Bernd Riexinger - Fotos: Michael Breyer

Wir müssen in die sozialen Brennpunkte gehen – Im Gespräch mit Bernd Riexinger

In den letzten Jahren gab es für die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wenig positive Entwicklung, die Löhne stagnierten, das Rentenalter stieg, und der Alltag wurde teurer. Die Spitze der Linken hat als Antwort auf diese Situation eine „Revolution der Gerechtigkeit“ entworfen. Wir haben mit Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linken, über die Grundzüge dieser Revolution, soziale Bewegungen und Rot-Rot-Grüne Regierungen gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Gemeinsam mit Katja Kipping hast du das Konzept einer „Revolution der Gerechtigkeit“ entwickelt, was kann man sich darunter vorstellen?

Bernd Riexinger: Als Erstes war es uns wichtig, dass wir als Linke klar zum Ausdruck bringen, dass wir einen grundsätzlichen Bruch mit der neoliberalen Politik der letzten 25 Jahre wollen. Diese Politik hat vielfältige Spaltungsprozesse – nicht nur zwischen Arm und Reich – sondern auch innerhalb der Arbeiterklasse, zwischen Normalbeschäftigten und Prekärbeschäftigten, Leiharbeitern und weiteren Gruppen verursacht. Dadurch wurde ein Drittel der Gesellschaft von der Teilhabe ausgeschlossen. Das kann man nicht durch kleine Korrekturen verändern, sondern nur durch einen grundlegenden Bruch mit dieser Politik. Das muss die Linke ins Bewusstsein bringen.
Wir haben es Revolution genannt, weil wir eine Perspektive über das System hinaus aufzeigen wollten, obwohl wir gerade keine Mehrheiten dafür sehen. Also eine Perspektive für einen Transformationsprozess vom Kapitalismus zu einem demokratischen Sozialismus.

Das zweite Element dieser Revolution ist, dass wir ein aktiver vorwärtsschreitender Teil der Bewegung sein wollen, die diesen Bruch mit dem Neoliberalismus tatsächlich vollzieht. Zum Beispiel durch die Ausdehnung von Streiks, wie wir sie in den prekären Bereichen vermehrt hatten. Auch die Bewegung gegen TTIP, CETA und TISA, in denen die Linke inzwischen ein anerkannter Teil ist, muss als Bestandteil dieser Bewegung verstanden werden. Oder wie die kommunalen Kämpfe um Rekommunalisierung von Energienetzen, Krankenhäusern und anderen Aspekten der Grundversorgung. Die Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links, zugunsten der Lohnabhängigen und ihren Gewerkschaften, wird nur gelingen, wenn man den Kampf aktiv annimmt und entschlossen führt.
Ein dritter Aspekt ist, dass wir eine horizontal und nicht vertikal aufgestellte Partei brauchen, um unsere Verankerung in der Gesellschaft auszubauen.

Die Freiheitsliebe: Du hast grade schon angesprochen, dass dieser Kampf nicht alleine geführt werden kann, wer wären denn die Bündnispartner mit denen mehr als nur kleine Kurskorrekturen durchgeführt werden könnten?

Bernd Riexinger: Das Weitergehende entsteht aus den Kämpfen, in denen sich die Menschen den Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen, die sie nicht mehr bereit sind hinzunehmen, widersetzen. Wie z.B. beim Widerstand gegen TTIP und CETA.
Was wir stellen grade fest, dass junge Menschen uns nicht nur zunehmend wählen, sondern auch Mitglieder der Linken werden. Das sind zum Teil Aktive, die nicht nur konkrete Verbesserungen erreichen wollen, sondern auch eine über den Kapitalismus hinausgehende Perspektive haben. Eine globale Perspektive, die sagt „wir können nicht in einer Welt leben, in der die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer werden und Kriege zunehmen“. Das ist ein positiver Ansatz, den die Linke weiter ausbauen und unterstützen muss.
Wir müssen von Jeremy Corbyn und Bernie Sanders lernen, auszustrahlen: „Wir schaffen das nicht ohne Euch.“ Wir brauchen nicht nur Bündnispartner, sondern auch die vielen Menschen, die in Bewegungen aktiv sind. Wir müssen deutlich machen, dass wir Teil dieser Bewegung sind und die Menschen sich auch bei uns einbringen können. Wir wollen deswegen jetzt eine Kampagne unter dem Titel „Ohne dich geht’s nicht“ starten, die die „Das muss drin sein“-Kampagne begleitet. Damit wollen wir zeigen: wir kämpfen mit euch zusammen – nicht nur für euch.

Die Freiheitsliebe: Die aktuellen Kampagnen waren vor allem auf soziale Fragen zugespitzt, in dem Papier geht es aber auch um mehr Demokratie, wie wollt ihr das verbinden?

Bernd Riexinger: Unsere aktuelle Kampagne gegen die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse dreht sich auch um Demokratie: Ein System, das ein Drittel der Bevölkerung von der sozialen, politischen und kulturellen Teilhabe ausschließt, ist nicht demokratisch. Demokratie braucht ökonomische und soziale Voraussetzungen, das muss man konsequent deutlich machen.
Die gegenwärtige Formation des Kapitalismus kann ihre radikale neoliberale Politik, wie die Austeritätspolitik auf EU-Ebene, nur noch autoritär und undemokratisch durchsetzen. Dagegen muss massiv Widerstand geleistet werden. Das ist bei TTIP, CETA und TISA gelungen, wo deutlich wurde, dass es um Konzerninteressen und um nicht demokratische legitimierte Institutionen geht, die unseren Alltag bestimmen sollen.
Wir müssen im Zusammenhang mit Demokratie aber auch die soziale Frage, die Eigentumsfrage stellen. Wir fordern deshalb, dass öffentliches Eigentum ausgebaut und demokratisiert werden muss. Genossenschaftseigentum durch die Schaffung neuen Wohnraums, Belegschaftseigentum muss bei den Kämpfen um die Existenz von Betrieben stärker in den Vordergrund gerückt werden. Banken müssen vergesellschaftet werden, die Bevölkerung darf nicht schon wieder für die Deutsche Bank zahlen.
Ich glaube, das sind zentrale Verbindungen zu Demokratiefragen, die die Linke einbringen kann. Demokratie muss immer auch in die ökonomische Basis einrücken und darf sich nicht auf den Überbau beschränken. Volksentscheide sind ein demokratisches Mittel, aber wir müssen vor allem dafür sorgen, dass wir Kontrolle über die Eigentumsverhältnisse erlangen.

Die Freiheitsliebe: In dem Papier wird neben Demokratie- und Wirtschaftsfragen, auch darauf eingegangen, dass die Linke wieder stärker eine Protestpartei werden muss, wie kann das geschehen?

Bernd Riexinger: Es ist ein Kernpunkt neoliberaler Politik, die Lohnabhängigen zu spalten. Auf die Spaltung kann es zwei unterschiedliche Reaktionen geben: Entweder, dass Kernbelegschaften und Prekäre zusammen kämpfen. Oder eine reaktionäre Reaktion, dass sich die Kernbelegschaften von Prekären oder auch von Migranten und Flüchtlingen abgrenzen. Letztere ist der Nährboden für Rechte. Die AfD profitiert davon. Wenn man ihr diese Möglichkeit nehmen will, dann muss man die gemeinsamen Klasseninteressen auf einen Nenner bringen. Das ist eine Kernaufgabe der Linken.
Wir müssen außerdem in die sozialen Brennpunkte gehen. Denn viele Menschen dort sind nicht mehr durch Fernsehen, Zeitungen oder Flugblätter erreichbar, sondern nur durch die Präsenz vor Ort. Die Linke muss im Viertel konkrete Angebote machen, wie die Unterstützung von Mieterprotesten oder Hartz IV- und Sozialberatung. Denn linke Politik darf niemals die Menschen aufgeben.
Wir müssen außerdem verstärkt zu den Lohnabhängigen gehen und diese direkt in unsere Politik einbinden. Unsere Kampagne schafft grade mit der nächsten Stufe, die auf mehr Personal in Krankenhäusern orientiert, einen Anknüpfungspunkt. Es ist wichtig konkrete Ansatzpunkte anzubieten und dabei nicht nur auf die Medien zu setzten, sondern direkt vor Ort ansprechbar und erlebbar zu sein.
Außerdem müssen wir die Verantwortlichen klar benennen: die Reichen, die Kapitalbesitzer und ihre politischen Vertreter in den anderen Parteien. Wenn eine rechte Partei Flüchtlinge, Migranten und auch arme Menschen als Sündenböcke aufbaut, muss die Linke dagegen angehen und die wirklich Verantwortlichen benennen. Man kann keine erfolgreiche Politik machen, ohne die Verantwortlichen der aktuellen Probleme zu benennen. Das müssen wir in Zukunft noch stärker machen.

Die Freiheitsliebe: Es werden Gewerkschaften und soziale Bewegungen als Bündnispartner genannt, SPD und Grüne dagegen nicht mehr als dem linken Lager zugehörig beschrieben. Widerspricht es sich nicht diesen trotzdem Regierungsangebote zu machen?

Bernd Riexinger: Wir sagen doch nicht, dass wir unbedingt Rot-Rot-Grün wollen. Wir knüpfen eine Regierungsbeteiligung an konkrete Projekte und fordern einen Bruch mit dem Neoliberalismus. Zu diesen Projekten gehören höhere Renten, der Ausbau der Infrastruktur und der öffentlichen Beschäftigung sowie ein Sozialsystem, das wirklich vor Armut schützt. Dafür müssen Reiche stärker besteuert werden, unter anderem durch eine Vermögenssteuer. Außerdem wollen eine aktive Friedenspolitik und ein Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das sind unsere Maßstäbe.
Es geht nicht darum einfach zu regieren, sondern um eine wirkliche Alternative zum bürgerlichen Block. Für eine Regierungsbeteiligung gelten nach wie vor unsere Haltelinien, aber wir brauchen auch Projekte und Visionen, damit klar ist wo wir hinwollen und was unser Ziel ist. Sonst wären wir nur wie alle anderen Parteien, die einfach nur regieren wollen.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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Eine Antwort

  1. Ich möchte mich zu eurer Umfrage:“ Ist die EU reformierbar oder sollte ein anderes Projekt neu gegründet werden?“ Mir fehlt die Differenzierung zwischen „EU reformierbar“ und „EU auflösen“. Ich glaube, dass ich nicht der einzige bin, der die EU auf keinen Fall auflösen möchte, sie aber radikaldemokratisch verändern möchte. Das ist etwas anderes als reformieren bei dem alte Strukturen weitgehend erhalten bleiben. Das was Bernd Rixinger in dem Interview „Wir müssen in die sozialen Brennpunkte gehen“ für Deutschland fordert, sollte so ähnlich auch für die EU gelten. Also ein konkreter Vorschlag für eine weitere Frage könnte lauten: „Sind sie für den Erhalt der EU unter der Bedingung, dass sie radikaldemokratisch verändert wird“.
    Noch etwas, warum heißt die Umfrage „Polls“?
    Herzliche Grüße
    Volker Lüttge

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