Stuart Hall ist einer der großen linken Gesellschafts- und Kulturkritiker, seine Schriften beeinflussten Linke wie auch kritischer Wissenschaftler und versuchten die marxistischen Analysen auf Bewegungen des 20. Jahrhunderts anzuwenden. Wenige Jahre nach seinem Tod ist nun das Werk „In Hörweite von Stuart Hall“ von Maria Backhouse, Stefan Kalmring und Andreas Nowak erschienen, dass sich mit Wirken und Wirkung von Stuart Hall auseinandersetzt.
Das Buch hat sich selbst das Ziel gesetzt „Halls Anliegen aus den 1960er bis 80er Jahren, einen Marxismus „ohne Gewähr“ zu entwickeln“ weiterzuverfolgen. Ein Anliegen, das gelingt und begleitet ist von einer Auseinandersetzung mit seinen Werken und einer Einordnung seiner Texte in heutige Debatten.
Zwischen Gegenkultur und Gesellschaftskritik
Max Lill beschäftigt sich in dem einleitenden Beitrag des Buchs mit einer Einschätzung der Bewegung der 60er Jahre, die Halls Wirken beeinflussten. Dabei wird vor allem versucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen politischen und subkulturellen Bewegungen zu finden und deren gegenseitige Beeinflussung zu verstehen. Dabei werden die Parallelen zu Halls Wirken, seinen Hoffnungen auf eine revolutionäre Bewegung und der Einfluss der Jugendbewegung auf seine Sprache und Texte dargestellt.
Stefan Kalmring und Andreas Nowak widmen sich dagegen stärker Halls politischer Einordnung, seinen Fähigkeiten Verhältnisse zu verstehen und der Frage, warum er trotz oder grade wegen der Beeinflussung durch Gramsci und Marx immer wieder mit der Mehrheitslinie der alten Linken haderte. Ihnen ist beizupflichten, wenn sie fordern, dass sich eine Ablehnung des sogenannten real existierenden Sozialismus nicht reicht, sondern es auch einer Formulierung konkreter Utopien braucht. Ihre Aussage, dass es weder zurück zu Marx noch zu Hall gehen muss, lässt sich allerdings nur insofern teilen, dass man nicht versuchen sollte die gesellschaftlichen Veränderungen zu ignorieren. Grade die marxsche Analyse der Produktionskräfte und sein Verständnis des Kapitalismus sind allerdings weiterhin Werkzeuge, deren Aneignung sich die heutige Linke vornehmen sollte, ohne dabei in den Irrglauben zu verfallen, dass sich nichts geändert habe.
In eine andere Richtung zielt dagegen der Text von Maria Backhouse, die sich mit Halls Verständnis von Ideologie und Hegemonie auseinandersetzt. Ihr Text ist dabei eine spannende und diskussionswürdige Interpretation von Halls Verständnis des Wirkens von Ideologie im Kapitalismus. Dabei schießt sie allerdings übers Ziel hinaus, wenn sie Marx und Engels Satz „die Gedanken der Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken“ so versteht, dass es nach Marx und Engels keine Möglichkeiten gibt für Kämpfe um Hegemonie. Ihr Text bietet jedoch nicht nur eine spannende Auseinandersetzung mit Halls Verständnis, sondern geht darüber hinaus, indem Möglichkeiten der Anwendung offengelegt werden.
Yvonne Franke gebührt der Verdienst aus Halls Werken sein Verständnis von Artikulation abzuleiten und zu deuten, da Hall dies nie in einem theoretischen Werk zusammengefasst hat. „Artikulation kann bei Hall als ein Kernprinzip moderner Gesellschaftsformationen im Allgemeinen ebenso wie von Subsystemen in Politik, Kultur oder Ökonomie gelten“ heißt es in ihrem Text, so mag man diskutieren, ob Ökonomie nur ein Subsystemen ist oder nicht die Basis der gesellschaftlichen Ordnung. Dem Beitrag gelingt es allerdings stringent Hall zusammenzufassen und seine Thesen und Konzepte rüberzubringen, die inhaltliche und theoretische Einordnung dessen obliegt dabei dem Lesenden.
Feminismus, Rassismus und Gangsterrap
Teresa Orozco Martinez und Martha Zapata Galindo richten ihren Fokus weniger auf Hall im Allgemeinen, sondern auf die Frage, wie dieser sich zu feministischen Bewegungen und dem Feminismus positionierte. Sie arbeiten heraus mit welchen Widerständen die Frauenbewegung an seinem Uniinstitut zu kämpfen hatte und wie Hall sich immer wieder positiv auf feministische Ansätze bezog.
Hall beschäftigte sich häufig mit Rassismus, dabei entlarvt, dass „Race“ auch immer etwas Konstruiertes ist, was eine materielle Basis besitzt. Seine Analyse geht davon aus, dass es bei medialen Konstruktionen neben dem negativen Beispiel, in Großbritannien waren diese schwarze Jugendliche gibt, auch die Konstruktion eines Gegenteils gibt. Fanny Müller-Uri und Benjamin Opratko wenden die von Hall entwickelte Rassismusanalyse auf die heutige Zeit an und untersuchen sie am Beispiel des antimuslimischen Rassismus, welcher ebenfalls auf einer Konstruktion des anderen und der Abgrenzung davon beruht.
Der letzte Beitrag weicht zumindest auf den ersten Blick von den anderen, denn er setzt sich mit Gangsterrap auseinander. Dies wird am Beispiel des deutschen Rappers Xatar skizziert, der in den Augen von Martin Seeliger: „Xatar setzt mit seiner Autobiografie der ideologischen Überlagerung kapitalistischer Ungleichheitsverhältnisse eine alternative Vision entgegen“. Mag man dies auch als Übertreibung empfinden, so zeigt sein Beitrag doch wie Halls Analysen nutzbar gemacht werden können, zum Verständnis des Bildens von Kultur und Gegenkultur.
Das Werk „In Hörweite von Stuart Hall“ skizziert gut die Relevanz von Stuart Hall für heutige Debatte um Kultur, Diskurse und Hegemonie. Darüber hinaus wird sein Wirken als sozialistischer Aktivist kritisch gewürdigt und eigeordnete. Das Buch ist allerdings keine gute Nachtlektüre, sondern aufgrund der verwendeten Sprache eher etwas für Menschen, die sich schon mit Hall und Marxismus, sowie wissenschaftlichem Arbeiten auseinandergesetzt hat. Für diejenigen ist es aber ein guter Einblick in das Wirken eines kritischen Wissenschaftlers und Aktivisten. Bestellt werden kann das im Argument-Verlag erschienene Buch hier.