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Flüchtlinge sind Menschen, keine Statistik

Seit einigen Wochen wohne ich in Berlin. Seit dem bewegte viel im Hinblick auf Flüchtlinge. Der dreijährige Aylan Kurdi wurde tot an einen Strand der Türkei gespült und sorgte für einen großen Aufschrei. Wie Rosa Luxemburg bereits sagte:  „Gewöhnlich ist ein Leichnam ein stummes unansehnliches Ding. Es gibt aber Leichen, die lauter reden als Posaunen und heller leuchten als Fackeln.“

Und so wurde nicht nur Aylan, sondern auch viele weitere Opfer, die die EU-Flüchtlingspolitik zu verantworten hat, der Anlass für eine neuartige Bewegung. Die Flüchtlinge wurden mit Applaus und Massen an Sachspenden an den Bahnhöfen München, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Dortmund und vielen anderen Städte begrüßt. Die Bilder gingen um die Welt. In den USA feierten Tageszeitungen die neue deutsche Willkommenskultur. Geschichten über Geschäfte, die keine Bezahlungen von Flüchtlingen akzeptieren wollen, häufen sich. Immer mehr Menschen investieren nicht nur Geld, sondern vor allem ihre Zeit, um den Flüchtlingen vor Ort so so gut es geht zu helfen.

Für mich war es nun soweit: Auch in Berlin sollten ca. 350 Flüchtlinge ankommen. Nach langer Unklarheit über die Ankunftszeit, erfuhren wir, dass diese direkt nach Spandau – ein etwas abgelegenerer Stadtteil Berlins– gebracht werden sollten. Wir rechneten mit einer Ankuft um 23 Uhr Sonntags, doch letztlich kamen sie am Montagmorgen um vier Uhr an. Eine sehr ungünstige Uhrzeit für Menschen, die wochentags arbeiten müssen. Aus diesem Grund wurden die Flüchtlinge nicht, wie in München mit mehreren hunderten Menschen begrüßt, sondern nur von ca. 20. Wollen die Berliner Behörden die neu entstandene Willkommenskultur brechen? So wollten sie zunächst niemanden zur Unterkunft in Spandau vorlassen. Es ginge angeblich um Lärmschutz.

Unter den anreisenden Flüchtlingen waren auch aus München weitergereiste. Ihre Geschichten muss kurz erzählt werden, denn sie ist exemplarisch für die Hindernisse auf der langen Flucht. Auf dem Weg nach Deutschland musste Familie, nennen wir sie Müller,, wie viele andere auch über Ungarn anreisen. Dort angekommen, wurde ihnen gesagt, dass die Möglichkeit besteht mit dem Zug über Sopron, eine Stadt an der Grenze von Österreich und Ungarn, nach München zu fahren. Überglücklich glaubten sie dieser Nachricht und kauften die Tickets für jeweils 123,40 €. Den Rest der Geschichte habt ihr sicher in den Nachrichten verfolgt: Sie stiegen in den Zug ein. Dich dieser fuhr statt nach Sopron ins Flüchtlingslager Bicske fuhr. Eine andere Familie erzählte mir, wie ein ungarischer Mann ihnen helfen wollte mit seinem Van über die Grenze Österreichs zu fahren. Nach ca. 15 km Fahrt hielt der Fahrer aus unbekannten Gründen in einer unbefahrenen Gegend an, schloss den Van ab und lief davon. Allein zurückgelassen versuchte die Familie sich durch Schreie erkenntlich zu machen und das Fensterglas einzuschlagen, doch vergebens. Sie gaben die Hoffnung bereits auf und stellten sich darauf ein in diesem Wagen sterben zu müssen, denn kurz davor erfuhren sie von dem Laster, der auf einem Seitenstreifen der Autobahn in Österreich 40 tote Flüchtlinge verbarg. Einige Stunden später entdeckte sie ein hilfsbereiter Mann, der sie aus dem Van befreien konnte.

Warum ich euch das alles erzähle? Damit wir uns immer wieder bewusst machen, dass diese Menschen ihr Leben riskiert haben und das nicht nur einmal, sondern mehrmals, um nach Europa zu kommen. Es kann nicht sein, dass diese Menschen bei ihrer Ankunft aufgrund illegaler Einreise angezeigt werden, obwohl diese Menschen keine Chance haben legal einzureisen. Die Politik, und vor allen Dingen die Regierung, ist gescheitert. Sie konnten es nicht verhindern, dass geflüchtete Menschen in die EU bzw. nach Deutschland kommen.

Sie hatte keine andere Wahl, als die Grenzen, zumindest kurzfristig, für die sich in Ungarn befindlichen Flüchtlinge zu öffnen. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union spricht in den Artikeln 1-4 und 6 von der Würde des Menschen, dem Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, dem Verbot der […] unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung, dem Recht auf Freiheit und Sicherheit. Tagtäglich bricht die EU und ihre Institutionen diese durch ihre unmenschliche Asylpolitik. Die Menschen sind aufgewacht und haben das leere Gerede, das von oben kommt, satt. Sie sind aufgestanden und haben die Initiative ergriffen, um es den Menschen zumindest bei ihrer Ankunft so angenehm wie möglich zu machen. Es liegt an uns: Wollen wir lediglich zusehen oder wollen wir uns weiter für eine gerechtere und tolerante Gesellschaft einsetzen, bei der Zusammenhalt auf der Tagesordnung steht? Diese Frage muss jeder und jede für sich selbst beantworten.

Die Autorin Yasmin Nahhass ist Mitglied im SDS. Bundesvorstand.

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