Die CSU ist die rechteste der Parteien in der Bundesregierung und bekannt für Ausflüge in den Rechtspopulismus, in diese Richtung zielt auch das neue Integrationsgesetz, dass die Partei in Bayern verabschieden will und das zur nicht definierten Leitkultur verpflichtet. Wir haben mit dem Landesgeschäftsführer der Linken in Bayern, Ates Gürpinar, über das Gesetz und dessen Probleme, sowie die Proteste dagegen gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Die CSU will ein Integrationsgesetz verabschieden, was beinhaltet dieses Gesetz?
Ates Gürpinar: Der vorliegende Entwurf in Bayern behandelt eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen in erster Linie für Geflüchtete, darüber hinaus aber auch für Menschen „mit Migrationshintergrund“, letzten Endes für alle hier Lebenden. Diese Absurditäten reichen von schlicht verfassungswidrig über völlig ungenau und daher willkürlich bis hin zu völkisch-diskriminierend. So wird die Schulpflicht bei Kindern in Abschiebezentren abgeschafft, es wird in Zukunft ab dem Kindergarten auf eine nicht näher zu definierende deutsche Leitkultur verpflichtet, in Flüchtlingslagern können Tag und Nacht ohne richterlichen Beschluss Durchsuchungen durchgeführt werden.
Die Freiheitsliebe: Unter anderem sieht das Gesetz auch Kurse zur Rechts- und Werteordnung vor bei Fehlverhalten, was soll das genau bedeuten?
Ates Gürpinar: Das wissen die Ideengeber des Gesetzes selbst wohl nicht genau. Kurse in die Rechts- und Staatskunde wären das eine – das wäre auch noch nachvollziehbar: Das könnte der Großteil der hier schon wahlberechtigten Menschen dann auch gleich besuchen, die glauben, die Erststimme bei der Bundestagswahl sei entscheidend für das bundesweite Wahlergebnis einer Partei. Bei Wertekursen bräuchte es ja ein Ziel, zu welchen Werten erzogen werden soll. Da der Begriff der deutschen Leitkultur nicht näher definiert wird, ist diese Idee höchstproblematisch. Und da auch explizit Ehe und Familie angesprochen ist, hätte ich gerne ein paar Geflüchtete, die beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder der verkrusteten Geschlechterverhältnisse ihren Ländern entflohen sind, damit sie Herrn Seehofer ein bisschen was zur Werteordnung beibringen. Dieser hat ja noch Ende der 90er im Bundestag dagegen gestimmt, als Vergewaltigung in der Ehe strafbar werden sollte.
Die Freiheitsliebe: Wie kann man sich die Werteordnung der CSU, also jener Partei, die Frauen zurück an den Herd bringen will, vorstellen?
Ates Gürpinar: Ich könnte es mir einfach machen und das Reaktionäre der CSU hervorheben: Das Spannende – und meines Erachtens das Schlimmste an der CSU – ist aber, dass sich ihre Werteordnung für mich nicht einfach mit Konservatismus oder reaktionärem Denken betiteln lässt. Vor allem zwei Grundprinzipien bestimmen die CSU – der unbedingte Wille der alleinigen Macht und das Strauss’sche Diktum, dass rechts neben der CSU nur die Wand sei. Damit gehen sie nicht nur über Leichen – wie bei der Bayernpartei –, sondern verfolgen keine weiteren Inhalte. Als die Studiengebühren Erfolg versprachen, waren sie dafür – als sie Gegenwind verspürten, drehten sie sich um 180 Grad. Mit dem gegenwärtigen Rechtsruck kommen diese beiden Prinzipien zusammen. Der Erfolg – mehr Stimmen – winkt rechts, gleichzeitig darf neben ihnen nur die Wand sein. Daher rennen sie sich selbst nur noch hinterher, schaffen rechts neben sich den Raum, den sie dann selbst versuchen zu füllen – erfolglos, wie wir gerade sehen. Das ist für die Gesamtgesellschaft brandgefährlich. Es war ja nicht die AfD, die sich selbst aus der Versenkung Mitte 2015 geholt hat. Das war vor allem auch der Rechtspopulismus der CSU.
Ich unterstelle ihr auch, dass der Kampf um die Macht mit allen Mitteln auch an dem tiefen Sumpf liegt, den die CSU in Bayern seit Jahren immer weiter prägt. Wenn eine andere Partei die Regierung übernähme, würden sich so viele Verfehlungen und Unstimmigkeiten entdecken lassen, die natürlich für die CSU nie ans Tageslicht kommen dürfen.
Das alles führt zu einer gefährlichen Mischung aus reaktionärer Beliebigkeit. Der einzige Vorteil: Sie reagieren auf Druck. Daher ist vor allem hier ein breites Bündnis gegen die CSU wichtig.
Die Freiheitsliebe: Das Gesetz kategorisiert auch verschiedene Gruppen von „Nichtdeutschen“. Was ist darunter vorzustellen?
Ates Gürpinar: Es wird unterschieden in Migrantinnen und Migranten sowie nach Ausländerinnen und Ausländern mit unterschiedlichem Status. Auch die Wahrscheinlichkeit der Anerkennung spielt hierbei eine Rolle. Besonderen Unmut erregt hier jedoch – in völligem Bewusstsein unseliger Vergleichsmöglichkeiten – die Spezifizierung von Menschen, die zwar als Deutsche gelten: Allerdings wird noch unterschieden in „integrationsunwilligen“ Deutschen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil zugewandert ist. Ich bin übrigens demnach ein ‚halber‘. Ob ich als Linker in Bayern integrationsunwillig bin, möchte ich die CSU nicht fragen.
Die Freiheitsliebe: „Die Medien werden per Sollvorschrift auf die Leitkultur verpflichtet“ formuliert ein Bündnis gegen das Gesetz. Bedeutet dies, dass es für Medien in Zukunft schwieriger ist, kritisch zu berichten?
Ates Gürpinar: Das Problem ist hierbei wieder der Begriff der Leitkultur. Auf diesen sollen die Medien verpflichtet werden. Daran wird das Problem eines nicht näher definierten Begriffes in einem Gesetzestext deutlich, unabhängig, ob er mir nun gefällt oder nicht. Es ist völlig willkürlich, was damit gemeint ist. Je nachdem, wie eine Kontrolle aussehen mag, kann kritische Berichterstattung angeprangert werden. Diese Ausmaße bleiben unklar und sind dadurch sehr gefährlich für die kritische Berichterstattung.
Die Freiheitsliebe: Gegen das Gesetz bildet sich immer mehr Widerstand, von wem wird er getragen und kann das Gesetz noch verhindert werden?
Ates Gürpinar: Das Bündnis ist ein breit aufgestelltes – einsehbar unter www.integrationsgesetz.bayern – um das Bündnis ver.di gegen rechts und der GEW sowie verschiedene MigrantInnenverbände haben sich Parteien wie DIE LINKE, aber auch Grüne, SPD und weitere Verbände gebildet. Hervorzuheben sind auch diverse Jugendgruppen, weil vor allem junge Menschen mit dieser Politik und dem Rechtsruck nicht einverstanden sind. Momentan versucht das Bündnis, nach der Sommerpause eine breite Demo gegen dieses Integrationsgesetz zu organisieren. Im Parlament ist die CSU in der absoluten Mehrheit – aber wie ich anfangs erwähnt habe: Der Vorteil ist, dass sie auf Druck reagiert. Den üben wir aus. Wir wollen zeigen, dass aus Bayern nicht nur die Teppichausleger der AfD stammen, sondern auch diejenigen, die sich seit einem Jahr engagiert in der Flüchtlingshilfe zeigen, die ein Bild eines anderen, eines progressiven Bayern geben. Was mich ärgert, ist die Tatsache, dass das bundesweite Integrationsgesetz auch von Partnern getragen wird, die im Bündnis gegen das Bayerische Integrationsgesetz sind, obwohl dort manche Punkte fast wortgleich stehen. Dass die SPD dies vor der Sommerpause auf Bundesebene durchbringt, um danach in Bayern dagegen zu demonstrieren, halte ich für sehr unglaubwürdig und schwierig.
Die Freiheitsliebe: Welche Perspektive habt ihr für die Gesellschaft als Alternative zum Integrationsgesetz?
Ates Gürpinar: Die Zeit reicht sicherlich nicht, um mein Gesamtbild einer alternativen Gesellschaft aufzuzeigen. Aber es gibt einige direkte Ansätze, die möglich wären, auch neben den linken Forderungen, dass erst einmal Fluchtursachen bekämpft werden sollten: Auch das spielt insbesondere in Bayern eine Rolle, die Waffenfabrik Deutschlands.
Vorweg gilt eine Ausrede natürlich nicht: Das Argument, das zu wenig Geld zur Verfügung steht. Zum einen sind diese Ausgaben immer Investitionen in die Zukunft. Außerdem gibt Bayern für die Integration nicht wenig Geld aus, allerdings eben an falscher Stelle. Anstelle von teureren Essenspaketen statt Geld, damit sich die Menschen selbst versorgen können, anstelle der andauernden Kontrollen der sowieso schon drangsalierten Geflüchteten, anstelle von Sammelunterkünften, in denen völlig unterschiedliche Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht wohnen müssen und an denen Privatpersonen aus den Staatskassen sich bereichern können, braucht es beidseitige Annäherungsmöglichkeiten. Dies bedeutet die Schaffung von sozialem Wohnraum, die für Geflüchtete wie für finanziell Benachteiligte wichtig und gut wäre. Dies heißt mehr Personal in allen Klassen, auch zwei Lehrende pro Klasse. Hier können die Geflüchteten schnell als Lehrpersonal wie als SchülerInnen Teil der Gemeinschaft werden. Auch Vereine bräuchten eine bessere finanzielle Unterstützung, da sie einen entscheidenden Teil dazu beitragen, Menschen zusammenzubringen. Nicht zuletzt das große Strukturproblem in Bayern könnte durch eine gute Integration gelingen – natürlich nicht durch eine regierende CSU.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch