Verwirrspiel um Anordnungen gegen Yanis Varoufakis: Ausdruck staatlicher Anmaßung

Das Einreiseverbot gegen Yanis Varoufakis im Zusammenhang mit dem Palästina-Kongress vom 12.-14. April 2024 in Berlin – und die Intransparenz, mit der von behördlicher Seite damit umgegangen wird – ist ein erschreckender Ausblick darauf, wie schnell und unkontrollierbar staatliche Repression um sich greifen kann, wenn ein Kipppunkt erreicht ist.

Unter Berufung auf die politische Staatsräson werden in Deutschland seit Langem Grundrechte verletzt. Über Jahre hinweg hat sich die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu Israel-Palästina sowie staatliche Gewalt gegen Palästinenserinnen, Palästinenser und solidarische Menschen, insbesondere Jüdinnen und Juden, unter dem Radar und oft mit Zustimmung der breiten Öffentlichkeit institutionell verfestigt.

Am 12. April 2024 und den Tagen danach haben wir einen Eindruck davon bekommen, wie autoritäre Praktiken, die sich anfangs gegen weitgehend unsichtbare Minderheiten richten, ihre eigene Dynamik entwickeln und immer weitere Kreise ziehen. Hätten sich die Einreiseverbote und angeblichen Betätigungsverbote auf die beiden palästinensischen Teilnehmer des Kongresses, den Historiker Salman Abu Sitta und den Arzt Ghassan Abu Sittah, beschränkt, wären die Ungereimtheiten um das Verbot des Kongresses wahrscheinlich nicht mit solcher Deutlichkeit zu Tage gekommen.

Nun berichten allerdings auch die etablierten Medien mehr oder weniger kritisch zu den Vorfällen und die Verletzungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die allgemeine Besorgnis über die willkürliche Auslegung von Staatsgewalt ist absolut berechtigt, denn was sich um den Palästina-Kongress herum abspielte, betrifft die gesamte Gesellschaft, unabhängig, welche Meinung man zu Inhalt und Teilnehmer:innen der Veranstaltung hat.

An dieser Stelle geht es speziell um das widersprüchliche Verhalten der deutschen Behörden in Bezug auf das Einreiseverbot von Yanis Varoufakis, welches beispielhaft die systemischen Gefahren für die Demokratie aufzeigt. Weiteres zum Palästina-Kongress, wie Debatten, Pressekonferenzen und auch der Teil des Kongresses, der nach dem Versammlungsverbot online nachgeholt wurde, ist für Interessierte auf dem Youtube-Kanal von DiEM25 sehr gut dokumentiert.

Es sei nur festgehalten, dass der Kongress gemeinschaftlich von jüdischen, palästinensischen, sowie deutschen und internationalen Gruppen organisiert wurde. Inhaltlich setzte er sich mit der Frage nach einer Mitschuld Deutschlands an den israelischen Verbrechen gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser auseinander. Die Organisierenden des Kongresses stehen mit ihrer Überzeugung, dass Israel in Gaza Völkermord begeht und ein System der Apartheid in Palästina errichtet hat, nicht allein da. Sie reihen sich damit in eine wachsende Gruppe internationaler Expertinnen, Experten und demokratischer Bewegungen ein. Die gesamte Veranstaltung wurde kurz nach Beginn von der Polizei verboten.

Widersprüchliche Aussagen zu rechtlichen Grundlagen und unklare Zuständigkeiten der Behörden

In Bezug auf die Maßnahmen gegen Yanis Varoufakis wurde Organisator:innen einer Demonstration gegen das Verbot des Kongresses am 13. April zunächst mündlich von der Polizei vor Ort mitgeteilt, dass ein politisches Betätigungsverbot gegen Herrn Varoufakis bestehe. Sie wurden außerdem darauf hingewiesen, dass das Verbot auch abgespielte Nachrichten von ihm einschließe. 

Sobald die Nachricht in den Medien kursierte, wurden von verschiedenen Stellen in Polizei und Bundesinnenministerium widersprüchliche Angaben gemacht. Erst wurde das Betätigungsverbot scheinbar auch vor der Presse bestätigt, dann bezog man sich ausschließlich auf ein Einreiseverbot. Zwischenzeitlich wurde auch das wieder von der Bundespolizei dementiert. Yanis Varoufakis selbst hatte zu diesem Zeitpunkt keinerlei Mitteilung von offizieller Seite erhalten.

Damit stellt sich die Frage nach dem Zweck von behördlichen Einschränkungen der Meinungs- und Bewegungsfreiheit, wenn die betreffende Person davon keine Kenntnis hat. Dasselbe gilt auch für die anderen betroffenen Konferenzteilnehmer, die sich der mutmaßlich gegen sie bestehenden Anordnungen ebenfalls nicht bewusst waren. Dr. Ghassan Abu Sittah, dem Rektor der Universität Glasgow, wurde am Berliner Flughafen die Einreise verweigert. Das Verbot des kompletten Kongresses wurde letztendlich damit begründet, dass der per Video aus dem Ausland zugeschaltete Salman Abu Sitta ein Betätigungsverbot in Deutschland habe.

Die Schlussfolgerung, dass es sich um staatliche Einschüchterungsversuche und vorgeschobene Gründe handelt, ist wahrlich nicht weit hergeholt. Darüber hinaus ist es eines Rechtsstaats nicht würdig, sozusagen darauf zu spekulieren, dass Menschen in Unkenntnis der gegen sie verhängten Auflagen eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat begehen. Schließlich wurde dem Anwalt von Yanis Varoufakis nach einigen Tagen bestätigt, dass es eine befristete Fahndungsausschreibung zur nationalen Einreiseverweigerung vom 10. bis 14. April gab.

Dies ist an sich schon eine drakonische Maßnahme, steht aber nicht in Zusammenhang mit dem anfangs zitierten Betätigungsverbot. Politische Betätigungsverbote können im Vereinsrecht gegen Gruppen, wie zum Beispiel den IS oder seit November 2023 die Hamas, verhängt werden. Im Ausländerrecht kann ein politisches Betätigungsverbot auch gegen Einzelne erlassen werden. Das gilt dann allerdings nicht für EU-Bürger wie Yanis Varoufakis.

Daran schließt sich die Frage an, warum die rechtlichen Grundlagen nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber Varoufakis selbst so verspätet und intransparent dargelegt werden. Dieses Verhalten zeugt von Willkür und autoritären Praktiken, insbesondere da in einer Endlosschleife Zuständigkeiten zwischen Landes- und Bundesebene und zwischen Polizei, Innenministerium und Ausländerbehörde hin- und hergeschoben werden. Es ist unklar, ob die Polizei vor Ort Anordnungen falsch kommuniziert hat oder ob höhere Stellen aus taktischen Gründen falsche oder missverständliche Informationen weitergegeben haben. Es scheint allerdings offensichtlich, dass die Sicherheitskräfte vor Ort unter starkem Druck standen, den Palästina-Kongress zu verhindern. Wenn das durch rechtsstaatliche und verhältnismäßige Mittel nicht möglich ist und trotzdem passiert, dann bewegen wir uns auf sehr gefährlichem Terrain.

Das tagelange Verwirrspiel um die Maßnahmen gegen den Kongress und seine Teilnehmenden lässt darauf schließen, dass staatliche Organe politisch motiviert und möglicherweise gesetzwidrig gehandelt haben und dabei rechtsstaatliche Kompetenzen verwischt wurden.

Ein Beitrag von Marie-Olivia Badarne, Vorstandsmitglied MERA25 Deutschland.

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