Am 25. Januar 2011 begann die ägyptische Revolution, von vielen westlichen Medien als Aufstand der „Generation Facebook“ gepriesen. Innerhalb von 18 Tagen stürzte sie einen der mächtigsten arabischen Diktatoren, Hosni Mubarak, und zeigte der Welt, dass die Menschen in der arabischen Welt bereit sind ihr Schicksal in ihre Hände zu nehmen. Sameh Naguib, lehrender Soziologe an der Amerikanischen Universität in Kairo, beschreibt in seinem 2011 erschienen Werk „Die ägyptische Revolution – Ursachen, Akteuere, Perspektiven“, die Entwicklung der Proteste.
Er beschreibt die Jahre vor dem Beginn der Revolution als Jahre der Krise des herrschenden Systems in Ägypten. So hatte Mubarak und seine Getreuen in Zusammenarbeit mit den USA und dem IWF eine neoliberale Politik betrieben, die den Anteil der Menschen, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben von 20 Prozent auf 44 erhöhte. Diese Entwicklung ging einher mit der Privatisierung der Staatsunternehmen, die unter Gamal Nasser verstaatlicht worden waren. Mit der auf den Neoliberalismus fokussierten wirtschaftlichen Entwicklung ging eine außenpolitische Orientierung an den USA einher, die auch ein Bündnis mit Israel beinhaltete.
Widerstand vor der Revolution
Diese Politik war schon vor dem offiziellen Ausbruch der Revolution Ursache für verschiedene Protestformen. So die Antikriegsbewegung, die von Ägypten eine Öffnung der Grenzen zum Gaza forderte und sich gegen den Irakkrieg stellte. Wenig später entwickelte sich auch eine Demokratiebewegung unter dem Namen „Kiffaja“ (Genug), die offen ein Ende der Herrschaft Mubaraks forderte und sich gegen die Verknüpfung von politischen Positionen und wirtschaftlicher Macht stellte.
Die „größte und gefährlichste Herausforderung an der Regime wurde schließlich die beispiellose Streikwelle von Arbeiterinnen und Arbeitern, die im Jahr 2006 einsetzte und sich selbst nach dem Sturz Mubaraks noch ausweitete und an Tiefe gewinnt“ so Naguib, über die ArbeiterInnenproteste im Land. Ein Erstarken aller Proteste begann mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise, die auch massive Folgen für Ägypten hatte. Diese wirkten sich auf drei Ebenen aus, so der Soziologe. Die Erste ist die starke wirtschaftliche Abhängigkeit des ägyptischen Exports vom europäischen Markt, die zweite ist der Einbruch im Tourismus-Sektor, der dritte der Anstieg der Kosten von Grundnahrungsmitteln, die vor allem bei den Ärmsten für eine Verschärfung der Situation sorgte. Die Folge der Proteste war ein Anstieg der Unzufriedenheit, der sich in verschiedenen Protestformen offenbarte.
Achtzehntage Revolution
Am 25. Januar begannen in Kairo, Alexandria und anderen Städten Proteste gegen das Mubarak-System. Zum erstmal seit langem waren die „Liberalen, Nasseristen und Sozialisten“ zuversichtlich, was vor allem mit den Protesten in Tunesien zu tun hatte. Der 25.1 war dabei der 59.Jahrestag der Niederschlagung von Protesten durch die britische Besatzungsmacht. Die Forderung waren sowohl sozialer als auch politischer Natur, so wurde ein Mindestlohn gefordert, aber auch die Aufhebung des Ausnahmezustandes und unabhängige Gerichte. Zuerst waren die Proteste relativ klein, „sobald jedoch die jetzt berühmte tunesische Parole gerufen wurde: „Die Menschen wollen den Sturz des Regimens!“ veränderte sich die Stimmung der Aktivisten, und die Zahl der Teilnehmer an den Protesten schwoll an“, so berichtet Naguib, der von Anfang an, an den Protesten teilnahm. Er berichtet ausführlich über die Entwicklung der Proteste, wie die Jugend der Muslimbruderschaft, die Parteispitze zwang an den Aktionen teilnehmen zunehmen und wie die Polizeigewalt zu mehr Beteiligung führte. Er beschreibt, wie die Jugend durch mutige Aktionen die jungen Soldaten daran hinderte gegen die Proteste vorzugehen, in dem sie die Panzer bemalten und die jungen Soldaten als Verbündete ansahen. Gleichzeitig macht er deutlich wie die Besetzung des Tahrirplatzes die Gesellschaft veränderte: „Der Raum auf dem Tahrirplatz war nicht nur rein physisch besetzt, sondern auch geistig. Frauen wurd nicht mehr belästigt, Spannungen zwischen Kopten und Muslimen lösten sich auf (Wovon ein Bild zeugt, welches Kopten zeigt, die betende Muslime schützen).“
Naguib zeigt allerdings auch wie das Regime erfolglos gegen den Untergang kämpft und dabei immer wieder auf die Armee zählen kann, wie auch auf die liberalen Parteien. Er zeigt allerdings auch wie nach dem Sturz Mubarak das Militär die Macht übernahm und dabei wenig an der neoliberalen Wirtschaftsordnung änderte, was die Arbeiter, die auch zu den Protesten den Hauptkern stellten, zu neuen Streiks ermunterte.
Auch wenn die Hoffnung auf ein soziales demokratisches Ägypten mit der erneuten Machtübernahme durch einen Diktator des Militärs, Sisi, der sich wie Mubarak in Scheinwahlen wählen lies, begrenzt sindd. So schreibt Naguib zu dem damaligen Zeitpunkt, an dem viele Fragen noch offen waren: „Was also in Ägypten am 25.Januar als scheinbar rein demokratische politische Revolution begann, kann sich in einen revolutionären Angriff auf die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft entwickeln.“
Er macht mit seinem Buch, welches zu einem hoffnungsvolleren Zeitpunkt geschrieben wurde, deutlich, dass die ägyptische Revolution weltweite Auswirkungen auf die Proteste hatte und die Frage, ob Ägypten weiterhin ein neoliberales und undemokratisches Land bleibt, lange auf der Kippe stand. Der letzte Satz seines Werkes gilt heute noch, wenn auch weniger für Ägypten, als für die südeuropäischen Staaten: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten haben wir buchstäblich eine Welt zu gewinnen.“
Sein Werk liefert einen guten Beitrag zur Analyse der ägyptischen Revolution und ist den geringen Preis von 2 Euro alle male Wert, da es nicht nur die Ereignisse nacherzählt, sondern auch Strategien für zukünftige Proteste aufzeigt.
Ein spannendes Interview zur aktuellen Lage in Ägypten findet sich hier.