erwartet – und die Angst vor einer ersten schwarz-blauen Landesregierung wächst.

Antifaschismus im ländlichen Raum

Aber diese Rechtsentwicklung bleibt in Sachsen nicht unwidersprochen. Schon in den 90ern fanden sich mutige Menschen, die Nein sagten und Widerstand organisierten. Gegen gewaltbereite Neonazis brauchte es antifaschistischen Selbstschutz. Dabei spielten Alternative Jugendzentren (AJZs) eine zentrale Rolle: als Rückzugsort und Ausgangspunkt für den Kampf um gesellschaftliche Alternativen, welche auf Gleichheit, Solidarität und Emanzipation beruhen.

Das Treibhaus in Döbeln geht auf diese Tradition zurück. Das CDU-regierte Döbeln in Mittelsachsen beheimatet knapp 24.000 Menschen. Der Verein Treibhaus e.V. wurde 1997 von antifaschistischen Jugendlichen gegründet. In 22 Jahren wuchs er auf 130 Mitglieder.

2001 mietete Treibhaus einen Raum für ein selbstorganisiertes Café. 2008 sollte das Haus verkauft werden. Doch die Vereinsmitglieder fassten Mut zu einem Spendenaufruf, diskutierten mit Freundinnen, Freunden und Bekannten und sammelten schließlich die notwendige Summe, um das Haus selber zu kaufen. Außer dem Café Courage sind dort ein Seminarraum und Büros entstanden. Elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter koordinieren das breit gefächerte Engagement des Vereins. Beispiele sind regelmäßige Antidiskriminierungs-schulungen oder die AG Geschichte, welche die Döbelner NS-Vergangenheit aufarbeitet.

Der Antifaschismus im Treibhaus setzt auf breite Bündnisse und offene Projektarbeit gegen das Wegschauen und die Normalisierung rechten Gedankenguts. Dafür wurde das Treibhaus mehrfach zur Zielscheibe rechter Gewalt. 2005 verübte die Neonazi-Gruppe Sturm 34 einen Angriff auf das Haus. 2010 wurden drei Autos von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angezündet und es gab einen Brandanschlag.

Bürgerliche Schikanen

Außerdem trifft die Aktivistinnen und Aktivisten das Misstrauen der Kommunalpolitik. Der Einsatz gegen rechtes Gedankengut und das Engagement gegen Neonazidemonstrationen genügen in Sachsen, um als potenziell linksextrem zu gelten.

Auch die Döbelner Stadtgesellschaft ist polarisiert. Bei Teilen wird der Verein mit Drogenkonsum und Gammelhaltung in Verbindung gebracht. Doch wenn man vorbeigeht, entlarvt sich das schnell als Vorurteil. Leider ziehen immer wieder Jugendliche weg, die im Treibhaus politisch aktiv wurden.

Die kritische Haltung der Stadt erschwert maßgeblich die politische Arbeit. Neben seinen Mitgliedsbeiträgen bekommt das Treibhaus Kulturfördermittel, welche jedoch eine Eigenbeteiligung der Kommune von 5 % als Bedingung stellen. Selbst um diese geringen Beträge muss immer wieder neu gekämpft werden. Von einer schwarz-blauen Landesregierung wäre das Treibhaus existenziell bedroht.

Raus aus den Komfortzonen

Antifaschistinnen und Antifaschisten brauchen die Verankerung vor Ort – gerade im ländlichen Raum. Am Treibhaus und seinen Kämpfen lässt sich die politische Zerrissenheit in Sachsen deutlich erkennen. Sicher, der aktuellen Rechtsentwicklung muss ins Auge geschaut werden. Gerade deswegen sollten wir dem antifaschistischen Engagement außerhalb linker Komfortzonen mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen lassen. Denn die Rechten können nur mit langem Atem und gelebter Solidarität aufgehalten werden.

Der Artikel erschien in der neuen Ausgabe unseres Medienpartners Critica.


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