„Europa hat vermutlich das letzte Mal die Chance, weltweite Standards zu setzen. Verpassen wir diese Chance, werden wir uns anpassen müssen“. So prophetisch äußerte sich der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, im August 2014 über die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“. Damit reihte sich die SPD in den Kreis der BefürworterInnen dieses Freihandelsabkommens ein, die es als Heilsbringer für den transatlantischen Wirtschaftsraum anpreisen. Arbeitsplätze würden geschaffen werden und ein massiver wirtschaftlicher Aufschwung wäre die Folge, so der Tenor.
Verbraucherschutz in Gefahr
Derartig vollmundige Versprechungen kaschieren die Interessen, die hinter dem Abkommen stehen. Diese offenbaren sich bei genauerer Betrachtung der Vertragsinhalte und des Entstehungs- und Verhandlungsprozesses von TTIP. Über das transatlantische Freihandelsabkommen verhandeln seit 2013 VertreterInnen der Europäischen Union und der USA. Das Ziel ist die Schaffung einer gigantischen Freihandelszone. Diese soll sich über Europa und Nordamerika erstrecken und Staaten wie Kanada oder die Schweiz einschließen. Sie soll Handelshemmnisse beseitigen. Neben der Senkung von Zöllen geht es vor allem um die Angleichung unterschiedlicher Standards. Das soll den Warenaustausch zwischen den beteiligten Staaten erleichtern. Das Abkommen erstreckt sich nicht nur auf Industriestandards. Es umfasst auch Bereiche wie Verbraucherschutz oder Bildung. Das wohl bekannteste Beispiel für eine „Harmonisierung“ von Standards ist das Chlorhuhn: KritikerInnen von TTIP befürchten, dass bald auch in Europa Fleisch mit Chlor gereinigt wird. Hinter der Vereinheitlichung versteckt sich letztlich eine Absenkung von Standards zu Lasten der BürgerInnen.
Öffentliche Einrichtungen in Gefahr
Die drohenden Veränderungen durch das Freihandelsabkommen sind massiver, als das Schlagwort „Chlorhuhn“ vermuten lässt. So wäre beispielsweise die Koalitionsfreiheit gefährdet, da die USA diese Kernarbeitsnorm nicht ratifiziert hat. Die öffentliche Daseinsvorsorge droht privatisiert zu werden. Davon könnte auch der Bildungssektor betroffen sein – Gelder für öffentliche Bildungseinrichtungen wären in Gefahr.
Eine besondere Gefahr für die Demokratie ist die geplante Investitionsschutzklausel. Mit ihrer Hilfe können Konzerne ihre Interessen durchsetzen, wenn sie sich in ihrer Investitionstätigkeit gestört fühlen oder sie ihren Profit geschmälert sehen. Dann könnten sie ihre Rechte vor Schiedsgerichten einklagen. Ordentliche Gerichte würden ausgehebelt, eine Paralleljustiz wäre die Folge. Wie real die Gefahr ist, zeigt das Beispiel Uruguay. Als die dortige Regierung Risikohinweise auf Zigarettenschachteln drucken wollte, klagte der Tabakkonzern Philip Morris dagegen. Grundlage ist ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz. Nun will der Konzern nicht nur zwei Milliarden US-Dollar Entschädigung haben, sondern auch die Risikohinweise auf den Zigaretten verbieten.
Durch den Investitionsschutz würden demokratische Entscheidungen, die zu Lasten von Unternehmen gehen, unmöglich gemacht. Die Konzerninteressen hinter TTIP werden auch anhand des Verhandlungsprozesses deutlich. Die EU-Kommission führt die Verhandlungen mit den USA, ohne die Öffentlichkeit über die Inhalte des Vertrages zu informieren. Die Kommission entscheidet, wem sie Auskünfte erteilt. Das führt de facto zu einer einseitigen Informationspolitik. VertreterInnen von Konzernen wird großzügig der Zugang zu geheimen Dokumenten gewährt, während zivilgesellschaftliche Organisationen weitgehend außen vor bleiben. Nur Informationsleaks und vergleichbare Abkommen lassen erahnen, welche Folgen TTIP haben würde. Auf öffentlichen Druck hin wurde eine kleine BeraterInnengruppe aus NGOs und Gewerkschaften gegründet. Aber auch diese ist deutlich unterrepräsentiert. Die Industrielobby kann den Vertragsentwurf nach ihren Vorstellungen beeinflussen. Die EU vollzieht damit eine Machtverschiebung zugunsten privatwirtschaftlicher Interessen. Niedrigere Standards und Deregulierung zugunsten von höherem Profit und zu Lasten der Menschen sind die Folge.
Elitäres Herrschaftsprojekt
Um das Chlorhuhn geht es schon lange nicht mehr. Angela Merkel hat bereits verkündet, Chlorhühner aus dem Abkommen herauszuhalten, um den KritikerInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tatsächlich fügt sich TTIP nahtlos in die vorherrschende Freihandelsdoktrin und die neoliberale Agenda der EU ein, die in den vergangenen Jahren massive Einschnitte zu Lasten der BürgerInnen zur Folge hatte. Freihandel wird dabei als Mittel gesehen, sich auf dem globalisierten Markt durchsetzen zu können. Freihandel ist ein elitäres Herrschaftsprojekt, das die Interessen der Menschen außer Acht lässt.
Trotz aller Verschleierungsbemühungen seiner VerfechterInnen regt sich Widerspruch gegen TTIP. Die zahlreichen lokalen und internationalen Bündnisse gegen das Freihandelsabkommen sind ein wichtiger Schritt, um Gegenöffentlichkeit herzustellen. So wurde von einem europaweiten Bündnis die Bürgerinitiative „Stop TTIP“ initiiert. Deren Zulassung wurde von der Kommission aus fragwürdigen Gründen abgelehnt. Dies verdeutlicht die Taktik der verhandelnden Institutionen, die Öffentlichkeit systematisch von jeglicher Mitbestimmung auszuschließen. Es zeigt aber auch, dass die Kritik an TTIP den Charakter der EU entlarven und so den Anstoß zu einem Europa geben kann, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Der Protest von unten zeigt, dass die Interessen der Konzerne nicht die der Mehrheit der Menschen sind.
3 Antworten
Passt nicht gerade zur Überschrift, aber ich möchte dieses Video hier trotzdem nochmal reinstellen, da mich es immer noch wundert, warum es so wenig verbreitet ist.
Der ehemalige Spiegel Journalist Harald Schumann redet Klartext und prangert die Interne Pressefreiheit in Deutschland an.
Schumann: “… das ist in der deutschen Presse Gang und Gäbe, dass Chefredakteure oder Resortleiter ihren Untergebenen sagen, wie sie zu denken haben. Dass Vorgaben gemacht werden, was sie recherchieren dürfen und was nicht, und dass viele junge Kollegen daran gehindert werden überhaupt kritische Journalisten zu werden weil ihre Vorgesetzten das gar nicht wollen.”
Interviewer: “Sie nehmen ausdrücklich die ÖR-Anstallten nicht aus, warum?”
Schumann: “Weil ich genügend Kollegen aus ÖR-Anstallten kenne, die mir genau solche Geschichten berichtet haben und mir das hundertfach bestätigt haben. Insofern, die sind da nicht aus zunehmen.”
https://www.youtube.com/watch?v=d1ntkEbQraU