Proteste am Polytechnio - Bild: SYRIZA

46 Jahre nach Polytechnio – Griechenlands Regierung schafft Universitätsasyl ab!

Knapp vier Monate nach den Parlamentswahlen in Griechenland, welche die rechtskonservative Nea Dimokratia mit absoluter Mehrheit für sich gewinnen konnte, zeichnet sich ein Kurswechsel in der politischen Agenda Griechenlands ab, das Land wird autoritärer. Am 17. November gingen knapp 20000 Menschen in Athen auf die Straße und verbanden Geschichte mit aktuellem politischem Geschehen. Denn es war der Gedenktag des Studierendenaufstands an der Technischen Universität Athen von 1973, der ebenfalls den Anlass gab, den Protest gegen die amtierende Regierung Ausdruck zu verleihen.

46 Jahre nach dem Aufstand, ist es erneut eine konservative Regierung, die durch ihre reaktionäre politische Agenda, den Protest beflügelt hat. Der diesjährige Gedenktag gibt also Anlass, über die knapp viermonatige Regierungszeit der Nea Dimokratia ein Resumee zu ziehen, die Historie des 17. Novembers 1973 zu erläutern sowie die heutige Bedeutung des Gedenktages widerzuspiegeln.

Der Aufstand des „Polytechnio“

Dieser richtete sich gegen die damals amtierende Militärjunta, die seit dem Putsch 1967 an der Macht war. Er begann am 14. November 1973 durch die Besetzung der Technischen Universität Athens und wurde am 17. November von den Militärs niedergeschlagen. Unter der Parole „Brot, Bildung, Freiheit“ forderten die Studierenden den Sturz der Junta und die Wiedereinführung der Demokratie. Panzer und Soldaten drangen in die besetzte Universität ein und schossen in die Menge. Dabei wurden 23 Menschen ermordet. Die Proteste gelten als Anfang vom Ende der Militärdiktatur. 

Jedes Jahr gedenken Arbeiter, Gewerkschaften, Studierende und Schülerinnen und Schüler am 17. November auf Kundgebungen in ganz Griechenland der Opfer der griechischen Militärdiktatur.

Universitätsasyl als Folge

Infolge der Niederschlagung der Proteste am Polytechnio und zur Würdigung der Kämpfe der griechischen Studierenden, wurde mit der Wiederauferstehung der griechischen Demokratie, das sogenannte „Universitätsasylgesetz“ beschlossen, welches eine Reaktion auf die blutige Diktatur der Junta war. Demnach war es Polizisten verboten, Universitätsgelände zu betreten und garantierte den Studierenden Schutz vor Verhaftung und staatlicher Repression. Die akademische Freiheit und kritische politische Auseinandersetzung sollten dabei geschützt werden. Seither durfte die Polizei Universitäten nur mit Genehmigung der Universitätsleitung betreten. Die symbolische Bedeutung des Universitätsasyls entsprang aus der historischen Vergangenheit Griechenlands und wurde als Wahrzeichen der Demokratie angesehen.

Abschaffung des Universitätsasylgesetzes – ein Akt gegen Demokratie

Die Abschaffung des Asylgesetzes war neben den Themen „Sicherheit“ und Migration eines der wichtigsten Wahlversprechen des konservativen griechischen Premierministers Kyriakos Mitsotakis. Trotz massiver Proteste der Zivilgesellschaft, Akademikern, Studierenden und der Opposition wurde die Abschaffung dieses Gesetzes verabschiedet. Es war eines der ersten Gesetze, die die neue Regierung umsetzte. Sie untergräbt dabei die historische Bedeutung des „Polytechnio“ und spaltet die griechische Gesellschaft.

Mitsotakis begründete die Abschaffung dadurch, dass Universitäten ohne Polizeipräsenz zu No-Go Areas wurden, Gewalt und Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie extremistische Tätigkeiten das heutige Bild der freien griechischen Universitäten prägen. „Diese Feststellung sei nicht nur falsch, sondern gefährlich. Herr Mitsotakis, versuche Angst zu schüren, um die akademische Freiheit auszuhöhlen und unsere Rechte zu beschneiden. Es gab keinerlei Gespräche zwischen den Seiten, wir sind die Betroffenen“, entgegneten führende Persönlichkeiten der akademischen Hochschullandschaft.

Gedenken, Protest und heutige Arbeitskämpfe

Die Proteste des Polytechnio gelten als Speerspitze der progressiven Bewegung. Sie richteten sich damals nicht nur gegen das Regime, sondern forderten auch bessere Lebensbedingungen und Freiheit. Es war vielmehr auch eine antiimperialistische Grundhaltung zu erkennen, eine Ablehnung bestehender Militärstützpunkte der NATO und des Einflusses der USA in Griechenland. Die Kundgebung endet deshalb traditionell immer an der US-Botschaft, um gegen aktuelle politische Ereignisse zu demonstrieren.

Auch in diesem Jahr wurde auf der Kundgebung nicht nur an die Opfer gedacht, sondern mit politischen Kämpfen von heute verbunden.

Geprägt durch diese gesellschaftliche Grundhaltung, wurde neben der bestehenden repressiven Politik der neuen Regierung heute ebenfalls auf den kurdischen Widerstand, die Regime-Change Politik in Südamerika sowie die heutigen Arbeitsbedingungen demonstriert.

Die griechische Gewerkschaft GSEE rief auf, die damaligen Arbeitskämpfe mit den heutigen zu verbinden:„Damals wie heute gilt,Kollektives Handeln auf den Straßen ist die treibende Kraft historischer Veränderungen, welche bestehende Machtstrukturen und autoritäre Regime stürzen kann und unsere Interessen durchsetzt. Wir erinnern uns und ehren heute wie damals die Studenten der Technischen Universität, die den Weg zur Demokratie ebneten“.

Polizeigewalt und Polarisierung vor dem Gedenktag

Neben der Abschaffung des Universitätsasyls hat Mitsotakis bereits angekündigt, die Sicherheit zu verstärken und setzt dabei auf eine stärkere Polizeipräsenz. „Für unsere Regierung ist Sicherheit eine politische Priorität (…) Wir werden die Polizeipräsenz vor allem im Zentrum Athens stärken und unsere Polizeikräfte schützen“, deutete Mitsotakis nach seinem Regierungsantritt an

Im Vorfeld des „Polytechnio“ kam es am 10.11.2019 zu einem umstrittenen Polizeieinsatz auf dem Gelände der Athener Wirtschaftsuniversität (ASOEE). Dieser rief massive Proteste der Studierenden hervor. Es war der erste Polizeieinsatz innerhalb einer griechischen Universität seit Abschaffung des Universitätsasylgesetzes und somit seit dem Ende der Diktatur. Polizeikräfte durchsuchten dabei die Universität nach potentiellen „Gefährdern“.

Das Universitätsgelände wurde gesperrt, was die Proteste der Studierenden noch beflügelte. Es kam zu Ausschreitungen zwischen Studierenden und Polizeikräften, die Polizei ging mit Tränengas und massiver Gewalt vor. Dabei wurden zahlreiche Studierende verletzt. Ein schlechter Vorbote für die anstehenden Gedenkveranstaltungen. Als Reaktion auf das repressive Vorgehen äußerten sich zahlreiche Hochschulsenate in einem offenen Brief mehr als besorgt und sprachen sich für die Wiedereinführung des Uniasyls ein.

Die Nea Dimokratia scheint ihre Law and Order Politik mit Gewalt durchsetzen zu wollen, die sich vor Allem gegen „Andersenkende“, in der Hochschullandschaft sowie linke Griechinnen und Griechen richtet. Gefährder wurde in diesem Sinne nicht weiter definiert, es ist wohl davon auszugehen, dass alles, was von den Regierenden als links eingestuft wird, in diese Kategorie fällt. Die Mitsotakis-Regierung zielt eindeutig darauf ab, durch Abschreckung und Polizeigewalt Angst zu schüren und die gesellschaftliche Stimmung weiterhin zu polarisieren.

Pfeile der Opposition

Dieses Vorgehen wurde ebenfalls von der Opposition scharf kritisiert und als Abschreckung und Machtdemonstration der neuen Regierung betitelt. Treffend beschrieb es Janis Varoufakis, Vorsitzender der Mera25, in einer Anfrage im griechischen Parlament: „Möchte man Recht und Ordnung dadurch umsetzen, indem man ein Bürgerkriegsklima erzeuge?“ Die Abgeordnete der SYRIZA, Charoula Kafantari äußerte sich zur aktuellen Situaltion mit folgenden Worten: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen Sicherheit durch Polizeipräsenz und Repression durch einen Polizeistaat, dass was wir heute erleben, ist nicht hinnehmbar“.

„In diesem Jahr habe wir weitaus mehr Gründe, um durch unsere Präsenz auf der Straße ein Zeichen zu setzen: Nicht nur, weil die alten Juntabefürworter nun nicht mehr am Rande der Gesellschaft stehen, sondern auch in den Führungsriegen der aktuellen Regierung präsent sind. Das hat zur Folge, dass Repression und Unterdrückung, die Abschaffung von Meinungsfreiheit und Beseitigung von progressiven Ideen zur Regierungsagenda erklärt wurden.“

Mit dieser Erklärung umschrieb Alexis Tsipras, ehemaliger Regierungschef und nun Vorsitzender der stärksten oppositionellen Kraft im Griechischen Parlament, die heutige Bedeutung der Kundgebung.

Die Regierung wird nicht davon ablassen, auch auf der heutigen Kundgebung mit erhöhter Polizeipräsenz aufzutreten. Laut Polizeiangaben wurden 6000 Polizisten, Drohnen, Helikopter und diverse Spezialeinheiten allein in Athen eingesetzt. Die Kundgebung verlief zum Großteil friedlich, vereinzelte Ausschreitungen durch ein hartes Vorgehen der Polizeikräfte konnten allerdings nicht verhindert werden.

46 Jahre nach dem Polytechnio

46 Jahre nach dem Aufstand im „Polytechnio“ zeigt sich ein weiteres Mal, dass Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Demokratie nichts Selbstverständliches sind und Tag für Tag erkämpft und verteidigt werden müssen.

Heute werden sie aufgrund eines erstarkten Rechtsrucks und autoritärer Machtstrukturen wichtiger denn je. Aufgabe der linken und progressiven Kräfte muss es sein, sich nicht nur zu erinnern, sondern die Kämpfe von damals mit den Kämpfen von heute verbinden, progressive Parteien, Verbände mit Bewegungen und der Zivilgesellschaft bündeln und zu mobilisieren, um sich noch stärker für diese Ideale einzustehen.


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