Nina Eumann - Quelle: Linke Mülheim

Der Feminismus hat sich nicht überholt – Im Gespräch mit Nina Eumann

Am kommenden Sonntag steht der internationale Frauentag an, der als Kampftag der Frauen für ihre Rechte von der ehemaligen Marxistin Clara Zetkin und ihren Mitstreiterinnen etabliert wurde. Wir haben mit Nina Eumann, Mitglied im Parteivorstand der Linken und sozialistische Feministin, über Feminismus und Gleichberechtigung heute, sowie den Kampf für eine bessere Zukunft gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Am kommenden Sonntag steht der internationale Frauentag an, wie ist dieser Tag entstanden?

Nina Eumann: Die Amerikanerinnen begingen bereits am 20. Februar 1909 einen nationalen Frauentag. Initiiert durch die deutsche Sozialistin Clara Zetkin, fand der erste Internationale Frauentag am 19. März 1911 in Deutschland, Dänemark, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Millionen von Frauen beteiligten sich. Zentrale Forderungen waren zum Beispiel das Wahl- und Stimmrecht, die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages, ausreichender Mutter- und Kinderschutz, die Festsetzung von Mindestlöhnen und gleicher Lohn bei gleicher Arbeitsleistung. Im Ersten Weltkrieg wurde er für Friedenskundgebungen genutzt und war gerade deshalb 1916 in Deutschland und Österreich zeitweilig verboten

Die Freiheitsliebe: Welche Bedeutung hat der Tag heute noch?

Nina Eumann: Die Gleichstellung der Geschlechter ist weder in Deutschland noch im Rest der Welt Realität. Der Tag ist wichtig, um auf die Geschichte des 8. März aufmerksam zu machen – ohne die ArbeiterInnenbewegung hätten wir ihn nicht. Wir finden ihn wichtig, um auf unsere Kämpfe aufmerksam zu machen, aber auch auf internationale Kämpfe wie die der Haushaltsarbeiterinnen in USA oder die Kämpfe der griechischen Putzfrauen um ihre Arbeitsplätze.

Die Freiheitsliebe: Inzwischen fordern selbst PolitikerInnen der CDU in ihren Reden die Gleichstellung von Frauen, weswegen häufig gesagt wird, der Feminismus habe sich überholt. Siehst du das auch so?

Nina Eumann: Nein, das sehe ich nicht so. Auch wenn die CDU verstärkt die Gleichstellung von Frauen fordert – die SPD im übrigen auch – wird diese längst nicht Realität und ist auch nicht in ihrer ganzen gesellschaftlichen Konsequenz von CDU und SPD gewollt.
Für die CDU und auch die SPD ist es ein großer gesellschaftlicher Schritt in Richtung Gleichstellung, dass es nun die Quote von Frauen in Aufsichtsräten gibt. Ja, ich finde Quoten in allen Arbeitsbereichen wichtig. Als gesellschaftliches Signal fände ich es allerdings viel wirkungsvoller, z.B. eine Quote für Männer in Kindergärten, Kindertagesstätten und Grundschulen einzuführen. Dadurch würde sich wahrscheinlich auch das Gehaltsgefüge dort ändern, und zwar zugunsten der Beschäftigten dort.

Noch immer leisten Frauen den Hauptteil gesellschaftlicher Arbeit, noch immer erhalten Frauen im Durchschnitt 20 % weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Noch immer trägt Armut ein weibliches Geschlecht. Wer will da davon reden, der Feminismus habe sich überholt?

Die Freiheitsliebe: In welchen Bereichen gibt es den größten Bedarf für Gleichstellung? Wo lassen sich Fortschritte erkennen im Vergleich zur letzten Generation?

Nina Eumann: Ich kann keinen Bereich des Lebens erkennen, in dem es keinen Bedarf an Gleichstellung gibt, vor allem aber in den Bereichen Erwerbsarbeit und Reproduktion. Bei der Erwerbsarbeit wird allein durch die unterschiedliche Bezahlung deutlich, wie notwendig hier der Kampf um Gleichstellung noch ist. Frauen arbeiten zumeist in Teilzeit, Mini- und Midijobs werden in der Mehrzahl von Frauen besetzt. Und nicht umsonst reden wir von der Krise der sozialen Reproduktion; überall da, wo es darum geht, Sorge zu tragen für andere, sind es überwiegend Frauen, denen in unserer Gesellschaft die Verantwortung zugeschrieben wird, aus „Liebe“ Ausbeutung als Normalzustand zu akzeptieren. Dies gilt für die bezahlte Sorgearbeit als auch für die unbezahlte.

Ja, wir sehen auch Fortschritte. Auf internationaler Ebene gibt es zunehmend Bewegungen und Kämpfe, die Mut machen. Es gibt eindrucksvolle Ansätze einer Organisierung von unten – viele im Bereich sozialer Reproduktion: solidarische Kliniken in Griechenland, Gesundheitszentren in Italien, die Zusammenschlüsse gegen Zwangsräumung in Spanien – sie alle sind gleichzeitig Ansätze einer Reorganisierung der Linken, die die solidarische Bearbeitung von Alltagsproblemen zum Ausgangspunkt nehmen. Und in diesen Kämpfen sind es die Frauen, die anfangen sich zu organisieren, ihr Leben in die Hand nehmen und damit die Gesellschaft verändern.
Aber auch bei uns gibt es Ansätze, die Mut machen. Da ist das Bündnis zum Frauenkampftag, das seit letztem Jahr zu einer großen, aussagekräftigen, kämpferischen Demonstration aufruft. Da ist die feministische Intervention, die sich bei Blockupy einmischt unter dem Motto: „Let’s care! Let’s dance! Let’s Blockupy – Feministisch!“ und versucht, eine feministische Sicht auf die „Bankenkrise“ zu formulieren.
All das sind Ansätze, die es weiter zu entwickeln gilt, für die wir gerne streiten.

Die Freiheitsliebe: Welche Ursachen haben diese Ungleichheiten?

Nina Eumann: Gerne wird immer davon gesprochen, dass unsere Doppelbelastung darin besteht, dass wir Beruf und Familie unter einen Hut bekommen müssen.
Wir sagen: Unsere Doppelbelastung heißt Kapitalismus und Patriarchat. Dieses Wirtschaftssystem basiert wesentlich auf der Ausbeutung un- oder mies bezahlter Sorgearbeit. Es sind vor allem Frauen, die die Sparmaßnahmen in Gesundheit, Pflege, Bildung usw. so gut es eben geht auffangen und auffangen sollen. Das verstärkt traditionelle Arbeitsteilungen. Sorgearbeit gilt als Privatsache.

Die Freiheitsliebe: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, in der das Geschlecht keine Rolle mehr bei den Lebensperspektiven spielt?

Nina Eumann: Im Leben von Männern und Frauen muss gleichermaßen und gleichberechtigt viel Zeit sein für erstens Erwerbsarbeit, zweitens Familienarbeit, drittens politische Einmischung und gesellschaftliches Engagement und viertens Weiterbildung und Muße. Ja, letztlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als ein gutes Leben für alle. Dafür müssen wir alle streiten – Frauen wie Männer.

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