Andros Payiatsos - Foto: Natalia Medina / Offensiv

Wohin will die „Volkseinheit“? – Im Gespräch mit Andreas Payiatsos

43 Abgeordnete stimmten nicht für Tsipras Memorandums Politik, daraufhin kündigte dieser Neuwahlen an um sich eine Fraktion zu schaffen, die sich hinter seinen Kurs stellt und die eigene Regierungsmehrheit nicht gefährdet. Der linke Flügel von SYRIZA „Die linke Plattform“ reagiert auf die Entscheidung mit der Gründung einer eigenen Fraktion und der Bekanntgabe bei den Neuwahlen eigenes Bündnis anzutreten. Eine Organisation dieses Bündnisses ist die linke Kraft Xekinima, Lucy Redler sprach mit deren Sprecher Andreas Payiatso.

Was fordert die „Volkseinheit“?

Die „Volkseinheit“ ist Ausdruck des derzeitigen Stands des sich rasch entwickelnden Klassenbewusstseins in Griechenland. In den letzten drei bis vier Jahren gab es einen massiven Anstieg der Unterstützung für Syriza von damals drei bis vier Prozent auf 36 Prozent. Nach dem Ausverkauf durch die Führung von Syriza kam es zur Spaltung der Partei, vor allem viele von der Basis haben der Partei den Rücken gekehrt. Als neue Formation ist die „Volkseinheit“ entstanden, die links von SYRIZA steht.

Ihre Kernaussage ist die Ablehnung des Ausverkaufs des Wahlprogramms von Syriza und der Prinzipien der Linken, um in der Eurozone zu bleiben. Die Haltung zur Eurozone ist ein zentraler Punkt der Gründung der „Volkseinheit“. Ihre Haltung ist klar und deutlich: wir brauchen ein Programm im Interesse der arbeitenden Bevölkerung. Wenn das dazu führt, dass wir den Euro verlassen müssen, müssen wir das ohne zu zögern tun. Die „Volkseinheit“ steht für den Bruch mit der Eurozone. Sie ist aber keine nationalistische Formation, die alles um den Programmpunkt „Zurück zur Drachme“ gruppiert. Das Programm, das derzeit von der Basis der „Volkseinheit“ diskutiert wird, ist stark antikapitalistisch: Für die Streichung der Schulden, die unmittelbare Verstaatlichung des Bankensystems und die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Sie werfen außerdem die Forderung von Arbeiterkontrolle und -verwaltung in Wirtschaft und Gesellschaft auf und greifen die Idee einer geplanten Wirtschaft auf, um die Wirtschaft mit besonderer Betonung auf die Landwirtschaft und Rohstoffe und die verarbeitende Industrie zu entwickeln. Statt die Wirtschaft, wie in der Vergangenheit, vor allem auf Dienstleistungen und Tourismus auszurichten, soll sie der „Volkseinheit“ zufolge wieder stärker auf die Erzeugung von realen Produkten gerichtet werden. Das Programm ist noch nicht fertig gestellt, wird aber gerade von den Organisationen, die die „Volkseinheit“ gegründet haben, diskutiert.

Welche Organisationen gehören denn zu den Gründern?

Die „Volkseinheit“ wurde ursprünglich von den Kräften um die Linke Plattform (innerhalb von Syriza) und von vier weiteren Kräften aus der Initiative der 1000 inklusive Xekinima gegründet. Ebenfalls unterstützt wird die „Volkseinheit“ von zwei früheren Abspaltungen der KKE, der Sozialistischen Linken Dikki und zwei Gruppierungen von Antarsya, die aber bisher nicht die Mehrheit von Antarsya darstellen.

Nach bisherigem Diskussionsstand ist klar, dass das Programm viel fortschrittlicher und klarer als die bisherigen Programme von Syriza, wie beispielsweise das Programm von Thessaloniki, sein wird. Es ist auch nicht, wie viele Programme von Syriza, zweideutig oder kann verschiedenartig interpretiert werden, es ist sehr eindeutig.

Die Forderungen des Programms können nicht in der Eurozone durchgesetzt werden. Die Rückkehr zu einer nationalen Währung ist kein Zweck an sich, aber wird als Mittel gesehen, um ein Programm anzuwenden, das die Wirtschaft aus der Krise bringen und diese im Interesse der Arbeiterklasse ausrichtet.

Wie groß ist das Potential der „Volkseinheit“ bei den Neuwahlen im September?

Umfragen legen nahe, dass sie eine sehr wichtige Kraft wird und zwischen sieben und acht Prozent erreichen kann. Dafür gibt es keine Garantie, aber es entspricht ihrem Potential, eventuell kann das sogar übertroffen werden. Der Zuspruch für sie spiegelt sich im selben Maße gesunkenen Umfragewert für Syriza wider. Wichtig ist aber vor allem auch, dass viele nicht zur Wahl gehen werden. Wahrscheinlich werden die NichtwählerInnen die größte Partei stellen. Der Grund dafür ist, dass es eine massenhafte Demoralisierung gibt.

Hat der Wahlantritt der „Volkseinheit“ eine dämpfende Wirkung auf die Wahlchancen der Goldenen Morgenröte?

Ich denke ja. Es ist sehr wichtig, dass sich die „Volkseinheit“ entwickelt hat und zu den Wahlen antritt. Wenn dies nicht der Fall wäre, würde die Goldene Morgenröte sicher von dem Ausverkauf, den Syriza begangen hat, profitieren. Wir gehen trotzdem davon aus, dass die Goldene Morgenröte bei den Wahlen etwas zulegen wird, aber der Zugewinn wird viel kleiner sein, als er ohne den Antritt der „Volkseinheit“ der Fall gewesen wäre.
Wird es Ortsgruppen der „Volkseinheit“ geben?

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Ortsgruppen, die „Volkseinheit“ ist ein Bündnis verschiedener Organisationen ohne Individualmitgliedschaft. Es ist ja eine sehr neue Formation. Xekinima schlägt vor, dass Ortsgruppen gegründet werden und auch individuelle Mitgliedschaften möglich sind, damit sich möglichst viele Menschen einbringen können.

Xekinima beteiligt sich an der „Volkseinheit“, baut aber auch die „Initiative 17. Juli“ weiter auf. Warum?

Ja, das stimmt. Die „Initiative des 17. Juli“ gab es schon vor der Gründung der „Volkseinheit“ und wurde als Appell zur Gründung einer neuen linken Kraft entwickelt. Aufgrund dieses Appells und eines sehr radikalen Programms hat die „Initiative des 17. Juli“ verschiedene Kräfte angezogen. In der Zwischenzeit hat sich dann die „Volkseinheit“ gebildet, aber die meisten Kräfte die bei der „Initiative des 17. Juli“ mitmachen, sind nicht bereit, sich der „Volkseinheit“ anzuschließen. Sie haben unterschiedliche politische Hintergründe, sind bereit die „Volkseinheit“ bei Wahlen zu unterstützen, aber werden ihr nicht beitreten.

Derzeit gibt es massenhafte Austritte aus Syriza, von denen aber nicht alle in die „Volkseinheit“ eintreten. Der Kern der „Volkseinheit“ besteht aus der Linken Plattform, die früher Teil der Kommunistischen Partei war. Die Linke in Griechenland ist breiter, nicht alle identifizieren sich mit diesem Teil der griechischen Linken, der keine starke Tradition von innerparteilicher Demokratie und Einbindung in sozialen Bewegungen hat.

Es gibt zwei weitere Faktoren, warum einige, die Syriza verlassen, zögern der „Volkseinheit“ beizutreten: Erstens gibt es eine massenhafte Demoralisierung und einen allgemeinen Vertrauensverlust in linke Formationen nach Tsipras’ Ausverkauf. Zweitens waren einige der führenden Mitglieder der „Volkseinheit“ bis vor kurzem Minister der Syriza-Regierung, was zu Zweifeln bei einigen AktivistInnen führt.

Xekinima beteiligt sich an der„Volkseinheit“ und macht Vorschläge, wie die Volkseinheit, die bisher eine Allianz verschiedener Organisationen ist, demokratisch aufgebaut werden kann, ohne dass eine Gruppe dominiert und wie es freie demokratische Diskussionen und auch Einzelmitgliedschaften in der Zukunft geben kann.Das sind wichtige Bedingungen, damit die „Volkseinheit“ erfolgreich sein kann. Sie muss auf die Bewegungen der Arbeiterklasse orientieren, um weitere Kämpfe zu befördern und soziale Kämpfe um ihr Programm herum zu entwickeln. Wir behalten Xekinima als revolutionäre Organisation bei und setzen uns dafür ein, dass aus der „Volkseinheit“ heraus eine massenhafte revolutionäre Kraft entsteht.

In Deutschland haben sich Vertreter der LINKEN wie Gysi, Riexinger und Kipping an die Seite von Tsipras gestellt. Was denkst du ist die Aufgabe von Parteien wie der LINKEN?

Tsipras unter diesen Umständen zu unterstützen ist ein fürchterlicher Fehler. Er hat die Seiten gewechselt. Die herrschende Klasse Griechenlands ist neuerdings versessen auf Tsipras. Die Massenmedien, die von der herrschenden Klasse (Schiffseigentümer, Bänker, Großkapital) kontrolliert werden, stehen voll hinter Tsipras und greifen die „Volkseinheit“ an.

ND, Pasok and To Potami sagen, dass sie offen dafür sind, eine „Regierung der nationalen Einheit“ mit Tsipras zu bilden. Tsipras wird den Weg bis zum Ende gehen, er führt Maßnahmen ein, die ND sich nie getraut hätte einzuführen, wie das größte Privatisierungsprogramm in der Geschichte des Landes. Bereits jetzt wurden durch die Regierung unter Tsipras die Mindestrenten von 490 Euro auf 360 Euro abgesenkt. ND hat sich das nicht getraut. Tsipras hat zudem unterschrieben, dass jedes einzelne Gesetz von der Troika abgenickt werden muss. Das heißt, dass Tsipras an das dritte Memorandum gebunden ist und keine freie Handhabe hat, etwas zu tun, was gegen den Willen der Troika verstößt. Von einigen wird nun das Ergebnis zum Primärüberschuss genutzt, um das Memorandum zu rechtfertigen. Auch das ist Betrug, weil die Primärüberschüsse zwar für die nächsten zwei Jahre geringer sein dürfen, aber ab dem dritten Jahr mit 3,5 Prozent wieder ungefähr so hoch sein muss, wie der Wert von vier Prozent, dem ND im zweitem Memorandum zugestimmt hatte.

Die griechische Bevölkerung wird trotzdem weiter kämpfen. Die griechischen Massen können diesen Kampf aber nicht allein führen. Sie brauchen die Unterstützung von ArbeiterInnen in Europa und international. Die Erfahrungen in Griechenland beinhalten auch wertvolle Lehren für die Linke international. Auch in Bezug auf die Frage, welches Programm nötig ist, um das Land aus der Krise zu führen. Nur ein sozialistisches Programm kann Griechenland und in Wirklichkeit Menschen in ganz Europa und auf dem Planeten vor der Barbarei des kapitalistischen Systems retten.

Das Interview erschien zuerst in der Zeitung Solidarität.

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Eine Antwort

  1. das klingt gut, verschweigt aber daß diese gruppe auch diffus „alle linken“ sammeln möchte, nicht nur revolutionäre kräfte. also derselbe mischmasch der syriza schnell reformistisch werden ließ- bzw. sie es eigentlich von anfang an war. bleibt die befürchtung, daß diese neue gruppe syriza 2:0 wird.
    und was die SAV betrifft: die unterstützen in den USA den bewerber bernie sanders von den „demokraten“. die sind kein gütesiegel.

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