An den Grenzen Europas und des Rechts

Über Migration wird viel gesprochen im politischen Diskurs, selten wird dabei der wissenschaftliche Stand der aktuellen Debatten berücktsichtigt. Dies zu ändern versucht das Buch „An den Grenzen Europas und des Rechts“.

Der Sammelband „An den Grenzen Europas und des Rechts“ setzt sich mit den verschiedensten Bereichen der Migrations- und Flüchtlingspolitik auseinander. Wobei in den verschiedensten Artikeln immer wieder deutlich wird, warum Flucht und Migration nicht das Gleiche sind und auch unterschiedlich diskutiert werden sollten. Dabei werden in dem Buch die unterschiedlichsten Perspektiven auf den Kontext Migration in den Blick genommen. Die ersten beiden Kapitel setzen sich vor allen mit der Frage auseinandersetzen wie Grenzen funktionieren und wirken, sowie dem Diskurs um Grenzen und Grenzziehungen. Interessant ist dabei vor allem die Frage, wie durch Gewohnheitsrecht und die Durchsetzung von Hoheitsrecht völkerrechtliche Grenzen überschritten und dabei auch der Diskurs sich verändert, skizziert wird dies am Beispiel der spanischen Exklave Melillas. Die Auswirkungen dieser Veränderungen werden von der Autorin des Beitrags Lise Kärner deutlich benannt: „Die illegalen Abschiebungen verhindern zum einen, dass den Geflüchteten rechtliches Gehör auf der administrativen Seite gewährt wird, nämlich die Stellung eines Asylantrags. Zum anderen führt diese Pra-xis auch dazu, dass eine nachträgliche innerstaatliche rechtliche Überprü-fung des Vorgehens der Beamt*innen nicht möglich ist.“

Liberalismus und Ökonomie

Der Beitrag von Kenrao Inagaki beschäftigt sich mit der vom Politologen Claus Leggewie ausgelösten Debatte über die Frage des Wechsels von der Nationalität zur europäischen Bürgerschaft. Die Fragen, die Leggewie mit seinem Beitrag aufgeworfen hat, werden von Inagaki dabei auf die aktuelle Debatte und Rechtslage angewendet. In der anschließenden Auseinandersetzung von Anna Hochleitner mit dem Diskurs um Brain Drain, sowie die Kosten von Migration werden Mythen, wie Migranten kosten vor allem Geld, grade gerückt. Ihr Beitrag scheut dabei nicht davor zurück auch die Auswirkungen von Migration auf die Herkunftsländer zu benennen, ohne um in den Duktus zu verfallen das Migration diesen Ländern nur schaden würde, sondern beleuchtet positives und negatives.

Der anschließende Beitrag setzt sich mit dem Recht auf Migration und Einwanderungsgesetzen auseinander, dabei wird für ein mehr oder weniger liberales Einwanderungsgesetz plädiert, welches die Trennung zwischen Flucht und Migration ermöglicht. Die Frage nach offenen Grenzen wird dabei nicht thematisiert, sondern nur die Abgrenzung zu rein ökonomischen Einwanderungsgesetzen vollzogen. Insgesamt wird dabei der liberal-bürgerliche Diskurs um Migration und Einwanderung nicht verlassen. Eben jenen Diskurs um Migration und das Wechselspiel mit Migrationsreformen untersucht der Beitrag von Merve Kania. Dabei wird deutlich, dass die Sprache immer wieder verroht und dies sich insbesondere bei Abgeordneten der konservativen Parteien niederschlägt. Der Beitrag schließt mit dem Wunsch nach einem anderem Diskurs um Migration, der vor allem die Ängste derjenigen nehmen soll, denen es nicht gut geht.

Privilegien und Visa

Thea Kirsch verdeutlicht in ihrem Beitrag zu Visa-Bestimmungen und Grenzkontrollen, welche Relevanz der eigene Pass und warum es eben nicht irrelevant ist mit welchem Pass man geboren wird. Ihr Fazit fasst dabei das Problem prägnant zusammen:

Die kritische Lesart des globalen Visumregimes in diesem Beitrag zeigt
auf, dass insbesondere die Staatsbürger/innen aus Ländern des globalen Nordens ein großes Maß an Reisefreiheit genießen. Hingegen müssen Staatsbürger/innen aus Ländern des globalen Südens ungleich viel höhere Barrieren für ein Recht auf Bewegungsfreiheit überwinden. In einer Welt, in der Lebenschancen sehr ungleich verteilt sind, wirft die Beschneidung der individuellen Bewegungsfreiheit entlang sozioökonomischer und rassistischer Hierarchien dringende Fragen auf nach globaler Gerechtigkeit – und der Universalität des Menschseins.

Maximilian Pichl und Timo Tohidipur untersuchen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Seenotrettung, wie auch die Aufgaben und Rechte von Frontex. Der Beitrag verdeutlicht dabei, dass Frontex seine Rolle und Aufgabe vor allem in dem Kampf gegen Migration sieht und nicht in der Rettung der Menschen, die übers Mittelmeer flüchten, geschweige denn im ermöglichen einer Perspektive für diejenigen, die ihr Leben riskieren um übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

Der letzte Beitrag untersucht die Auswirkungen von Social Media auf den Prozess der Migration. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle von Social Media durch diejenigen die migrieren, nicht auf politischen Prozessen oder Diskursen. Damit wird eine neue und interessante Sichtweise von Social Media im Kontext von Flucht aufgemacht, nämlich die Bedeutung für diejenigen, die kommen, und nicht diejenigen, die hier sind.

Das Buch untersucht viele aktuelle Fragen im Kontext von Migration und positioniert sich in den Beiträgen, die wertend sind, in einer linksliberalen Ecke. Spannender als die Frage der Positionierung, sind allerdings die Zahlen und Daten, die recherchiert und eingeordnet wurden, und damit dazu beitragen können Pauschalisierungen und Vorurteilen entgegenzuwirken. Ob dies für eine breite Öffentlichkeit gelingt, kann allerdings bezweifelt werden, da das Buch, auch seinem eigenen Anspruch nach, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist und keine Frühstückslektüre. Wer Interesse hat sich tiefergehend mit Migration auseinanderzusetzen, dem sei das Buch trotzdem oder grade wegen seines wissenschaftlichen Charakters empfohlen. Bestellt werden kann es hier.


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