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Menschenfreundliche Asylpolitik geht anders – Deshalb braucht es ein echtes Chancen-Aufenthaltsrecht!

Seit den 1. Januar 2023 können Personen mit „Duldung“, die am Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, das neue „Chancen-Aufenthaltsrecht“ beantragen. Das Gesetz wird von der Regierung als eine menschenfreundliche Geste verkauft. Und das ist es dann wohl auch: nur eine Geste. Darüber hinaus eine, die nur an der Oberfläche freundlich erscheint.

Menschen in Deutschland erhalten einen „Duldungsstatus“, wenn sie laut dem deutschen Gesetz als „ausreisepflichtig“ gelten, aber es auch Gründe gibt, weshalb sie nicht abgeschoben werden können. Mit diesem Status leben in Deutschland tausende Menschen mit sehr eingeschänkten Rechten Jahre – sogar Jahrzehnte. Wer keinen Pass oder andere Identitätsnachweise aus verschiedenen Gründen nicht liefert, fällt meistens in die sogenannte „Duldung light“ der mit Arbeitsverboten und Wohnsitzauflagen versehen ist. Die unmenschlichen „Duldung“ und „Duldung light“ bedeuten jahrelange Isolation und Unsicherheit ohne Bewegungsfreiheit, eigenständige Arbeit oder Ausbildung, Deutschkurse, und gar ausreichende Gesundheitsversorgung!

Nun können Menschen
• die am Stichtag 31.10.2021 bereits fünf Jahre lang in Duldung gelebt haben

• keine strafrechtlichen Verurteilungen hatten (das heißt keine Haftstrafen oder Geldstrafen, über 50 Tagessätze bzw. über 90 Tagessätze bei Straftaten nach Aufenthaltsgesetz oder Asylgesetz)

• nicht absichtlich falsche Angaben zu ihrer Identität gegeben habe

gemeinsam mit ihren Angehörigen eine „Probe“-Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Durch dieses „Chancen-Aufenthaltsrecht“ haben sie eine 18-Monatige „Chance“ die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu schaffen, das sind:

Arbeit und ausreichendes eigenes Einkommen

• Sprachkenntnisse und

• die Erfüllung der Passpflicht

Wer das schafft, soll eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wer das nicht schafft, fällt zurück in die Duldung und ist – mehr als zuvor – von Abschiebung bedroht. Denn wer dabei möglicherweise seine Identitätsdokumente beschaffen konnte und den Behörden geliefert hat, muss damit rechnen, aktiv an seiner eigenen Abschiebung mitgearbeitet zu haben. Teil der Pläne der Regierung ist es nämlich auch, eine so genannte Rückführungsoffensive zu starten. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass man das fragwürdige System der Abschiebungen ausbauen will.

Tatsächlich, laut Prognose der Bundesregierung wird letztlich nur ein Bruchteil der Geduldeten durch das neue Gesetz eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bekommen: Rund 14% derjenigen die aktuell mit einer Duldung leben müssen. „In der Gesetzesbegründung wurde davon ausgegangen, dass nur etwa 98.000 Personen überhaupt einen Antrag auf das Chancenaufenthaltsrecht stellen werden und letztlich nur 33.500 Personen ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten werden.“ Denn die Regierung hat neben der Stichtagsregelung auch andere große Hürden in das Gesetz eingebaut: Es schließt geflüchtete Personen wegen kleinster Straftaten, die bei anderen Bürger*innen noch nicht einmal in ein polizeiliches Führungszeugnis kämen, vom „Chancen-Aufenthaltsrecht“ aus. Auch Geflüchtete, denen die Behörden unterstellen, dass sie absichtlich keine Dokumente zur „Identitätsklärung“ besorgt haben, sollen kein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ bekommen. Die aktuellen Zahlen finden sich auf der Seite des Mediendienst Integration.

Nach den ersten Beobachtungen seit Anfang 2023, macht es einen zentralen Unterschied, ob und auf welche Weise die Behörden die Geduldeten über das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ informieren. In Einzelfällen seien Geduldeten sogar in einer Ausländerbehörde in Brandenburg etwa suggeriert worden, dass auch die Identität für den „Chancen-Aufenthalt“ geklärt werden müsse. Dies stimmt rechtlich aber nicht und durch die berechtigte Angst die Dokumente zu liefern, hätten einige Personen mit der Duldung einen Antrag letztendlich nicht erstellt. Durch diese neue Regelung haben die nachweisbar willkürlich und oft rassistisch agierende Ausländerbehörden offensichtlich einen weiteren Schikaneinstrument für sich entdeckt.

Tatsächlich verdient es die „Chancen-Aufenthaltsrecht“ seinen Namen nicht – weder sollte man allzu große Erwartungen an die Chancen haben, noch verbinden sich für den größeren Teil der Menschen in Duldung damit realistische aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Was so einfach klingt – Deutschkenntnisse, eine Arbeit finden und die Identität klären – ist im täglichen Leben viel zu oft mit schier unüberwindlichen Hürden und Problemen verbunden. Im Koalitionsvertrag war noch die Rede davon, dieses Gesetz der bisherigen Praxis der Kettenduldung entgegenzusetzen. Aber jetzt ist klar: Kettenduldungen wird es weiterhin geben und vermutlich noch mehr.

Also verbirgt sich hinter den rhetorisch nett klingenden Fassade eher ein weiteres Isolations- und Abschiebeinstrument von der nur einige wenige profitieren werden. Menschenfreundliche Asylpolitik geht anders!

Daher sagen wir:

Echte Chancen passen nicht zu diskriminierenden Ausschlussgründen:

Denn die Ausschlussgründe liefern Schutzsuchende der Behördenwillkür aus: An einigen Orten gelten Asylsuchende nur wegen des Verstoßes gegen die Passpflicht bereits als Straftäter*innen – an anderen Orten wird die Einreise ohne Pass weniger kriminalisiert. Die Verknüpfung von Strafrecht mit Aufenthaltsrecht ist grundsätzlich diskriminierend und verstößt gegen Rechtsstaatsprinzipien. Während für deutsche Bürger*innen das Strafsystem einen neuen Anfang ermöglicht, werden bei Ausländer*innen kleinste und verjährte Straftaten aus der Ausländerakte nie gelöscht und können lebenslang aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. So werden Migrant*innen und Asylsuchende immer mehrfach bestraft und kontrolliert!

• Echte Chancen dürfen nicht vom Pass oder anderen Dokumenten abhängen:

Die Ausländerbehörden gehen oft willkürlich mit der Frage um, ob jemand seine Identität ausreichend geklärt hat. Oft unterstellen sie, dass Schutzsuchende aus Angst vor der Abschiebung ihre Identität verschweigen, obwohl viele Asylsuchende einfach keine Dokumente besorgen können, die ihre Identität beweisen. Die Anforderungen an Dokumente müssen an die Realitäten von Flucht angepasst werden!

• Echte Chancen sind keine Falle:

Laut Gesetz sind alle Schutzsuchenden, die es nicht schaffen innerhalb von 18 Monaten alle Anforderungen für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen, mehr als zuvor von Abschiebung bedroht. Denn nun haben sie den Ausländerbehörden Dokumente zu ihrer „Identitätsklärung“ gegeben, die für ihre Abschiebung benutzt werden können. Abschiebungen sind Menschenrechtsverletzungen und müssen abgeschafft werden!

• Echte Chancen müssen realisierbar sein:

Das Leben mit Duldung bedeutet jahrelange Ausgrenzung, oft erzwungene Untätigkeit und Perspektivlosigkeit. Das hinterlässt psychologische Spuren. Wie sollen Geduldete nun innerhalb von 18 Monaten eine Arbeit finden und Deutsch lernen?

  • Ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ soll für drei Jahre erteilt werden, um genug Zeit bereitzustellen sich neue Perspektiven zu erarbeiten.
  • Außerdem müssen alle Geduldeten umfassend von den Behörden über ihre Möglichkeiten informiert werden und es soll flächendeckend staatlich finanzierte unabhängige Beratung angeboten werden.
  • Grundsätzlich müssen Bleiberechtsregelungen weg von der Vorstellung einer „guten Integration“. Sie ist zu eng für eine inklusive und pluralistische Gesellschaft. Die Arten, in dieser Gesellschaft anzukommen, sich zu engagieren und einzubringen sind so vielfältig wie die Menschen, die hier leben. Die Möglichkeit zur Teilhabe und Mitbestimmung in einer Gesellschaft darf nicht allein von Leistung abhängig gemacht werden. Die Trennung von Migrant*innen und dem Zweck der Migration soll aufgehoben werden. Alle Aufenthaltstitel sollen für jeden Menschen zugänglich sein.

• Echte Chancen ermöglichen Teilhabe, statt sie zu verhindern:

Während die Chance auf einen gesicherten Aufenthalt davon abhängt, ob geflüchtete Menschen Arbeit oder eine Ausbildung finden, wird vielen Menschen genau das in Deutschland verboten. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag versprochen, die Arbeits- und Ausbildungsverbote abzuschaffen – im aktuellen Gesetzentwurf ist dazu aber nichts zu finden. So machen die Gesetze Teilhabe an der Gesellschaft und damit eine sogenannte „Integration“ unmöglich. Wir brauchen Arbeits- und Ausbildungserlaubnisse für alle!

• Echte Chancen sind bedingungslos:

Wir wollen ein stichtagsunabhängiges „Chancen-Aufenthaltsrecht“ für alle, die bereits in Deutschland leben, auch für diejenigen, die vor Jahren aus Angst vor Abschiebung untergetaucht sind oder aus anderen Gründen illegalisiert leben. Denn sie alle leben und arbeiten in Deutschland und ihre Situation ohne Papiere macht sie ausbeutbar und verletzlich.

FAQ zu „Chancen-Aufenthaltsrecht“: https://bleiberecht-statt-chancenfalle.net/informationen-fuer-geduldete/

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