Viel war in diesem Jahr bereits zu lesen über die angeblich durch „Massenzuwanderung“ bedrohten Frauenrechte des Staatenbundes, der für sich selbst beansprucht, der fortschrittlichste zu sein, was Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte angeht – der Europäischen Union. Doch ausgerechnet der Mitgliedsstaat, welcher sich damit schmückt, seinerzeit eine der ersten modernen Verfassungen Europas verabschiedet zu haben, ist gerade dabei, auf seinem Territorium ein ziemlich düsteres Zeitalter für genau diese Gerechtigkeit einzuläuten. Dagegen wehren sich Frauen und Aktivist*innen nun mit einem landesweiten Streikaufruf für Montag, den 3. Oktober.
Derzeit arbeitet die nationalkonservative Regierung Polens unter der Führung von Beata Szydło daran, ihr verheerendes Abtreibungsgesetz, das zusammen mit dem irischen zu den strengsten europaweit zählt, noch einmal zu verschärfen. Bislang sind in Polen Abtreibungen zumindest theoretisch noch möglich, sofern die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist, direkt das Leben der schwangeren Person bedroht oder der Fötus als nicht überlebensfähig einzustufen ist. In der Praxis allerdings ist es Betroffenen und Aktivist*innen zufolge bereits heute selbst in solchen Fällen mehr oder weniger unmöglich, tatsächlich eine legale Abtreibung zu erhalten. Bis „ausreichende“ Nachweise erbracht sind, bis alle Formalitäten berücksichtigt sind und Betroffene es tatsächlich geschafft haben, sich medizinische Unterstützung und Belege zu sichern, vergeht meist soviel Zeit, dass alle legalen Fristen verstreichen. Damit nicht genug – nun soll zu dieser praktischen Unmöglichkeit auch noch die Drohung einer Haftstrafe kommen. Wenn es nach dem Entwurf geht, der Ende September in erster Lesung angenommen wurde, können sowohl auf abtreibende Ärzte als auch auf Schwangere, die eine Abtreibung vornehmen, in Zukunft Gefängnisaufenthalte von bis zu 5 Jahren zukommen.
Offiziell geht es den Verbotsbefürwortern um den „Schutz des Lebens“ und die körperliche und seelische Gesundheit von Frauen. Allerdings zeigt die Dunkelziffer von 150.000 Abtreibungen jährlich, von der Frauenrechtler*innen in Polen ausgehen, dass strenge Gesetze keinesfalls für weniger Abtreibungen sorgen, sondern vielmehr dafür, dass Abtreibungen entweder illegal – und unter gefährlichsten Bedingungen – vor Ort oder mit massivem Kostenaufwand im Ausland vorgenommen werden. Gerade das jedoch ist desaströs für die Sicherheit der Betroffenen und etabliert eine klare Klassenjustiz: wer es sich leisten kann, treibt sicher im Ausland ab; wer keine finanziellen Ressourcen oder Zugang zu Informationen hat, bringt sich in Lebensgefahr und setzt sich einer Haftstrafe aus. Ein wirklicher und gerechter „Lebensschutz“ kann nur darin bestehen, dass gesellschaftlicher Zugang zu wissenschaftlichen Informationen sowie Verhütungsmitteln besteht, Mediziner*innen angstfrei ihrer Arbeit nachgehen können und die Entscheidungen von Frauen über ihren eigenen Körper respektiert werden.
In diesem Sinne rufen Aktivist*innen für Montag, den 3. Oktober zu einem landesweiten „Frauenstreik“ auf und haben den „schwarzen Montag“ erklärt – angelehnt an den „schwarzen Donnerstag“, der Island im Jahr 1975 mehr oder weniger lahmlegte. Weltweit rufen diverse Organisationen zu Solidaritätsaktionen in vielen Städten auf, unter anderem auch in Berlin – einer Stadt, die ihrerseits einmal im Jahr von selbsternannten „Lebensschützern“ heimgesucht wird, die gegen das Recht auf Abtreibungen aufmarschieren. Dagegen gibt es seit Jahren Widerstand in Form eines Aktionstags gegen den deutschen Abtreibungsparagraphen 218. „Restriktive Gesetze und die Illegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sind eine direkte Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen sowie des fachlichen Umfelds. Unter unsicheren Bedingungen durchgeführte Abbrüche bedrohen die gesundheitliche Unversehrtheit der Frau – von Lebensschutz kann da nicht gesprochen werden“, so Ines Scheibe vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, das die Proteste gegen den „Marsch für das Leben“ in Berlin organisiert.
Gerade im Hinblick darauf, dass Kräfte wie die AfD, die in jüngster Vergangenheit erfolgreich in einige deutsche Länderparlamente eingezogen ist, sich ganz klar aufseiten der Abtreibungsgegner positionieren und wichtiger Bestandteil der „Lebensschützer“-Bewegung sind, sind Solidarität und Aufklärung zu diesem Thema auch hierzulande besonders entscheidend. Der Kampf um die Rechte von Frauen ist international bedeutend und muss in starker Abgrenzung von den Stimmen geführt werden, die ihn als leeren Begriff für die Hetze gegen Geflüchtete und zum Schüren nationalistischer Stimmungen missbrauchen. Es muss klar sein, dass jeder Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung einer schwangeren Person einen Verstoß gegen Menschenrechte darstellt – nicht weniger.
Eine Antwort
In dem Text bemüht sich Frau Wegscheider(in) sehr gewissenhaft um sprachliche Geschlechtergerechtigkeit. Deshalb meine Frage: Warum ist in dem Text nur von Verbotsbefürwortern und Abtreibungsgegnern und nicht von Verbotsbefürworter*innen und Abtreibungsgegner*innen die Rede? Handelt es sich dabei um rein männliche Phänomene? Und warum ist ein Themengebiet von Frau Wegscheider(in) die US-Bürgerrechtsbewegung und nicht die US-Bürger*innenrechtsbewegung.