Kapitalismus hat uns den Klimawandel beschert

Trotz des immer größer werdenden Wissens über den Klimawandel werden mehr und mehr fossile Brennstoffe verbrannt. Wie sind wir in diesem Schlamassel gelandet? Dieser wichtigen Frage widmet sich Andreas Malm in seinem Buch Fossil Capital – The Rise of Steam Power and the Roots of Global Warming (zu Deutsch: Der Aufstieg der Dampfkraft und die Ursprünge der globalen Erwärmung).

Andreas Malm lehrt Humanökologie an der Universität Lund in Schweden. In seinem Buch Fossil Capital („Fossiles Kapital“) geht er auf die Ursprünge der Nutzung fossiler Energien zurück, untersucht aber auch aktuellere Entwicklungen. Er zeigt, dass die fossile Wirtschaft, in der wir leben, das Ergebnis eines harten gesellschaftlichen Kampfes ist, bei dem die Mehrheit der Menschen bisher den Kürzeren ziehen musste.

Damit widerspricht Malm vehement jenen, die die Menschheit als Ganzes für die Klimakatastrophe verantwortlich machen wollen. Wenn, wie er zeigt, manche Menschen aus Eigeninteresse fossile Brennstoffe gegen das Interesse anderer Menschen, die auch noch explizit Widerstand dagegen leisten, durchsetzen, dann kann man das kaum als Projekt der gesamten Menschheit bezeichnen.

Nicht naturgegeben

Die fossile Wirtschaft ist nicht das Produkt einer menschlichen Natur, die uns seit der Nutzung des Feuers unweigerlich zur Verbrennung fossiler Brennstoffe verdammt, wie es beispielsweise der Geograph Nigel Clark behauptet. Auch die verbreitetere Auffassung, mit der Weiterentwicklung der Dampfmaschine durch James Watt sei die Gesellschaft endgültig eine fossile geworden, wird von Malm ausführlich widerlegt. Er zeigt, dass die Etablierung einer fossilen Wirtschaft nur mit den gesellschaftlichen Verhältnissen im Kapitalismus erklärt werden kann.

James Watt

Malm führt uns zunächst zurück ins 18. und 19. Jahrhundert nach Großbritannien, wo mit der Entwicklung der Textilindustrie die industrielle Revolution und das Zeitalter des Kapitalismus eingeleitet wurden.

1784 reichte James Watt das Patent einer von ihm entwickelten rotativen Dampfmaschine ein, die kohlebefeuert Webstühle und andere Maschinen antreiben konnte. Es ist natürlich Unsinn, deshalb Watt für die fossile Wirtschaft verantwortlich zu machen. Nicht Watt, sondern die Fabrikanten entschlossen sich schließlich, die Dampfmaschine in der Produktion einzuführen, doch bis dahin war es noch ein langer Weg.

Wasser gegen Dampf

Die Textilindustrie setzte zunächst auf Wasserkraft. Riesige Wasserräder trieben damals die größten Textilfabriken an. Über tausend gigantische Wassermühlen waren um 1800 in Schottland und Lancashire (den Zentren der Textilindustrie) im Einsatz. In Manchester wurden bis 1820 die meisten Firmen mit Wasserkraft betrieben. Während Wasser kostenlos war, musste Kohle ständig nachgekauft werden. Zudem liefen Wasserräder beständiger als Dampfmaschinen und konnten nicht, wie letztere, explodieren.

Robert Thom entwickelte 1824 ausgeklügelte Wassersysteme mit künstlichen Speicherseen und Wasserleitungen, die nicht nur in Trockenzeiten für beständige Wasserkraft sorgten, sondern auch Regionen mit Wasserkraft und Trinkwasser versorgten, die vorher keinen ausreichenden Zugang dazu hatten. In James Watts Heimatstadt Greenock florierte die Textilwirtschaft durch Thoms Wasserleitsysteme – nicht durch Watts Dampfmaschinen.

Konkurrenz

Wasserkraft war günstiger, beständiger, sichererer und sauberer als Dampfkraft. Malm zeigt auch anhand der Berechnungen des Geophysikers Robert B. Gordon, dass die Wasserkraft lange noch nicht knapp war, sondern etwa nur fünf Prozent des Potentials der Flüsse in den Industrievierteln genutzt wurde. Warum also setzte sich dann die Dampfkraft durch?

Die erfolgreichen Wasserleitsysteme von Robert Thom sollten auch am Fluss Irwell bei Manchester umgesetzt werden, um die dortige Industrie vollständig mit Wasserkraft zu versorgen. Das vielversprechende Großprojekt verlangte jedoch die Zusammenarbeit von Kapitalisten und die staatliche Kontrolle über die gemeinsame Energieversorgung. Für die Wasserleitsysteme in Greenock schlossen sich die dortigen kleinen Betriebe zu einer Aktiengesellschaft zusammen und die Energieversorgung kam in öffentliche Hand.

Die schärfer konkurrierenden Kapitalisten in Manchester waren dazu nicht bereit. Sie konnten sich nicht einigen, wer wie viel für das gemeinsame Projekt bezahlen sollte und wem wie viel Wasserkraft zustand. Niemand wollte zudem die Kontrolle über die eigene Energieversorgung abgeben. Zu groß war die durchaus berechtigte Angst, zu kurz zu kommen und von der Konkurrenz ausgebootet zu werden. Der Konkurrenzkampf drängte die Kapitalisten in Manchester auf die teurere und schmutzigere Kohle zu setzen.

Klassenkampf

Ein weiterer Grund für den Schwenk zur Kohle lag in deren Mobilität. War eine Wassermühle einmal gebaut, war sie ortsgebunden. Dadurch war es schwieriger, den Betrieb bei Bedarf umzusiedeln. Vor allem konnte man die Arbeiter_innen der sich oft im ländlichen Raum befindlichen Wassermühlen weniger gut disziplinieren und ausbeuten.

Bei Streiks konnten im Gegensatz zu Betrieben in Städten nicht einfach Streikbrecher eingesetzt werden. Zudem mussten für die Mühlenarbeiter_innen neben den Wassermühlen auch weitere Infrastruktur zum Leben, sogenannte Kolonien, zur Verfügung gestellt werden. Das hieß, dass bei Arbeitskämpfen nicht nur die Mühlen, sondern auch noch wesentlich mehr Infrastruktur, in die der Kapitalist investiert hatte, von den Arbeiter_innen zerstört werden konnte.

Als es in den 1820er- und 1830er-Jahren zu Kämpfen um Arbeitszeitverkürzung kam und die Mühlenarbeiter_innen sich weigerten, bei höheren Wasserständen mehr zu arbeiten, erwiesen sich nach und nach die mit Kohle befeuerten Betriebe als konkurrenzfähiger, weil die dortigen Kapitalisten ihre Interessen besser gegen die Arbeiter_innen durchsetzen konnten. Die anderen Kapitalisten mussten aus Konkurrenzdruck nachziehen. Es setzte sich, wie auch heute so oft, nicht die bessere Technologie durch, sondern jene, mit der man im Wettkampf mit anderen Unternehmen besser bestehen konnte.

Widerstand

Malm erwähnt den Widerstand, den es von Arbeiter_innen explizit gegen die Kohlekraft gegeben hat: in den Städten und in den Fabriken gab es Proteste gegen die Luftverschmutzung und 1842 die „Plug Plot Riots“, bei denen die Dampfmaschinen sabotiert wurden.

Im 19. Jahrhundert wurde in Großbritannien der fossile Kapitalismus begründet, von einer Minderheit der Menschen, den Unternehmern, entgegen den Interessen und Widerständen der großen Mehrheit, der Arbeiterklasse. Nachdem der Weg einer fossilen Wirtschaft einmal beschritten wurde, vertiefte sich die Abhängigkeit immer weiter. Je mehr Investitionen in fossile Infrastruktur getätigt wurden, desto unumgänglicher wurde das Festhalten an dieser. Die Politik zog mit und stärkte Jahr für Jahr fossile Energieträger. Seitdem ist jedes Wirtschaftswachstum mit vermehrter Verbrennung fossiler Brennstoffe gekoppelt.

China im 21. Jahrhundert

Malm geht auch auf die Situation im beginnenden 21. Jahrhundert ein. In den letzten zwei Jahrzehnten explodierten die Emissionen Chinas, während die von Industrienationen wie Deutschland, Großbritannien oder der USA nahezu stagnierten. Malm macht deutlich, dass wir in einer global verstrickten Ökonomie leben. Die emissionsreicheren Prozesse der industriellen Produktion werden in Länder wie China ausgelagert, weil es dort günstigere Arbeitskräfte und weniger Umweltauflagen gibt. Die produzierten Güter werden vor allem in den reicheren Ländern des Westens konsumiert.

Malm tappt nicht in die Falle, deshalb die europäischen oder nordamerikanischen Arbeiter_innen als Konsumenten dafür verantwortlich zu machen, sondern betont, dass es gerade diese sind, die sich gegen die Auslagerung von Produktion und für höhere Umweltauflagen einsetzen. Auch heute spiegeln die Emissionen nicht die Spezies Mensch, sondern bestimmte Klasseninteressen wider, die den Interessen der Mehrheit in jeder Hinsicht entgegengesetzt sind.

Alles beruht auf Fossilen

Seit den ersten Schritten der britischen Textilindustrie wurden riesige Investitionen in fossile Brennstoffe versenkt. Angefangen von den Kohlebergwerken, Ölplattformen und Gaspipelines über Kraftwerke, Straßennetze, Flugverkehr, Autoindustrie und Schiffverkehr bis hin zur industriellen Landwirtschaft beruht fast jeder Schritt im Kapitalismus auf fossilen Brennstoffen. Auch wenn erneuerbare Energien in einigen Fällen profitabel sein können, werden sich Unternehmen nicht das Geschäft mit den „Fossilen“ nehmen lassen, die Milliarden Investitionen abschreiben und auf die bestehende Infrastruktur verzichten.

Malms Buch Fossil Capital macht deutlich, wie eng Kapitalismus und fossile Brennstoffe verknüpft sind, und nicht die Spezies Mensch für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Fossil Capital zeigt unmissverständlich, dass wir Kapitalismus ins Visier nehmen müssen, um den Klimawandel zu bremsen. Es ist eine große Hilfe für Ökosozialist_innen im Kampf gegen das System.

Der Artikel erschien zuerst auf der Linkswende.

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