Im Boxring: Strategisch gegen Gewerkschaftsfeindlichkeit und gespaltene Belegschaften kämpfen

Die Sozialpartnerschaft mag als Leitidee in Teilen der Gewerkschaften lebendig sein, in den Geschäftsführungen vieler deutscher Unternehmen ist sie es nicht mehr. Journalistische Untersuchungen (Rügemer/Wigand 2015) haben ans Tageslicht befördert, was für Belegschaften längst keine Randerscheinung mehr ist, sich möglicherweise sogar „normalisiert“: Versuche, einfachste Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen und/oder einen Tarifvertrag auszuhandeln, treffenauf Abstufungen feindseliger Gegenwehr der Arbeitgeber (AG), seien diese nun organisiert oder spontan, eher subtil oder brachial (Dörre u.a. 2016, 123ff.; Behrens/Dribbusch 2014). In diesen Fällen gleicht der Betrieb einem Boxring. Wer am Ende ausgezählt wird, hängt ebenso vom strategischen Handlungsvermögen wie von der Technik und der Schlagkraft der Akteurinnen und Akteure ab.

Angesichts der medialen Öffentlichkeit, die Themen wie Union Busting und‚Bossing‘ bisher erlangt haben, ist gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindliches Arbeitgeberhandeln erstaunlich unterforscht. Grund genug, um im Weiteren Formen des Arbeitgeberwiderstandes zu rekonstruieren, auf die wir in einer Studie zur Erneuerung von gewerkschaftlicher Organisationsmacht in Ostdeutschland gestoßen sind. In 17 von 21 untersuchten Betrieben fanden wir Schattierungen von Arbeitgeberdruck, der versuchte, betriebliche Mitbestimmung oder Tarifverhandlungen zu ver- bzw. behindern.

Belegschaftsspaltungen sind ein wichtiger Zwischenschritt der Geschäftsführungen, um unliebsame Aktivisten zu marginalisieren und wirksame Interessenpolitik zu verhindern. Voraussetzung dafür ist lediglich ein fruchtbarer Boden in den Belegschaften – solche Spannungen, Konkurrenzbeziehungen, Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust oder Loyalitäten dem AG gegenüber sind allerdings eher die Regel als die Ausnahme. Ob aus ihnen offene Spaltungen werden, hängt vom Zutun betrieblicher Aktiver und des AG ab. Auch wenn nicht jedes Agieren des AG antigewerkschaftliche Koalitionen in den Belegschaften nach sich zieht: Wo es gelingt Bündnisse zwischen Führungskräften und Teilen der Belegschaft zu mobilisieren, da stehen sich dann Gruppen von Kolleginnen und Kollegen gegenüber – nicht selten in emotional aufreibenden Auseinandersetzungen. Aber Arbeitgeberwiderstand ist keine unüberwindbare Hürde, wie wir zeigen wollen. Durch strategisches Vorgehen, beteiligende Gewerkschaftsarbeit, kompetente Unterstützung von Seiten hauptamtlicher Gewerkschafter und einen langen Atem in der betrieblichen Auseinandersetzung kann der Aufbau stabiler Organisationsmacht im Betrieb gelingen.

Im Folgenden werden wir verschiedene Formen von Angriffen der AG und des Vorgehens betrieblich Aktiver rekonstruieren, auf die wir gestoßen sind. Wir ergänzen unsere „ostdeutsche Empirie“ durch ein westdeutsches Fallbeispiel. Es verdeutlicht nicht nur die Komplexität betrieblicher Ringkämpfe, sondern auch, dass es sich um kein „Ostproblem“ handelt. Abschließend werden wir einige strategische Handlungsmöglichkeiten bilanzieren, die es erleichtern, Angriffe des AG erfolgreich zu bewältigen.

Gewerkschaftsfeindliches Handeln

Im Rahmen des Projekts „Rückenwind für die Gewerkschaften“ (Dörre u.a. 2016) haben wir Fälle des erfolgreichen gewerkschaftlichen Organisationsaufbaus in ostdeutschen Unternehmen untersucht. Wohlgemerkt, es handelte sich fast ausschließlich um ein Positivsampling, in dem gescheiterte BR-Gründungen (bis auf eine Ausnahme) nicht analysiert wurden. In 17 der 21 Betriebsfälle wurden uns von gewerkschaftlich Aktiven verschiedene Arten von Arbeitgeberdruck geschildert. Dieser sollte entweder die Wahl von BRs be- bzw. verhindern oder weitere gewerkschaftspolitische Schritte sabotieren. Experteninterviews, die wir mit Gewerkschaftssekretären der IG Metall und NGG führten, haben diesen Eindruck stark konflikthafter Beziehungen unterstrichen. In der Regel treffen sie auf Widerwillen, nicht auf Kooperationslust der Geschäftsführungen.

Von unten mobilisierter Gegenmacht wird auf der Gegenseite mit strategischem Kalkül begegnet. Wo der Konflikt keine zu hohen Kosten verursacht, wird er gesucht. Umgekehrt heißt das: Wo Gewerkschaften gleichzeitig effizient Interessen vertreten wollen, ist ein klares strategisches Vorgehen notwendig. Wo es an betrieblicher Mobilisierungsfähigkeit mangelt, fehlen auch die Anreize für das Kapital, sich zu mäßigen. Gehen wir deshalb davon aus, sozialpartnerschaftliche Haltungen seien in Deutschland verschwunden? Im Gegenteil, aktuelle Studien zeigen, dass sie in abgestufter Form durchaus verbreitet sind (Bluhm et al. 2014; Helfen 2013). Allerdings halten wir kooperative Arbeitgeberstrategien selbst nicht für ‚das Normale‘, von dem Verhinderungsversuche lediglich abweichen, sondern für Regierungs- und Führungstechniken, die nach Bedarf gewählt werden. Wo sich wettbewerbs- und marktkonforme Interessenorientierungen bei den Belegschaftsrepräsentanten auf konfliktarmem Wege erzeugen lassen, wird dieser auch eingeschlagen. Entscheidend ist letztlich, wie Mitbestimmungs- und Tarifpolitik der Belegschaften aussieht. Um es hegemonietheoretisch zu formulieren: Tragen Belegschaftsrepräsentanten die Worte des Managements auf ihren Lippen, dann sind drakonische Störaktionen überflüssig. Entwickeln sie aber im Rahmen gewerkschaftlicher Erneuerungsbewegungen Ansätze autonomer Gewerkschaftspolitik, treffen sie überwiegend auf harte Gegenwehr.So lautet unsere weitergehende These.

Im engeren Sinne verstehen wir unter gewerkschaftsfeindlichem AG-Handeln aggressive und kampagnenförmige Strategien, die den Aufbau von Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Gegenmacht verhindern sollen. Im Extremfall spielen professionelle Berater dabei eine wichtige Rolle. Hintergrund für solche Versuche sind aggressive Wettbewerbs- und Flexibilitätsstrategien der Unternehmen, teilweise aber auch schlicht autoritäre Haltungen (oder auch eine Kombination von beidem): Das Management will im eigenen Unternehmen keine machtfähigen Widersacher dulden, sondern seine Verwertungsbedingungen „frei“ gestalten. Das alles ist kein Zufall, sondern Teil der Neoliberalisierung der Gesellschaft, also der Wiederherstellung und Festigung von Klassenherrschaft (Organisieren Kämpfen Gewinnen 2016: 4-5).

Geschäftsführungen versuchen auf sehr unterschiedlichen Wegen, Mitbestimmung und gewerkschaftlichen Einfluss zu verhindern. Längst nicht i. d. R. sind professionelle Berater aktiv, wenngleich diese Branche zu wachsen scheint. Die Maßnahmen bilden vielmehr einen bunten Strauß: Sie reichen von persönlichen Schikanen über gezielte Versuche, Spaltungslinien in der Belegschaft hervorzurufen oder zu vertiefen, bis hin zu aggressiven Störaktionen und Schikanen gegen- über ganzen (Belegschafts-) Gruppen. Grundsätzlich setzen diese Be- und Verhinderungsstrategien zu allen Zeitpunkten der betrieblichen Organisierung ein. Es kann bereits beim ersten Anzeichen gewerkschaftlicher Aktivität beginnen – etwa dann, wenn Beschäftigte darüber leichtfertig betriebsöffentlich sprechen. In anderen Fällen greifen Arbeitgeber erst ein, wenn deutlich wird, dass Betriebsräte mit gewerkschaftlicher Unterstützung gegründet werden sollen. Manchmal klingen die Alarmsirenen des Managements erst nach der Gründung eines handlungsfähigen Betriebsrates. Dann geht es nicht selten um gezieltes Streuen von Falschinformationen, um zwischen Belegschaft und Betriebsräten Keile zu treiben. In unserer Untersuchung ( Ausführlich haben wir diese Zusammenhänge in „Streikrepublik Deutschland?“ erörtert) sind wir auf all diese Varianten gestoßen. Wir sprechen daher von Abstufungen oder Schattierungen der Mitbestimmungs- und Gewerkschaftsfeindlichkeit.

1. Desinformationspolitik: Durch gezielte Falschinformationen wird der Rückhalt der Aktiven zu schwächen versucht, indem sie als Personen, ihre Arbeit bzw. ihre Ziele diskreditiert werden. In einem Untersuchungsbetrieb etwa streuten leitende Angestellte das Gerücht, durch einen neuen Tarifvertrag würde es zu ungünstigeren Nachtschichtregelungen für die Beschäftigten kommen; oder dass die Betriebsratsmitglieder lediglich Kaffee tränken, während die Mitarbeiter den Arbeitsausfall, den die Interessenvertreter auslösten, kompensieren müssten. Besonders wirksam ist die Drohung, im Fall von Betriebsratsgründungen oder einer Tarifierung käme es zu Arbeitsplatzverlusten. Das Ziel ist klar, neben die Diskreditierung von Gewerkschaftsaktivisten tritt die Angstmacherei.

2. Eine weitere Methode zur Verhinderung gegenmachtfähiger Interessenvertre tungen ist die Platzierung arbeitgebernaher Betriebsratskandidaten: Entpuppen sich alternative Vertretungsorgane (eine Karte, die Geschäftsführungen gerne ausspielen) als Ablenkungsmanöver und scheitern offene Versuche Betriebsratsgründungen zu verhindern, dann reagieren Geschäftsführungen häufig, indem sie ihnen wohlgesonnene Beschäftigte zur Kandidatur ermutigen.

3. Kooptation von Aktiven und Beschäftigten: Zum Teil versuchen Geschäftsführungen betrieblich Aktive an sich zu binden oder die Loyalität von Teilen der Belegschaft durch Zugeständnisse zu gewinnen. Diese Strategien reichen von „vertraulichen Gesprächen“, in denen Aktive überzeugt werden sollen, dass es im eigenen Interesse sei, eng mit der Geschäftsführung zusammenzuarbeiten, über Angebote zu finanziellen Besserstellung oder hohen Abfindungen der Aktiven bis hin zu Lohnerhöhungen oder Besserstellungen. Sie kann auch die Form von ideologischen Anrufungen annehmen, die den Interessenkonflikt verklären. Man könne doch in der „Betriebsfamilie“ Ungereimtheiten auf dem direkten Weg klären oder müsse im Interesse der Kundenzufriedenheit bestimmte Härten erdulden, heißt es beispielsweise. Die erfolgreiche Kooptation ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu wirkmächtigen antigewerkschaftlichen Koalitionen.

4. Angriffe auf Aktive: Oft werden Aktive oder deren Unterstützer in der Belegschaft von leitenden Angestellten gemaßregelt oder benachteiligt. Z. B. werden sie auf unangenehme Arbeitsplätze versetzt, von der Belegschaft isoliert oder in Personalgesprächen scharf gemaßregelt. In anderen Fällen wurden Aktive auf Betriebsversammlungen verspottet. Diese Angriffe sollen nicht nur die Aktiven selbst, sondern auch ihre potenziellen Anhänger verängstigen. Ziel ist es, die Herausbildung eines stabileren Kollegenkreises zu erschweren, der zum Kern eines betrieblichen Reformbündnisses werden könnte.

5. Verzögerung und Erschwerung der Arbeit von Betriebsräten oder Tarifkommissionen: In Form eines interessenpolitischen Kleinkriegs werden beispielsweise Wahlen zum Betriebsrat behindert, in dem kurzfristig juristischeAnfechtungen geltend gemacht werden, bei der Wahl zum Wahlvorstand zugesagte Räume kurzfristig belegt sind, Betriebsräte Zahlungen für Schulungen nicht bewilligt bekommen und gleichzeitig mit Arbeit überhäuft werden.

6. Abmahnung und Kündigung: In einigen Betrieben wurden Aktive und ihre Unterstützer durch Abmahnungen oder Kündigungen verunsichert. Vermutlich, darauf weisen weitere Berichte betrieblich Aktiver hin, erschöpft sich die AG-Gegenwehr nicht auf diese Maßnahmen. Zu bedenken ist, dass auch aktive Bündnisbildung, die Etablierung betrieblicher Leitbilder und die Verankerung von betriebsgemeinschaftlichen Identitäten strategisch gut aufgestellten Managern dazu dienen, gegenmachtorientierten Aktiven den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unternehmerische Umstrukturierungen, um ein letztes Beispiel zu nennen, gehören dann ebenfalls zur Werkzeugkiste. Im Folgenden wollen wir dies anhand unseres westdeutschen Fallbeispiels diskutieren.

Dieser Artikel wurde von Thomas Goes und Marcel Thiel geschrieben und in der neusten Augabe der Zeitschrift „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“ herausgegeben. Der zweite Teil des Artikels beschäftigt sich mit der Situation in Westdeutschland.

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