Die derzeitige Regierungskoalition aus der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) und der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) ist die erste in fünfzehn Jahren, die eine ganze Legislaturperiode durchhält. Dass das trotz schwerer Wirtschaftskrise und über 40 Milliarden Euro schwerer Austeritätsmaßnahmen (bei einem Staatsbudget von rund 300 Milliarden Euro) möglich ist, hat mit einem niedrigen Niveau an Klassenkampf und der Schwäche der Linken in der Konfrontation von Rassismus sowie Sündenbockpolitik der Rechten zu tun.
Die engen Verbindungen zwischen den Sozialdemokraten und der Gewerkschaftsbürokratie haben Massenwiderstand verhindert. Die Netzwerke der Basis waren nicht stark genug, um die Führung in die Konfrontation zu zwingen. Aufgrund des niedrigen Niveaus an Streiks und Protesten rückte die radikal linke Sozialistische Partei (SP) in die politische Mitte, mit dem Ziel „Verantwortung zu übernehmen“. Auf lokaler Ebene regiert die Partei sogar mit der neoliberalen Rechten.
Normalisierung von Rassismus
Dieses niedrige Niveau an Widerstand ermöglichte es dem rechtsextremen Politiker Geert Wilders, sich als „Anti-Establishment“-Kraft zu positionieren. Rhetorisch hat er einige typisch linke Themen übernommen, wie die Senkung des Pensionsalters und mehr Geld für das Gesundheitswesen. In der Realität unterstützt er jedoch meistens die Gesetzesvorhaben seiner früheren Partei, der liberal-konservativen VVD.
Seine rassistischen Kampagnen gegen Muslime und Flüchtlinge haben die öffentliche Debatte nach rechts gerückt. In seinem aktuellen Wahlprogramm fordert er die Schließung von Moscheen und islamischen Schulen, ein Koranverbot, das Dichtmachen der Grenzen und die Abschiebung registrierter Flüchtlinge. Letztes Jahr wurde er wegen Diskriminierung verurteilt, nachdem er bei einer Wahlkampfveranstaltung versprach für weniger Marokkaner im Land zu sorgen.
Mitte bereite Wilders den Boden
Dieser Rassismus ist zum Mainstream geworden. Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) hat wiederholt gefordert, dass Menschen mit Migrationshintergrund das Land verlassen sollen. Finanzminister Jeroen Dijsselbloem (PvdA) hat behauptet, Flüchtlinge würden die Sozialstaaten in Europa „sprengen“. Und nach der Wahl von Trump machten sich die niederländischen Medien daran, die rassistischen PVV-Wähler zu porträtieren und so zu tun, als wären ihre Stimmen marginalisiert worden statt seit über 15 Jahren im Mittelpunkt zu stehen.
Die Parteien der „extremen Mitte“ haben Wilders gestärkt. Sie haben scharfe Austeritätsmaßnahmen durchgeboxt und sich in der EU an vorderster Stelle für Flüchtlings-Deals wie jener mit der Türkei eingesetzt. Das hat Rassismus noch weiter normalisiert. Mit der Wahl zwischen der neoliberalen Mitte und der rassistischen Rechten konfrontiert, entscheiden sich viele für letztere.
Wilders hat die Partei fest im Griff: es gibt keine innerparteiliche Demokratie, er ist das einzige Mitglied der Partei und Abgeordneten ist es verboten, mit der Presse zu reden. Es existiert keine faschistische Straßenbewegung, und Wilders braucht momentan auch keine, aber in den letzten 15 Jahre leistete man den rechtsextremen Politikern keinen nennenswerten Widerstand, und das hat der Entstehung einer Straßenbewegung den Boden aufbereitet.
Perspektiven
Nach den Wahlen gibt es zwei Möglichkeiten, beide sind schlecht. Entweder haben wir eine Regierung mit der liberal-konservativen VVD und Wilders, die eine noch rassistischere Politik betreiben wird, oder eine breite neoliberale Regierung „aus der Mitte“ bestehend aus vier oder mehr Parteien. Das wird der gestärkten PVV die Möglichkeit geben, die lauteste Stimme der Opposition zu sein.
Das niedrige Niveau an Kämpfen hat die politische Landschaft der Linken zersplittert. Die radikal linke SP ahmt in Bezug auf Arbeitsmigration zunehmend Wilders nach. Der Abgeordnete Paul Ulenbelt forderte letzte Woche: „Niederländische Arbeiter zuerst. Das ist nicht Trump, das ist nicht Wilders, das ist die SP.“ Aus diesem Grund werden viele junge Menschen für die Grünen stimmen. Sie haben eine sanfte PR-Kampagne, aber im Gegensatz zur SP keine Wurzeln in der Arbeiterklasse und eine schlechte Bilanz wenn es um die Unterstützung neoliberaler Maßnahmen geht.
Antikapitalistische Alternative
Eine der interessanteren Entwicklungen ist die Entstehung der Partei Artikel 1, benannt nach dem Nichtdiskriminierungsartikel in der niederländischen Verfassung. Sie wird von der surinamisch-niederländischen Aktivistin Sylvana Simons geführt. Es wird schwer für sie einen Sitz im Parlament zu erlangen, aber, wenn sie es schaffen würde, könnte sie der antirassistischen, antisexistischen und LGBT-Bewegung eine Stimme geben. Auf lange Sicht braucht es eine antikapitalistische Partei, die diese Bewegungen unterstützen kann und die nur durch Kämpfe entstehen kann.
Parallel zum In-die-Mitte-Rücken der etablierten Linken, häufen sich auch die Proteste nach der Wahl von Trump. Viele Menschen wird klar, dass Wilders der nächste sein könnte. Wo immer Wilders in der Öffentlichkeit auftritt, wird er von Aktivisten konfrontiert. Der internationale Aktionstag gegen Rassismus am 18. März wird drei Tage nach der Wahl stattfinden. Die Demonstration wird unterstützt von zahlreichen muslimischen Verbänden und Flüchtlingsorganisationen und dem landesweiten Dachverband der Gewerkschaften. Es wird ein wichtiges Datum, um Druck gegen die Bildung einer Regierung mit der PVV aufzubauen.