Bücher über den Nahostkonflikt gibt es wie Sand in der Negev-Wüste, einige davon sind lesenswert, ein großer Teil ist es nicht, eines der wenigen Bücher, das Interessierte definitiv zur Hand nehmen sollten ist „Zu beiden Seiten der Mauer“, da es die gemeinsamen Perspektiven und Unterschiede von israelischen und palästinensischen Wissenschaftlern aufzeigt.
Herausgegeben wird das im Laika-Verlag erschienene Buch von dem israelischen Professor Ilan Pappe und dem palästinensischen Demokratieforscher Jamil Hilal, die weiteren Beitrag in dem Buch stammen von Ehud Adiv, Dan Rabinowitz, Moshe Zuckermann, Salim Tamari, Nur Masalha, Issam Nassar, Rema Hammami, Oren Yiftachel, Musa Budeiri, Lev Grinberg und Uri Davis. Gemeinsam haben alle Beiträge, dass sie ein Bild des Nahostkonflikts zeichnen, welches wir im Alltag nicht in den Medien sehen und auch in linken Kontexten eher untergeht, da es sich um die Sicht der nicht-parlamentarischen Teile der Linken handelt.
Eine andere Geschichtsschreibung
Lesenswert ist aus dieser Perspektive besonders der Beitrag von Oren Yiftachels „Ethnokratie“. In seinem Beitrag zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, die durch die Unterdrückung der Palästinenser auch eine Hierarchie unter den jüdischen Einwohnern festigt. So stehen an der Spitze der israelischen Gesellschaft, sowohl wirtschaftlich als auch politik, die europäischen Juden, während die aus dem arabischen Raum und Afrika diskriminiert werden.
Aus dem Blickwinkel der innerdeutschen Diskussion ist eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Nur Masalha wichtig, in diesem zeichnet sie die Vertreibung, im arabischen Nakba, und den israelischen Umgang mit den palästinensischen Flüchtlingen nach. Ein israelisches „Transfer-Komitee“ habe in den ersten 10 Jahren nach der Staatgründung verschiedene Iniativen unterbreitet, wie das Problem mit den Palästinensern gelöst werden könnte. Eine davon war eine mögliche Umsiedelung ins damalige Königreich Irak. Andere Ideen waren die Ansiedelung im dünn-besiedelten Königreich Libyen oder einer Umsiedelung von Gaza in den Sinai, welchen Israel 1956 besetzt hatte.
Issam Nasser zeigt in seinem Beitrag, dass es schon seit der Mitte des 19. Jahrhundert ein zusammenhängendes palästinensisches Gebiet gab, welches im osmanischen Reichen integriert war. Damit entgegnet er allen, die meinen Palästina sei immer nur eine Region im römischen Reich gewesen.
Fehlende politische Ansätze
Dieses Buch habe ein Ziel, dem alle Beiträge verpflichtet sind, so der Herausgeber Hilal: „Das Ziel ist, sich von ideologischen Geschichtsschreibungen zu befreien, die einen zur Treue zur eigenen Seite verpflichten und weniger erkennen, dass diese Ideologie ein Hindernis für den Frieden ist.“ Dieses Ziel wird in allen Beiträgen deutlich, wobei viel über Geschichtsschreibung und aktuelle Mehrheitsideologie geschrieben wird und weniger über Perspektiven, wie eine andere Gesellschaft aufgebaut werden könnte. Ein Modell für eine andere Gesellschaft zeichnen in ihren Beiträgen nur Ilan Pappe, der die Ein-Staaten-Lösung vorschlägt, auch wenn er sie aktuell verständlicherweise für nicht sehr realistisch hält, und Uri Davis, der zwischen konförderalem Staatenbund und Ein-Staaten-Lösung schwankt.
Tragischerweise bleiben auch diese Beiträge im akademischen Diskurs stehen und vergessen, wie reale gesellschaftliche Auseinandersetzungen, einen Beitrag zu einer anderen Gesellschaft oder zumindest einem erweiterten Blick auf die aktuellen Hegemonien führen können. Trotzdem bleibt es, wie in der Einleitung geschildert, das wohl wichtigste akademische israelisch-palästinensische Werk der letzten Jahre zum Nahostkonflikt, ein Blick ins Buch ist daher defintiv eine richtige Entscheidung.
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