Dass die US-Linke im Aufschwung ist, können sich viele nicht vorstellen – Im Gespräch mit Stefan Liebich

Wenn in Deutschland über die politische Landschaft in den USA geredet wird, dann geht es meist um den Rechtsruck der Republikaner, die US-Amerikanische Linke dagegen ist kaum ein Thema. Wir haben mit Stefan Liebich, Autor von Progressive America, gesprochen.

Die Freiheitsliebe:  Wenn in Deutschland über die politische Landschaft in den USA berichet wird, geht es meist um die Radikalisierung der Republikaner, über das linke progressive Amerika wird dagegen kaum berichtet. Woran liegt das?

Stefan Liebich: Dass ausgerechnet in den USA Linke wieder im Aufwind sind, können sich viele hier bei uns einfach nicht vorstellen. Bernie Sanders wird als der Mann mit den lustigen Handschuhen bei Joe Bidens Amtseinführung gesehen, aber nicht als jemand, dessen Kampagnen 2016 und 2020 das Land verändert haben und der nun einflußreicher Vorsitzender des Haushaltsausschusses im US-Senat ist. Die Democratic Socialists of America (DSA) mit ihren 100.000 Mitgliedern aus allen US-Bundesstaaten und Abgeordneten im US-Kongress, den Parlamenten der Bundesstaaten und aktiven Politiker*innen vor Ort kennen viele hier kaum. Die meisten deutschen US-Journalist*innen und hiesige transatlantischen Think Tanks haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr auf die Mitte des politischen Spektrums konzentriert und dabei den Aufstieg der Rechten übersehen. Letzteres war dann mit dem Agieren Trumps, spätestens als er selbst einen gewalttätigen Sturm auf das Parlament initiierte, nicht mehr möglich. Aber bis zur Erkenntnis, dass sich auch links etwas tut, über das zu berichten lohnte, hat es offenbar bei vielen noch nicht gereicht. Aber es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel. 

Die Freiheitsliebe:  Das progressive Amerika wird vor allem verbunden mit dem Aufstieg der DSA, Bernie Sanders und den Gewinnen von linken Demokratinnen und Demokraten bei Wahlen, ist dies wirklich der Ursprung des Linksrucks von Teilen der Gesellschaft?

Die Freiheitsliebe: Die USA haben eine reiche linke Geschichte und Kultur. Eugene V. Debs, Mother Jones, W.E.B. Du Bois und Woodie Guthrie seien genannt und darauf verwiesen, dass die Socialist Party einst 50.000 und die Kommunistische Partei gar 75.000 Mitglieder hatte. Aber Antikommunismus, Stalinismus und Realsozialismus haben diese Bewegung massiv geschwächt. Die schreienden Ungerechtigkeiten des US-Kapitalismus haben jedoch spätestens mit Barack Obamas Antworten auf die Finanzkrise, der Rettung der Banken während viele Menschen ihre Jobs verloren, zu „Occupy Wall Street“ 2011 geführt. Hier wurde der Startschusses für den Wiederaufstieg der Linken in den USA gegeben. 

Die Freiheitsliebe:  Welchen Einfluss haben denn linke Organisationen wie DSA oder Working Families Party in den USA und wo liegen ihre Schwerpunkte?

Die Freiheitsliebe: Die DSA, eine traditionsreiche sozialistische Organisation, die sich mit vielen neuen und jungen Mitgliedern neu erfunden hat, vereint viele Strömungen und Richtungen. Das führt natürlich auch zu Konflikten  Aber ihre gemeinsamen Schwerpunkte sind der Kampf für soziale Gerechtigkeit, Antirassismus, ein Green New Deal und Gender Equality. Sie nimmt politisch Einfluß über ihre Mitglieder, Abgeordneten und Kandidat*innen innerhalb der Demokratischen Partei. Die Working Families Party ist eine eher kleine Organisation und keine Mitgliederpartei. Sie wurde vor allem vom gewerkschaftlichen Spektrum gegründet und tritt für einen höheren Mindestlohn, eine gerechte Krankenversicherung und ein gutes öffentliches Bildungssystem ein. Sie nimmt in jenen Bundesstaaten Einfluss, in denen es das Wahlrecht zulässt, dass Kandidat*innen auf mehreren Listen kandidieren und die Stimmen addiert werden können. Außerdem unterstützt sie progressive Kandidierende durch Endorsements (Wahlaufrufe).

Die Freiheitsliebe:  Im Kongress sitzen nun einige linke Abgeordnete, macht sich das im politischen Handeln der demokratischen Partei bemerkbar?

Die Freiheitsliebe: Auf jeden Fall! Die Partei ist heute nicht mehr die von Clinton und Obama. Es wäre bei beiden nicht vorstellbar gewesen, dass sie im Kongress sagen, dass die „Trickle-down-Ökonomie noch nie funktioniert“ habe und die Reichen endlich ihren fairen Anteil an Steuern bezahlen sollen, wie es Präsident Joe Biden, der jahrzehntelang dieses System mit verantwortet hat, im April 2021 in seiner ersten Rede vor dem US-Kongress tat. Dass er das tat, war auch Ergebnis der Stärke der US-Linken, des „Squad“ um Alexandria Ocasio-Cortez und des Progressiven Caucus um Bernie Sanders und Pramila Jayapal, die sich mit ihm auf ein moderat-progressives Programm aus sozialen, ökologischen und bildungspolitischen Maßnahmen, die durch Steuererhöhungen für Unternehmen und Reiche finanziert worden wären, verständigt haben. Leider – und das ist die Kehrseite – ist das meiste davon nicht umgesetzt worden, weil eine Minderheit der Partei aufgrund der knappen und Mehrheitsverhältnisse, das alles blockiert hat.

Die Freiheitsliebe: Nicht nur in der parlamentarischen Landschaft hat sich etwas geändert, auch innerhalb der Gewerkschaften scheint es ein neues Selbstbewusstsein zu geben, wie wirkt sich dies aus?

Die Freiheitsliebe: Unter der Überschrift „Striketober“ ging im letzten Herbst eine Streikwelle durch das Land, wie sie die USA lange nicht mehr erlebt haben. 100.000 Arbeiter*innen u.a. bei Kellog’s, John Deere, Amazon, Starbucks, bei der Filmindustrie in Hollywood begannen und führten Arbeitskämpfe bzw. Kampagnen für eine gewerkschaftliche Organisierung mit einer Reihe von bemerkenswerten Erfolgen, die Hoffnung machen. Erstmals gibt es nun Gewerkschaften bei Starbucks und Amazon gegen den erbitterten Widerstand der Bosse.

Die Freiheitsliebe: Wie gehen linke Organisationen mit dem Rechtsruck der Republikaner um?

Die Freiheitsliebe: Sie erleben diesen Prozess ja bereits seit Jahrzehnten und nicht erst seit Trump und kämpfen für eine Strategie, die die Interessen der Benachteiligten in den Mittelpunkt stellt. Sie wollen die falsche Politik auch der Demokratischen Partei, die zum ökonomischen Abstieg der einfachen Leute geführt hat, beenden, damit nicht rechtspopulistische und autoritäre Kräfte deren Wut in Stimmen ummünzen können und dann statt ihnen zu helfen, die Reichen noch reicher machen. Linke sind auch stets an der Seite der Opfern von Waffengewalt, von Frauen, die selbst über eine Abtreibung entscheiden wollen, jungen Trans*personen und vielen anderen, die zur Zielscheibe eines absurden Kulturkriegs der Republikaner geworden sind.

Die Freiheitsliebe:  Wie gestaltet sich das Verhältnis linker Organisationen zu antirassistische Organisationen und Vertretungen von Minderheiten, inwieweit sind diese eingebunden?

Die Freiheitsliebe: Jede linke Organisation in den USA ist zugleich auch antirassistisch. Nach der Ermordung von George Floyd führte „Black Lives Matter“ überall im Land zu massiven Protesten. Das Gleiche geschah auch mit der „Stop Asian Hate“ Bewegung, nach einer Reihe von antiasiatischen Hassverbrechen, die auch durch Trumps Sprüche über den „China-Virus“ geschürt wurden. Einen Widerspruch zu kreieren, ob man sich entweder zunächst den Arbeiter*innen oder aber dem Kampf gegen Rassismus zuwenden sollte, könnte sich keine ernstzunehmende sozialistische Gruppierung in den USA leisten.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch

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