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Die Medizin brennt – der Feuerwehrmann sucht den Schlauch

In deutschen Kliniken geht zur Zeit nichts mehr. Insbesondere die Kinderstationen sind überbelegt, Kranke Kinder müssen teilweise über 100 Kilometer weit gefahren werden, bevor sie Hilfe bekommen können. Kinderärzt*innen werden gebeten, auch schwer kranke Kinder lieber selbst zu behandeln, statt sie ins Krankenhaus zu überweisen und die regulären Vorsorgeuntersuchungen zu verschieben.

Und Gesundheitsminister Lauterbach empfiehlt, Pflegepersonal von Erwachsenenstationen auf die Kinderstationen zu versetzen, um den kompletten Zusammenbruch des Systems zu verhindern.

Die Situation ist nicht neu. Schon im letzten Jahr meldeten Kinderärzt*innen und -kliniken eine massive Überbelastung in der infektionsreichen Wintersaison. Aber seitdem wurden weitere pädiatrische Einrichtungen geschlossen: kranke Kinder zu versorgen, rechnet sich im deutschen Gesundheitssystem nicht. Die privaten Klinikkonzerne haben kein Interesse an der Basisversorgung der Bevölkerung und spezialisieren sich auf lukrative Operationen, die gut planbar sind und eine optimale Auslastung das ganze Jahr versprechen. Kindermedizin ist aber in weiten Teilen Saisonarbeit: die lieben kleinen erkranken halt überwiegend in der kalten Jahreszeit und können dann nicht auf einen Termin beim Doktor oder ein Bett in der Klinik warten. Ähnliches gilt für die Gynäkologie und Geburtshilfe: Eine Geburtsstation muss das ganze Jahr hindurch, jeden Tag, 24/7 mit ausreichend Ärzt*innen, Hebammen und Pflegekräften bestückt sein, um im Zweifelsfall auch mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen zu können, während an manchen Tagen einfach kein einziges Kind geboren werden will.

Gesundheit oder Profit

Im Fallpauschalensystem, das eingeführt wurde, um Krankenhäuser zu Profitmaschinen zu machen, sind solche Bereitschaftskosten nicht vorgesehen. Deswegen hat die Bundesregierung angekündigt, es in der Pädiatrie und Geburtshilfe durch „Vorhaltepauschalen“ zu ergänzen. Das ist weder ausreichend noch gut gemacht: Gerade bei den Kinderstationen sollen diese Pauschalen nach den Umsätzen aus den Fallpauschalen berechnet werden – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Karl Lauterbach als Gesundheitsminister steht da wie ein Feuerwehrmann vor einem Großbrand, der zunächst mal den Schlauch suchen muss, um wenigstens einen Teil des Gebäudes sichern zu können. Aber der ganze Bau brennt und in ihm verbrennen Menschen: Patient:innen, die nicht versorgt werden können und Beschäftigte, die jeden Tag über die Grenzen der Belastbarkeit gehen müssen.

Die Medizin fürs System, die der Gesundheitsminister großspurig als „Revolution“ ankündigt, ist nicht viel mehr als weiße Salbe auf die Brandwunden eines durch und durch instabilen Systems.

Gewinnstreben

Wir bräuchten gar nicht unbedingt mehr Geld fürs Gesundheitssystem, wenn wir wenigstens dafür sorgen würden, dass nicht Jahr für Jahr Milliardenbeträge aus den Beiträgen der Versicherten in die Taschen der Anleger:innen umgeschichtet würden. Allein der Klinikkonzern Helios hat in diesem Jahr etwa 700 Millionen Euro Gewinn gemacht. In einer Situation, in der schwer kranke Kinder nicht versorgt werden können und Krebsbehandlungen bei Erwachsenen aufgeschoben werden müssen, ist das Wahnsinn.

Die Büchse der Pandora wurde 2003 von der Schröder-Regierung aus SPD und Grünen geöffnet, als sie mit der Einführung der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) im Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) den Weg zur Privatisierung und Ökonomisierung der bis dahin öffentlichen oder freigemeinnützigen Kliniken frei machte. Mit der Privatisierung und den Fallpauschalen begann das Rosinenpicken: Private Kliniken haben von ihren Eigentümern häufig rigide Vorgaben bei der Gewinnerwartung. Diese können sie nur erreichen, wenn sie sich auf besonders lukrative Behandlungen spezialisieren und diese mit möglichst wenig Personal durchführen. Das Ergebnis: von knapp 2.500 Kliniken in Deutschland haben 2022 nur noch 299 eine Kinderstation, während mehr als 1.100 künstliche Gelenke einsetzen und 755 Bandscheiben-OPs durchführen.

Die Fallpauschalen führen zudem zu einer Verlagerung der Arbeitskraft von Ärzt*innen und Pflegenden von der direkten Versorgung hin zu Verwaltung: Die überbordenden Dokumentationspflichten dienen nicht in erster Linie der Qualitätssicherung, sondern allein Abrechnungszwecken. Diese Ressourcenverschwendung können wir uns nicht mehr leisten!

Profitorientierung

Auch die Notfallversorgung leidet unter der Profitorientierung: Eine Klinik in meinem Wahlkreis berichtet, wie sie in nur 90 Minuten 45 Notfälle in der Zentralen Notaufnahme versorgen musste, weil im weiten Umkreis sämtliche anderen Notaufnahmen bei der Rettungsstelle abgemeldet waren. Für Ärzt*innen und Pflegekräfte bedeutet das eine enorme Belastung – für Patient*innen, bei denen es oft auf jede Minute ankommt, kann das lebensgefährlich werden.

Während die Beschäftigten an den Unikliniken in NRW mit der Gewerkschaft ver.di bereits in diesem Jahr mit langen Streiks einen Entlastungstarifvertrag durchgesetzt haben, klagen inzwischen auch die im Marburger Bund organisierten Klinikärzt*innen über massive Unterbesetzung und Überlastung der ärztlichen Dienste.

Angesichts der dramatischen Lage in unserem Gesundheitswesen helfen keine kleinen Reformen. Ein Herumdoktern an den Fallpauschalen oder gar die Einführung der neuen „Hybrid-DRGs“ für ambulante Behandlungen wird das kranke System nicht heilen, sondern das Siechtum höchstens etwas verzögern.

Wir brauchen eine echte Gesundheits-Revolution: Schluss mit den Fallpauschalen, eine bedarfsdeckende Finanzierung der Krankenhäuser in der Grund- und Regelversorgung und mehr Personal in allen Bereichen!

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