Der Aktienmarkt interessiert nicht

Was haben Aktienmärkte mit den Löhnen von lohnabhängig Beschäftigten zu tun? Nichts.

Im 20. Jahrhundert machten Aktienmärkte zumeist kleinere bzw. moderatere Gewinne im Vergleich zum „goldenen Zeitalter“, in welchem wir uns nun befinden. Nach der Finanzkrise, welche ab 2007 ausbrach, ziehen die Kurse wieder an und die Hauptindizes brechen einen neuen Rekord nach dem nächsten. Im Juli brachen der NASDAQ (Anm.: Technologieindex) sowie der S&P 500 (Anm.: Branchenübergreifende Werte der 500 größten börsennotierten Unternehmen) Allzeithochs. Der Dow Jones steht diesen kaum was nach. Die Aktienmärkte haben sich nicht nur von der zurückliegenden Finanzkrise erholt, sondern eine ernstzunehmende Überhöhung gebildet.

Einer der größten Fans der Aktienmärkte dürfte US-Präsident Donald Trump ein. Seit Juli verfasste er elf Tweets auf Twitter, in welchen er die Stärke der Märkte bejubelte. Insbesondere zwei von Trump verfasste Tweets weisen darauf hin, dass steigende Börsenkurse sowie steigende Löhne Hand in Hand gehen:

“Stock Market at all time high, unemployment at lowest level in years (wages will start going up) and our base has never been stronger!”
D. Trump am 03.07.2017

„Aktienmärkte auf einem Allzeithoch, Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Level seit Jahren (Löhne beginnen zu steigen) und unser Fundament war nie stärker!“

„Allzeithochs an den Aktienmärkte, beste wirtschaftliche Zahlen seit Jahren, niedrigste Arbeitslosigkeit seit 17 Jahren, steigende Löhne, Grenzen gesichert. S.C. (Anm. Staff Chief: Personalleiter): Kein Chaos im Weißen Haus“

Der vorherige US-Präsident Barack Obama war etwas kritischer, wenn er Aktienmärkte und Löhne verglich. Allerdings nutzte auch er Aktienmärkte als Maßstab für ökonomische Stärke. Einige Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise, genauer gesagt, als die Börsenkurse wieder stiegen, äußerte Obama in seiner Ansprache an die Nation 2011:

„Zwei Jahre nach der schlimmsten Rezession, welche die meisten von uns erlebt haben, brüllen die Aktienkurse wieder zurück. Die Unternehmensgewinne steigen. Die Wirtschaft wächst wieder.“

Unser politischer Führer schien wohl darauf zu verweisen, dass anziehende Kurse an den Börsen eine gute Sache für unser Land ist. Aber was tut der Aktienmarkt für den durchschnittlichen Amerikaner? Oder genauer gesagt: Was tut er für dessen Lohn?

Die obenstehende Abbildung vergleicht die durchschnittlichen Löhne von nichtleitenden Beschäftigten mit dem Verlauf des S&P 500 vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Bei beiden erfolgt eine Berücksichtigung der Inflation nach CPI (bis 1978) und CPI-U-RS (ab 1978). (Anm.: Konsumpreisindex)

Werfen wir zu Beginn einen Blick auf die Reallöhne in US-Dollar (Wert des Dollar von 2016). Von 1920 bis zu den frühen 1970er Jahren stiegen die Löhne rasch und konstant. Allerdings sanken diese seit Mitte der 70er. Seit Mitte der 90er steigen diese wieder, wenn auch langsam. Der Verlauf des S&P 500 unterscheidet sich hiervon. Zwischen den 20ern bis zu den frühen 70ern steigt er zwar auch, wenn auch weniger. Zeitgleich mit dem Sinken der Löhne steigt dieser rapide an.

Gehen wir nun einmal ins Detail: Vor 1980 wuchsen die Reallöhne durchschnittlich um zweieinhalb Cents (0,025$) pro Monat. Dann, nach 1980, wuchsen diese nur noch mit einer durchschnittlichen Rate von 0,7 Cents (0,007$) – ein Verlust von 71%. Der S&P 500 folgt einem anderen Muster: Vor 1980 wuchs er durchschnittlich um 0,53% pro Monat. Nach 1980 zog er an. Der Index wuchs nun 4% pro Monat – ein Anstieg der Wachstumsrate von 660%.

Abstrakt betrachtet, könnte man sich fragen, was Reallöhne nun mit dem S&P zu tun haben sollen – zumindest in irgendeinem Punkt. Vor 1980, als der S&P um einen Zähler stieg, stiegen die durchschnittlichen Löhne zeitgleich um fast drei Cents (0,027$). Ab 1980, als der S&P um einen Zähler stieg, stiegen die Gehälter nur noch um ein Zehntel eines Cents (0,001$).

Dies führt zu der Frage: Stehen diese beiden Variablen in Abhängigkeit zueinander? Wenn der S&P steigt, steigen dann auch die Löhne? Dementsprechend: Wenn der S&P sinkt, sinken dann auch die Reallöhne? Zwischen 1950 und 1975 sind diese größtenteils vergleichbar. Allerdings ändert sich dieses Verhältnis danach und beide Verläufe verlaufen nun unterschiedlich: Wenn der S&P steigt, tendieren die Löhne dazu, zu sinken und wenn der S&P sinkt, tendieren die Löhne zu einem Wachstum. Nach 1975 stieg der eine Verlauf durchschnittlich, während der andere sank.

Führende Politiker scheinen zu glauben, dass das, was gut für den Aktienmarkt ist, automatisch auch gut für die Realwirtschaft ist. Allerdings zeigen die Daten, dass seit den 80ern trotz steigender Aktienkurse kaum Bewegung bei den Löhnen eintrifft.

Heutzutage verdienen stündliche Lohnempfänger – welche fast 60% der Belegschaft ausmachen – durchschnittlich nur etwas mehr als vor 40 Jahren. Wenn der US-weite Mindestlohn mit dem durchschnittlichen Stundenlohn sowie der durchschnittlichen Produktivität seit den späten 1960er Jahren Schritt halten würde, wäre er nun bei stündlich über 18$.

Dennoch gehen Politiker und Führungskräfte immer noch davon aus, dass der Aktienmarkt für den Erfolg der Gesamtwirtschaft entscheidend ist. Vielleicht erzählen uns Börsenkurse was über die Aussichten ihrer Kapitaleigner. Allerdings erzählen sie uns nichts über die Gehälter lohnabhängiger Beschäftigter.

Von Michelle Styczinski im Jacobin erschiener Artikel, übersetzt durch Marvin Schulze

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Eine Antwort

  1. Die Aktienkurse haben nichts mit der Wirtschaft zu tun. Vor einigen Jahren war das noch etwas anders. Da sind die Aktienkurse nach guten Gewinnen gestiegen. Aber auch wenn große Firmen Massenentlassungen angekündigt haben.
    Heute sind die Quartalszahlen der Firmen nur noch Nebensache. Wichtig ist nur der Zinssatz, den die Zentralbanken vorgeben. Reicht das nicht mehr, dann werden wie in Europa von der EZB Aktien in Milliardenhöhe aufgekauft.
    Wir haben jedoch den Aktienmarkt zum wichtigsten Barometer der Wirtschaft gemacht. Denn dadurch, dass die Banken groß im Spielkasino der Börse mitspeilen ist es zum Erhalt unseres Wirtschaftssystems unerlässlich.
    Eine Preisanpassung an der Börse ist längst überfällig. Wird aber durch das Eingreifen der Zentralbanken weiter in die Zukunft verschoben. Aber je länger es Dauert desto schlimmer wird das Platzen der Aktienblase sein.
    Daher wird die EZB auch noch im nächsten Jahr weiter 60 Milliarden oder mehr jeden Monat in die Wirtschaft pumpen. Eine Einstellung der Geldinfusion wird die Aktienmärkte zusammenbrechen lassen.

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