Seit vergangenem Sonntag sitzt neben: Tal Mitnick eine zweite 18 jährige Israelin im Gefängnis: Sofi Orr. Beide sitzen dort, weil sie nicht in einer Armee dienen wollen, die sich an der Besatzung im Westjordanland und dem Leid in Gaza beteiligt.
Tal Mitnick ist ein 18-jähriger junger Mann, würde er in einem anderen Land leben, würde er heute möglicherweise studieren, die Schule beenden oder arbeiten gehen und am Wochenende mit seinen Freunden verreisen oder feiern.
Doch Tal ist israelischer Staatsbürger, und wie jeder Israeli muss er nach dem Ende seiner Schulzeit zum Militär. Aber Tal wollte nicht kämpfen, wollte nicht beitragen zum Leid in Gaza, deswegen sitzt er jetzt im Gefängnis, denn die Verweigerung des Militärdienstes wird in Israel bestraft.
Tal erklärte zu den Gründen seiner Verweigerung: „Ich weigere mich zu glauben, dass mehr Gewalt Sicherheit bringen wird. Ich weigere mich, an einem Rachefeldzug teilzunehmen. Ich bin in einem Zuhause aufgewachsen, in dem das Leben heilig ist, in dem Diskussionen einen hohen Stellenwert haben und in dem Diskurs und Verständnis immer wichtiger sind als gewalttätige Maßnahmen.“ Er verdeutlicht in seiner Erklärung auch, dass es nicht die militärische Handlungen Israels, die nach UN-Angaben mindestens 30.000 Menschen in Gaza getötet haben, waren, die zur Befreiung von Geiseln führte, sondern Verhandlungen: Wir müssen die Tatsache erkennen, dass nach wochenlangen Bodenoperationen in Gaza am Ende – Verhandlungen, eine Einigung die Geiseln zurückbrachten. Es war tatsächlich eine Militäraktion, die zum Tod von Geiseln führte.“ Der Gazakrieg führt so Tal nicht nur zu getöteten Geiseln, sondern auch zu „willkürlichen Bombardierungen von Wohnvierteln und Flüchtlingslagern in Gaza und der vollen militärischen und politischen Unterstützung für die Siedlergewalt im Westjordanland und politische Verfolgung in beispiellosem Ausmaß innerhalb Israels“.
Tal setzt sich stattdessen für einen Wandel in der politischen Kultur Israels ein und für ein Ende der Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser, für ein Ende des Kriegs: „Ich möchte mich nicht an der Fortsetzung der Unterdrückung und der Fortsetzung des Kreislaufs von Blutvergießen beteiligen, sondern mich direkt für eine Lösung einsetzen, und deshalb verweigere ich.“ Eine Entscheidung, die für ihn schon seit Jahren feststand und die sich auch nicht durch den 07. Oktober geändert hat, denn Tal ist überzeugt, dass Gewalt niemals die Lösung sein kann.
Haft für Kriegsdienstverweigerer
Tals Kriegsdienstverweigerung führte am 26. Dezember zu seiner ersten Verhaftung und Verurteilung zu 30 Tagen Haft, vor wenigen Tagen wurde er entlassen und musste wieder ins Rekrutierungszentrum der israelischen Armee, wo er erneut verweigerte und zu weiteren 30 Tagen Haft verurteilt wurde. Tal ist kein Einzelfall, es gab viele Israelis, die schon ins Gefängnis mussten, weil sie sich weigerten für die israelische Armee zu kämpfen, doch Tal ist der erste seit dem 07. Oktober und anders als in vorherigen Fällen, wurde er direkt zu 30 Tagen Haft verurteilt, im Regelfall ist die Erstverurteilung 7 bis 10 Tage.
Die Haft für die Verweigerung des 2 und halb Jahre andauernden Militärdienstes, verstößt dabei gegen internationale Beschlüsse. In ihrer Resolution 1998/77 stellte die Uno-Menschenrechtskommission noch einmal fest, dass das Recht auf Militärdienstverweigerung durch den 18 Artikel des Pakts für bürgerliche und politische Rechte geschützt ist. Auch in Israel ist es formell möglich den Militärdienst zu verweigern, sowohl aus religiösen wie auch aus moralischen Gründen, in der Realität werden jedoch nur die Verweigerungen der ultraorthodoxen Jugendlichen erkannt, die diese religiös begründen, humanistische und pazifistische Verweigerungen werden durchgehend von dem Gewissenskomitee der israelischen Armee abgelehnt.
Mesarvot – Unterstützung der Verweigerer
Sowohl bei seiner ersten wie auch bei der zweiten Verhandlung über seine Verweigerung protestierte vor dem Rekrutierungszentrum ein paar dutzend Menschen für Tals Freiheit, für ein Ende des Krieges und für die Freiheit zu verweigern. Organisiert wird der Protest und die Unterstützung für Tal von Mesarvot, einer israelischen Organisation von Kriegsdienstverweigerern und Friedensaktivisten. Yoan von Mesarvot berichtet über die Arbeit der Organisation: „Wir organisieren Proteste und andere Veranstaltungen aus Solidarität mit unseren Verweigerern und stellen ihnen rechtliche Unterstützung und Erfahrungen älterer Verweigerer zur Verfügung.“ Die Bedeutung der Organisation für die Verweigerung und eine friedliche Gesellschaft Yoan auch persönlich erlebt: „ohne Mesarvot wäre ich nicht in der Lage diesen Weg zu gehen.“
Der Einsatz von Tal, der unter der rechtesten Regierung Israels und in einem Klima des Militarismus, brachte ihn ins Gefängnis und er wird dort auch vermutlich noch längere Zeit sitzen, doch er dürfte bald nicht mehr der einzige junge Mensch sein, der öffentlich verweigerte und deswegen im Gefängnis sitzt, denn kurz vor dem Krieg erklärten 280 junge Israelis gemeinsam, dass sie nicht bereit sind der rechtsaußen Regierung und ihrer Besatzungspolitik zu dienen und lieber ins Gefängnis. Seit vergangenem Sonntag ist Tal nicht mehr alleine im Gefängnis, denn die 18-Jährige Sofi Orr wurde ebenfalls verurteilt, zu ihrer Verweigerung erklärte sie schon im Januar: „Ich weigere mich, weil es keine militärische Lösung für ein politisches Problem gibt, und das ist jetzt, angesichts des Krieges, offensichtlicher denn je. Und deshalb ist meine Verweigerung wichtiger denn je.“ Mit ihrer öffentlichen Verweigerung will Sofi aber auch ein Vorbild sein für andere junge Israelis: „Ich will der israelischen Jugend zeigen, dass die Verweigerung ein Weg ist und das Frieden ein Weg ist, der einzige Weg.“
Es sind die Stimmen und Handlungen von Menschen wie Tal und Sofi die Mut machen in diesen Zeit des Kriegs und des Leids, in denen tagtäglich hunderte Menschen in Gaza sterben. Ihr Mut kostet sie viel, denn auf die öffentliche Verweigerungserklärungen folgt nicht nur die Haft, sondern auch Drohungen, Angriffe und Ausgrenzung, dass sich immer mehr junge Menschen trotzdem weigern Teil des Kriegs zu sein und Teil einer Armee, die die Besatzung im Westjordanland aufrecht erhält, zeigt das selbst unter widrigsten Umständen Menschen fähig sind ihr eigenes Wohlbefinden zurückzustellen und sich für Menschlichkeit einzusetzen.
Der Beitrag erschien zuerst bei der Berliner Zeitung