Care-Ökonomie – eine antikapitalistische Utopie?

Corona bringe es an den Tag – so wollten es viele sehen –, was wirklich zählt ist das, was der Kapitalismus in seiner Profitgier bisher so billig wie möglich mitnimmt: die unsichtbaren und unterbewerteten Care-Arbeiten, wozu der Einfachheit halber auch alle Dienstleistungen für das Lebensnotwendige gezählt werden.

Und es waren nicht nur Feministinnen, die hofften, nun werde mehr Gerechtigkeit einkehren, nun werde endlich gewürdigt, was wirklich wichtig ist, diese Grundlage allen Wirtschaftens. Wie wenig mit der Erfüllung dieser Hoffnung zu rechnen ist, zeigt sich schon darin, dass die bescheidenen, aber vollmundig versprochenen Prämien keineswegs für die am stärksten Gestressten und Gefährdeten, das Krankenhauspersonal, gewährt werden, sondern nur der beschämende Versuch einer Kompensation der noch schlechteren Bezahlung von Altenpflegekräften sind. Dass das so durchgeht, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – jedenfalls bleibt der allgemeine Empörungsschrei bislang aus –, deutet darauf hin, dass die Relevanz dieser Tätigkeiten für das kapitalistische System gerade in ihrer Unterbewertung besteht.[1] Wie übrigens für jedes patriarchale System, das sie ebenso sehr braucht wie es sie verschwinden zu lassen bemüht ist. Warum sollte ein Regime, das immer schon auf die Erpressbarkeit von Menschen in Sorge-Verantwortlichkeiten gesetzt hat, ausgerechnet jetzt hierfür spendabel werden, da es ganz andere „Sorgen“ hat, nämlich den Gesamtzusammenbruch der Ökonomie zu verhindern?[2]

Aber gut, jede Krise eröffnet Chancen, so auch diese. Soll aber nicht „es“ sich ändern – und irgendwie wird es das tun –, muss sich jemand ins Zeug legen und dieses „es“ gestalten. Wo bleiben nun die Care-Netzwerkenden, die seit Jahren schöne Theorien für ein besseres Sorgesystem und überhaupt eine bessere Welt entwickeln, wie das Netzwerk Care Revolution[3] oder die Unterzeichnerinnen des Care Manifests?[4] All jene, die schon lange „Care in allen Facetten in einer umfassenden Krise“ sehen oder die Care-Krise gar zur zentralen aller vom Kapitalismus verursachten Krisen erklären – seien es die Klima-, die Biodiversitäts- oder auch Finanz- und Armutskrisen –, müssten sie nicht längst hinter ihren „Alltagsmasken“ hervorkommen und vereint laut werden, und zwar für eine breite Öffentlichkeit vernehmbar laut?[5] Vor allem jetzt, da das Klatschen aufgehört hat und eine große Sehnsucht nach dem Vorher vorherrscht? Stattdessen sind sie vor zweiter oder Dauer-Welle noch schnell nach Malle geflogen  und haben die Solidarität, gar die internationale, schnell vergessen und inzwischen den Schulterschluss mit Ultrarechten nicht gescheut.

In dieser Krise wird so deutlich, dass zwischen den schönen Transformations-Träumen von einem „guten Leben für alle weltweit“, die die Netzwerkerinnen mit vielen alternativen Aktivistinnen und Aktivisten teilen, und den einfachsten Maßnahmen, wie einem anständigen Tarifvertrag für Pflegepersonal hierzulande, ein Abgrund klafft, den zu überbrücken eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den realen wirtschaftlichen Grundlagen verlangt. Die aber vermissen wir bei den feministischen Care-Visionen. Wer teure Wünsche hat, sollte sich schon mal in die Niederungen des Finanziellen begeben. Und welche jetzt etwa substanzielle Arbeitszeitverkürzungen fordert oder bzw. und aus den vorübergehenden unbürokratisch gewährten, aber keinesfalls bedingungslosen Unterstützungszahlungen an durch den Lockdown besonders Gebeutelte einen Einstieg ins Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) erhofft, die verweigert wirklich jede fundierte Auseinandersetzung mit Geld und träumt vom unendlichen „Gelddrucker“ Zentralbank, was nicht einmal die Modern-Money-Theoretikerinnen und Theoretikern tun.[6]

So ist vielleicht auch nicht unwesentlich, was vielen ebenfalls im Lockdown klar wurde: dass es nicht egal ist, in welchem Kapitalismus eine lebt, einem doch irgendwie „sorgenden“ oder einem autoritären.[7] Ist doch so manche bei aller Kritik dankbar für den gemäßigten Lockdown mit Überbrückungshilfen bei uns, der die eine und andere sogar tatsächlich in den Genuss einer zeitweiligen Stressreduktion brachte. Wobei sie freilich sah, dass es andere ganz anders traf als sie, allein mit ihrem Homeoffice: die Alleinerziehenden etwa und die Familien mit Kindern und Homeschooling in beengten Wohnungen, die denn auch von den etwas kritischeren Medien unermüdlich vorgeführt und bedauert wurden. Auch manche Feministin beklagte den Backlash für Frauen, die wieder nicht anders konnten, als den ganzen Stress von Haushalt, Job und Kindern auf sich allein zu laden. Die nicht abzuwerfende „Mental-Load“? Zwingt das Homeoffice wirklich, in alte Muster zurückzufallen? Haben doch manche (hierzulande), wie Untersuchungen zeigen, durchaus die Chance genutzt, es anders zu machen – was in den Medien ja auch mal lauter gesagt werden und wozu ermuntert werden sollte. Und ebenfalls kaum erwähnt wurde, dass die „systemrelevant“ Arbeitenden, ob Kassiererin im Supermarkt oder Krankenschwester, zu 75% Frauen, schließlich außer Haus arbeiteten und zwangsläufig dem Partner die Care-Chose überlassen durften.[8]

Macht Care mehr?

Dieser Tenor, die Sorge-Arbeit bleibe (wieder) an den Frauen hängen, findet sich seit Jahrzehnten durchgängig in den Arbeiten feministischer Wissenschaftlerinnen, und nun auch zur Corona-Krise.[9] Ja, es ist wahr, Frauen sind weltweit weiterhin Opfer, auch dieser Krise, wobei es schon einen Unterschied macht, ob es sich um die Vereinbarung von Lehre und Homeschooling alleinerziehender Jungwissenschaftlerinnen mit Zeitverträgen an unseren Unis handelt oder um südostasiatische Wanderarbeiterinnen, die wegen gerissener Lieferketten ihrer Billigjobs in Sweatshops verlustig gehen, oder um liberianische Kleinhändlerinnen oder philippinische Haushaltshilfen und Prostituierte, die aufgrund geschlossener Grenzen nicht mehr pendeln können und so ihre Existenzbasis verlieren. Solche Untersuchungen und Analysen sind auch zweifellos weiterhin nötig und wichtig, gerade unter dem globalen Aspekt. Aber in dieser Einseitigkeit sind sie auf Dauer wenig konstruktiv, grade als hätte die zweite Frauenbewegung außer individualistischen Karrierefrauen, einem Care-Notstand und daraus folgenden Care-Chains[10] nichts hervorgebracht.

Zur Erinnerung: Die Zweite-Welle-Feministinnen kämpften gegen die ökonomische Abhängigkeit von Frauen als Reproduktionsarbeiterinnen. Sie definierten Hausarbeit als totale Dienstleistung am Ehemann im Interesse des Kapitals, von der Köchin und Putzfrau über die Nachwuchsproduzentin bis zur psychischen Stütze des (Allein)Verdieners und Sexarbeiterin,[11] für Kost und Logis. Eine Provokation mit Wirkung, aber ohne schlüssiges neues Wirtschaftskonzept. Die Erkenntnis der Ausbeutung von Natur und von allem zu Natur Gemachten, der Frauen wie auch der Subsistenzarbeitenden in der „dritten Welt“ (wie es damals noch hieß) führte in Eskapismen vom Subsistenzansatz bis zur Verweigerung der Systembeteiligung. Andererseits wuchs mit der Feststellung, hier werde nicht nur (Arbeitskraft) regeneriert, sondern auch produziert (was die enge marxistische Entgegensetzung von produktiv und reproduktiv sprengte), das Bewusstsein der sozio-ökonomischen Bedeutung der unbezahlten Arbeiten, unterstützt durch Bemühungen, diese im BIP unterzubringen. Und mit der Sensibilisierung wuchs die Palette der Sorgearbeiten. Ab den 1990er Jahren unter „Care“ gefasst, enthielt sie nun u.a. auch, was mehr und mehr in bezahlter Arbeit erledigt wurde, weil es die zunehmend berufstätigen Frauen nicht mehr in aller Stille daheim erledigten.

So gut gemeint, so problematisch. Indem nun Care (heute fast ein Modebegriff) alles einschließt, was auf „die Unterstützung der Entwicklung, Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von intellektuellen, körperlichen und emotionalen Fähigkeiten einer Person“[12] zielt, von Hausarbeit und Kindererziehung, über Pflege, Bildung und Gesundheit bis hin zu allen menschenbezogenen Services, eingeschlossen Sexarbeit (also u.a. alles einst der Hausarbeit zugeschriebene), entsteht eine merkwürdige, fragwürdige Gleichwertigkeit. Denn wenn alles undifferenziert unter Care läuft, wenn nicht mehr gefragt wird, über welche der vielfältigen Tätigkeiten gesprochen wird, ob über Putzen in der WG und private Seelentröstung, über professionelle Alten- und Krankenpflege oder über die Arbeit einer Unidozentin oder Ärztin, wird es schwierig bis unmöglich, passende Verbesserungs-Forderungen zu stellen. Zwar hapert es in fast allen Bereichen, aber unter heutigen Bedingungen differieren sie schon gewaltig hinsichtlich Prestige, Macht, Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Pauschale Aufwertungswünsche samt besserer Bezahlung sind so unangebracht wie die „Lösung“, Care-Arbeit zu „demonetarisieren“, „aus der Warenförmigkeit herauszubringen“ oder sich gleich ganz von der Geldwirtschaft zu verabschieden.

Diese Undifferenziertheit erklärt vielleicht Konzepte, die Sorgearbeit, verbunden mit einer Reduktion der Erwerbsarbeit, von allen geleistet wissen wollen, wie es etwa Frigga Haug mit ihrer Vier-in-Einem-Perspektive[13] oder, wenn auch weniger strikt und eher als Kann-Bestimmung, den Care-Revolutionärinnen und Revolutionären vorschwebt. Hier wird von Sorge geredet, ohne zu sagen, welche Sorge.[14] Geht es um mehr Zeit für Familie und Freundinnen und Freunden, wie es bei den Care-Revolutionärinnen und Revolutionären herauszuhören ist? Oder wird professionelle Sorgearbeit ganz durch Eigenleistung ersetzt, also nicht besser, sondern gar nicht bezahlt, was bei Haug unklar bleibt? Müsste dann, unter dem erweiterten Care-Verständnis konsequenterweise auch die Schulpflicht ausgesetzt werden (wofür der Lockdown ja eine gute Vorbereitung wäre)?

Das klingt kaum nach einer geschlechter-, begabungs- und bedürfnisgerechten Umgestaltung des Arbeitens. Natürlich meinen diese sozialromantischen Ideen nur die privaten haushaltsnahen Arbeiten, aber doch irgendwie inklusive Altenpflege nach idealisierter Großfamilienmanier. Andernfalls würden sie in noch viel gravierenderer Weise die Professionalität der in Care-Bereichen Erwerbstätigen missachten, als es in der mit Recht kritisierten neoliberalen Sorge-Wirtschaft geschieht, was wir ihnen nicht unterstellen wollen. Unverständlicherweise klammern diese Konzepte die nicht weiter spezifizierten Sorge-Arbeiten auch irgendwie aus dem Tätigkeitsspektrum einer hocharbeitsteiligen Wirtschaft aus, womit der alte Gegensatz von produktiv und reproduktiv perpetuiert wird. Sie unterstellen zudem eine allgemeine Bereitschaft und Fähigkeit zu solchen Tätigkeiten, die aber nicht allein eine Zeitfrage, sondern schlicht nicht allen gegeben ist, und, allen abverlangt, weder den Gebenden noch den darauf Angewiesenen zur Freude gereichen dürfte. (Im Grunde hat die Pandemie die hier zu erwartenden Probleme recht deutlich gemacht.) Zudem kollidiert es mit dem in den meisten Transformations-Utopien dominanten Wunsch, alle sollten ihre individuellen Fähigkeiten und Interessen entwickeln können, was insbesondere im Interesse vieler Frauen läge. Genau genommen haben wir es bei den Care-Modellen mit „modernisierten“ Vereinbarkeitskonzepten zu tun, die das Natürliche einer Normalität unterstellen, die – zumindest im globalen Norden – eigentlich überholt ist, aber immer noch wirkmächtig: nämlich dass alle, Frauen[15] wie Männer, sich natürlicherweise in familien- oder familienersatzartige Beziehungen begeben wollen und natürlich Nachwuchs produzieren (ein Normalitätsbestreben, das freilich neuerdings auch bei Lesben die „Uhr ticken“ lässt).

Diese Vorstellungen einer „ganzheitlichen Lebensweise“ kommen vielleicht der „Generation Y“ entgegen, die schon heute einen guten wie auch sinnvollen Job mit Zeit für Familie und Freundschaften zu verbinden beansprucht, worauf sich einige Unternehmen angeblich bereits einstellen – jedenfalls für das obere Segment begehrter Fachkräfte. Ob die freilich ein Viertel ihrer Zeit der politischen Betätigung widmen wollten? In Anbetracht ihres eher konservativen Beziehungsideals wähnen wir eher, dass hier der wirkliche Backlash lauert.

Romantische Vorstellungen eines Miteinanders und Sehnsüchte nach Privatheit und Sicherheit in der Kälte der aufgenötigten Individualisierung – dass die politischen Bewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diese Individualisierung erstrebt haben, wird gern vergessen – bedient hingegen eine mütterliche Versorgungsethik mit einer Gerechtigkeitsideologie, die nichts zu kosten scheint: angefangen bei diesen ganzen geldlosen Gegenentwürfen, ob sie sich nun zum miteinander UmCaren begeistern sollen, wo „niemand mehr etwas tun muss, was sie nicht will“,[16] über Schenk-Ökonomien als Gipfel des Mütterlichkeitskults[17] bis zu spirituellen Auswüchsen, die „alle Menschen“, nicht nur die so genannt „Schwachen“, vom ersten bis zum letzten Tag ihres Lebens zu Bedürftigen erklären und Care-Politik „ausgehend von der ontologischen Tatsache der Geburtlichkeit aller…“ als „Politik der Geborenen“[18] begreifen wollen – wozu sie auch noch Hannah Arendt bemühen, deren Geburtlichkeitsbegriff gewiss nicht auf einen daraus abzuleitenden Versorgungs-Anspruch zielte, mit dem sich dann ein BGE rechtfertigen soll. Das alles ist eine Infantilisierung bzw. Vergreisung erwachsener Menschen, die wirkliche Bedürftigkeit verharmlost. Und es ist ein bisschen überdimensioniert, um zu sagen, dass Menschen soziale Wesen sind, die (mal mehr, mal weniger) auf andere angewiesen sind.

Aber wo bleibt hier, wo es eigentlich nur um die künftige Tauglichkeit der Erde für die eigenen Enkel geht, die Verantwortung für die jetzt lebenden Menschen, insbesondere die im globalen Süden?

Die Besonderheits-Konstruktionen indes, die diesen Tätigkeiten als spezifisch anphilosophiert werden, wie intrinsische Motivation, Kommunikation und Verlässlichkeit führen auch nicht weiter auf dem Weg zum „Ganzen der Ökonomie“. Unter anderem negieren sie, dass auch viele anspruchsvolle nicht-menschennahen Erwerbstätigkeiten einer intrinsischen Motivation sowie ausreichend Zeit und Spielraum bedürfen, um qualitativ zufriedenstellende Leistungen zu erbringen, die kreativen ebenso wie die ingenieurtechnischen oder wissenschaftlichen, und dass es mehr als wünschenswert wäre, wenn möglichst viele Menschen ihren Beruf mit einer solchen Motivation ausüben könnten. Man kann Sorge als Gefühl nicht bezahlen, aber die damit verbundene Arbeit schon. Und mehr Raum für Care, wie es viele Care-Apologetinnen fordern, macht die Basis-Arbeit nicht sichtbarer, ändert aber v.a. nicht die meist miesere finanzielle Lage von Frauen, die dann auch immer wieder für den Rückfall in traditionelle Rollenverteilung herhalten muss. Das ändern nur höhere Löhne für Frauen in allen Bereichen.

Sorge anders verstehen

Wie es aussieht können sich die (verbliebenen) Theoretikerinnen des Feminismus bis heute nicht von diesem ihrem „originären Sujet“ trennen, fast wie eine traditionelle Hausfrau, die sich beklagt, aber niemanden in ihre Küche lassen will (wobei sie sich nach wie vor um eine Antwort auf die Frage herumtheoretisieren, warum eigentlich niemand diese Arbeiten so gern machen will). Das hat für die neueren Transformationstheorien eine gewisse Überhöhung dieser bislang so unterschätzten „Basis allen Wirtschaftens“, ohne die alles Nichts ist, zur Folge und gipfelt schließlich seit Ende des letzten Jahrtausends in Forderungen, Care ins Zentrum des Wirtschaftens zu stellen. Auf Basis eines neuen Gesellschaftsvertrags wird ein am Leben und den Bedürfnissen orientiertes Wirtschaften gefordert, das – so die Wissenschaftlerinnen des Netzwerks Vorsorgendes Wirtschaften – die langfristigen Folgen des Wirtschaftshandelns, Unsicherheit und Nicht-Wissen, einbezieht und die unterschiedlichen Regenerationszeiten von Menschen und Natur berücksichtigt.[19] Einige von ihnen plädieren auch dafür, die Natur als Produzentin und Kooperationspartnerin anzuerkennen, statt sie als Quelle und Senke für unser sorgloses Tun zu missbrauchen.

Was einnehmend klingt, lässt doch letztlich konkrete Vorstellungen dieses anderen Wirtschaftens vermissen. Die immergleichen Commons- und Projektebeispiele verbunden mit der Hoffnung, sie mögen sich unaufhaltsam in den Mainstream hinein vermehren, erscheinen nicht nur etwas dünn, frau würde sich auch wünschen, dass die Visionärinnen sich möglichst über den neuesten Stand der Erfahrungen damit informieren, um ihre Eignung als Zukunftsprojekt zu überprüfen. Diese neuen Formen der Subsistenz, gewissermaßen ein Aufleben des Subsistenzansatzes des 1970er-Feminismus ohne Mutterkult, wirken eher verlegen, sei es die gemeinschaftsbezogene Projektekultur oder eine open-source-basierte Do-it-yourself-Kultur (von DIY/DIT bis Prosumtion). Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das ist alles schön und gut. Aber in einer auf Bequemlichkeit und Arbeitsentlastung orientierten Kultur – die ja auch (und besonders) bei den Alternativen gepflegt wird – dürften diese arbeitsintensiven subsistenzangelehnten Alternativen für die Mehrheit kaum zu mehr als zur Freizeitbeschäftigung taugen, einer nützlicheren freilich, als das ständige Handy-Gedaddel, das den Eindruck erweckt, viele hätten schon jetzt zu viel Zeit. Problematisch allerdings wird es, wenn diese Beschäftigungen und modernen Subsistenz-Formen sich gar zu technikfreudig produzieren und die Ausbeutung von oder die Rolle der Natur darüber vergessen. Ressourcenschonendes Wirtschaften als sorgsamer Umgang mit Natur erschöpft sich nicht im besseren privaten Konsum, im Vermeiden von Plastik und im Kauf von Bioprodukten und ist auch durch ein zugewandtes Miteinander unter Freundinnen und Freunden nicht zu haben. Da wäre dann schon unsere Digital-Affinität ein bisschen in den Fokus zu nehmen, ist doch die erstrebte Allround-Digitalisierung alles andere als materiefrei und die Gewinnung der Rohstoffe weder natur- noch menschenschonend.

Nein, wir erwarten kein fertiges Konzept, sondern halten es durchaus mit den Transitionistinnen, die den Weg zum Ziel erklären. Was aber fehlt, sind konkrete Vorstellungen davon, wie dieses feministisch-andere Wirtschaften in einer hochkomplexen globalen (zunächst zumindest noch kapitalistischen) Wirtschaft aussehen soll. So wichtig es ist, den Sorgearbeiten einen ihrem gesellschaftlichen Wert gemäßen Stellenwert und entsprechende Bezahlung zu verschaffen, darf es nicht die alleinige Aufgabe von Frauen sein, dies ins allgemeine Bewusstsein zu bringen und durchzusetzen. Es darf v.a. nicht ihre alleinige Aufgabe bleiben, wollen sie zugleich die Geschlechts-Zuordnungen durchbrechen. Solange Frauen[20] sich für die Sorgeseite zuständig fühlen, bescheiden sie sich mit der Nach-Sorge oder mit dem „Putzen und Entseuchen“[21] der Auswirkungen dessen, was die (weißen) Herren erfinden bzw. vernichten. Wirklich für die Welt sorgen, vor-sorgen können sie nur, wenn sie den Gedanken der Sorge weiter fassen und sich ganz konkret an die Gestaltung der Welt machen, indem sie das Design unserer Kultur, unserer Technik, und unserer Wirtschaft mitentwerfen, als Ingenieurinnen, Digitalspezialistinnen, Ökonominnen, was ganz und gar nicht dazu auffordern soll, es den Männern gleichzutun (was gern unterstellt wird), aber vor Irrtümern und Fehlentwicklungen dennoch nicht bewahrt.

Für den Planeten wäre es dabei gewiss kein Schaden, wenn begabte junge Frauen wenigstens in den Teilen der Welt, die ihnen (schon) eine relative Entscheidungsfreiheit über ihre Reproduktionskraft zugestehen, sich für eine Weile gegen einen Beitrag zum Wachstum der Menschheit entschieden (was ja auch ein Beitrag zur Sorge um den Planeten wäre), wenn sie also den menschlichen Reproduktionsfaktor unter 1 drückten, sich vom Klein-Klein der Vereinbarkeit und privaten Sorgelasten befreiten, um sich der Sorge für die Welt zu widmen. Es ist nicht die Gewalt der Hormone, die Frauen in den Kinderwunsch treibt, dem nicht zu folgen sie als schmerzlichen Verzicht erleben sollen oder in den Sorgemodus, dem nicht zu folgen ihnen schwere seelische Lasten aufbürden. Es ist die Gewalt von Männern und von gesellschaftlichen Erwartungen.

Bestärken wir junge Frauen (weltweit) darin, ihre Projekte zu verfolgen, zu forschen und zu erfinden mit vollem Engagement und ohne die beständige Erinnerung daran, was vermeintlich die wirkliche Bestimmung eines erfüllten Frauenlebens ist! Beschränken wir Altfeministinnen uns nicht auf Wohlwollen für die jungen Fridays for Future-Frauen (nicht zufällig sind es Frauen und Mädchen, die hier die Führung übernommen haben), sondern unterstützen wir sie mit unserer Erfahrung.

Der Artikel erschien ursprünglich in der aktuellen Ausgabe der Monatszeitschrift „Sozialismus.de“. Kostenlose Probehefte und (Probe)Abonnements können auf www.sozialismus.de bestellt werden.

Ruth Becker ist Volkswirtin und war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Frauenforschung und Wohnungswesen an der TU Dortmund.

Eveline Linke ist freie Autorin. Neben einigen Artikeln zum Bedingungslosen Grundeinkommen (u.a. Sozialismus.de, Heft 3/2018) erschien zuletzt ihre gemeinsame Publikation „Mehr als schöner Wohnen. Frauenwohnprojekte zwischen Euphorie und Ernüchterung“, Ulrike Helmer Verlag.

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[1] Dass eine Pandemie daran wenig ändert, zeigt die Erfahrung mit all den frühen Pandemien (von der Pest zur spanischen Grippe u.a.), die große Teile der Menschheit ausgerottet haben, ohne dass damit die Sorge-Arbeiten zu größerer Wertschätzung gefunden hätten.

[2] Auch die kurz vor Redaktionsschluss in die Diskussion gebrachte Einmal-Prämie zumindest für besonders belastete Pflegekräfte in den Krankenhäusern ist kein wirklicher Durchbruch, wird das Geld doch schätzungsweise nur für jede Fünfte Pflegekraft reichen

[3] https://care-revolution.org/

[4] https://care-macht-mehr.com/

[5] Ein Blog im Netz reicht so wenig wie ein digitales Treffen, das nicht einmal für interessierte Außenstehende nachzuhören ist, von Uneingeweihten nicht mal erahnt wird. Das gilt auch für den kurz vor Redaktionsschluss für diesen Artikel im Blog der feministischen Studien veröffentlichten Forderungskatalog einiger der Care-Manifest-Wissenschaftlerinnen, der aber letztlich ebenso wenig plausibel macht, worauf sich ihre Hoffnung stützt, nun mehr Erfolg zu haben, als 2014 mit dem Care-Manifest.

[6] Nach der Modern-Money-Theorie kann die Zentralbank zwar in gewissem Umfang Geld zur Finanzierung von Staatsausgaben »drucken«, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und in begrenzter Höhe. Die Finanzierung eines BGE erfüllt diese Voraussetzungen nicht, auch wenn Vertreter des Netzwerk BGE das behaupten.

[7] Wie in Ländern wie Brasilien, wo die Rechten über »ethische Säuberungen« frohlocken, wenn Menschen aus den Armenvierteln an Corona sterben, weil sie sonst doch nur zu Verbrechern herangezogen werden würden.

[8] Laut Ulrike Baureithel, Der Freitag 23/2020, kommen Studien in Deutschland zu dem Ergebnis, dass 20% der Väter sagen, sie seien während des Lockdowns alleinverantwortlich für die Familienarbeit.

[9] www.soziopolis.de/lesen/presse/artikel/soziologisches-zur-pandemie-ii-1/

[10] Das Abschieben von unliebsamen Tätigkeiten an Machtärmere wurde erst zum Skandal, als ganz normale Frauen es auch taten.

[11] Ironischerweise wird diese Vereinnahmung der ganzen Person heute dem Neoliberalismus bezogen auf alle Arbeitnehmenden angelastet.

[12] Eine in Abwandlungen immer wieder zitierte Definition der US-amerikanischen feministischen Wirtschaftswissenschaftlerin Nancy Folbre.

[13] Perspektivisch sollten alle ihren 16-Stunden-Tag vierteln, für Erwerbs-, Sorge- und politische Arbeit sowie Muße oder Selbstentwicklung, wobei reaktionär wäre, eines zu vernachlässigen. Anna Conrads/Frigga Haug (2013): Die Vier-in-Einem-Perspektive. In: Schneewittchen rechnet ab. VSA Verlag.

[14] Wobei Haug sich ausdrücklich gegen den Care-Begriff wendet, u.a. weil zu undifferenziert. Sie spricht lieber von »Füreinandersorgen«. Frigga Haug: Das Care-Syndrom. In: Das Argument 292/2011.

[15] Zufällig wird in diesen Konzepten zumeist selbstverständlich von Frauen ohne * gesprochen.

[16] Friederike Habermann (2018): ausgetauscht. Ulrike Helmer Verlag

[17] Geneviève Vaughn (2012) schließt aus dem mütterlichen »Schenken« oder auch der Tatsache, dass die allermeisten ab und an was für andere tun, ohne (direkt) was dafür zu erwarten, auf den Kern des Menschseins. Das Geschenk als weibliches Prinzip – sein Gegensatz zum patriarchalen Kapitalismus (www.social-innovation.org/?p=4322#_ftnl).

[18] Ina Praetorius (https://inabea.wordpress.com/2016/07/04/die-care-bewegung-als-politik-der-geborenen/)

[19] Ihre Thesen nehmen vieles vorweg, was die DeGrowth-Bewegung heute endlich »entdeckt«. Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften (Hrsg.) (2014): Wege vorsorgenden Wirtschaftens, Metropolis Verlag

[20] Oder, korrekter, »als Frauen markierte«, also als solche Diskriminierte, Gewalt Erfahrende, Untergeordnete, …

[21] Christina Thümer-Rohr (1987): Feminisierung der Gesellschaft – Weiblichkeit als Putz- und Entseuchungsmittel. In: Vagabundinnen: Feministische Essays. Orlanda Frauenverlag

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