Viele Leute halten Nazis und andere Rechtsradikale für schlichte Gemüter, die in der Schule nicht viel gelernt haben und sich generell nicht viele Gedanken machen. Als Beleg werden gerne Bilder von besoffenen Skinheads gezeigt, Grammatikfehler in den Tweets von AfD-Politiker*innen nachgewiesen oder Trump zitiert, der die eine oder andere Hauptstadt nicht dem richtigen Land zuordnen kann.
Nur gibt es auch genügend besoffene linke Ultras, besoffene Bürger*innen, die sich wie Hools benehmen (Mordsgaudi), Grammatikfehler in Tweets wie Sand am Meer, und wenn es darum geht, die Hauptstädte afrikanischer Staaten den Ländern zuzuordnen, wird mensch garantiert ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung deutsche Politiker*innen finden, die sich da ordentlich vertun. Die Bilder, die für den dummen Nazi herangezogen werden, taugen in beide Richtungen nichts – weder für den Beweis der geistigen Beschränktheit, noch für die Einordnung in die rechte Ecke.
Auch am Bildungsgrad lässt sich nicht viel festmachen angesichts vieler rechtsradikaler Studentenverbindungen und hoher Beamt*innen in der AfD, die sich gerade Sorgen machen, weil der Verfassungsschutz die Partei beobachten will. Zumal: Jede politische Ausrichtung hat in ihrer Anhängerschaft Leute – ob mit oder ohne höheren Bildungsgrad –, die ihre politischen Gedanken eher schlicht und hölzern ausdrücken. Das ist bei den üblichen demokratischen Parteien so und in der außerparlamentarischen Linken auch nicht anders.
Sind rechtsradikale Gedanken so schlicht und einfach?
Es ist ja gerade nicht so, dass die rechtsradikale Deutung der Welt ein besonders einfacher Gedanke wäre, der einen förmlich anspringt, wenn mensch nur ganz naiv von den eigenen Erlebnissen in dieser Gesellschaft ausgeht. Wer beispielsweise seinen Arbeitsplatz verliert, wird ja von einem Unternehmen entlassen, in dessen Gewinnkalkulation er*sie nicht mehr passt, nicht von einer Ausländer*in, der*die einem „den Arbeitsplatz wegnimmt“.[1]
Auch wenn der Staat einem mal wieder eine Gesundheitsreform mit höherer Selbstbeteiligung verordnet oder die öffentlichen Einrichtungen verkommen lässt, auf die mensch angewiesen ist (wie Nahverkehr oder Schulen), ist es keineswegs geradlinig, die fehlende Sorge des Staates um sein eigenes Volk als Grund für diese Entscheidung auszumachen. Einwohner*innen mit und ohne deutschen Pass sind ja gleichermaßen davon betroffen.
Um diese – und die vielen anderen – Unannehmlichkeiten, die das bürgerliche Leben so bereithält, unter den Gedanken zu subsumieren, dass sich der deutsche Staat aus Schwäche oder wegen der Korruption seiner Politiker*innen zu viel um fremde Interessen und zu wenig um das eigene Volk kümmere, muss mensch schon jede Menge gedankliche Voraussetzungen teilen: Es gibt keinen Flecken Erde mehr, wo nicht ein Gewaltmonopol namens Staat draufsitzt – das ist die natürliche Ordnung; dass die Staaten beziehungsweise ihre Volkswirtschaften miteinander konkurrieren – das ist selbstverständlich so; dass diese Staaten die Menschheit in In- und Ausländer*innen sortieren – quasi natürlich; dass Markt und Konkurrenz die menschengemäße Form der gesellschaftlichen Kooperation sind; dass der Staat diese Konkurrenz betreuen soll, weil die Wölfe sich sonst zerfleischen (Hobbes); dass mensch auf jeden Fall schlecht dran ist, wenn der Staat, in dem mensch lebt, nicht stark oder handlungsfähig ist und deswegen dem „eigenen“ Staat die Daumen drücken soll und bereit sein müsse, sich für ihn einsetzen; und so weiter.
Das rechte Denken ist also überhaupt nicht einfach, sondern reichhaltig an – falschen – Gedanken über die Gesellschaft. Wenn aber Leuten das rechtsradikale Denken so schlicht und einfach vorkommt, dann verrät das eigentlich ganz schön viel über diejenigen, die den Satz „Nazis sind dumm“ unterschreiben. Ihnen fallen die vielen gedanklichen Voraussetzungen und die mannigfachen Fehler des rechten Weltbildes gar nicht auf, weil ihnen selbst die Grundlagen des rechten Weltbildes so selbstverständlich sind. Sie interessieren sich nur für die letzten Radikalisierungsschritte aus dem Weltbild, dessen Grundlagen sie mit den Rechtsradikalen teilen. Und diese letzten Schritte kommen ihnen dann absurd vor.
Was das angeblich schlichte rechte Weltbild alles mit dem kritisch-konstruktiven Weltbild der Demokraten gemeinsam hat
Wohlabgewogene Überlegungen dazu, wie viele Menschen mit „fremdem kulturellem Hintergrund“ Deutschland vertrage und der Bevölkerung zuzumuten seien, werden von Politik und Qualitätspresse engagiert angestellt. Gerade wenn die freie Presse ein von ihr wahrgenommenes Problem in diesem Bereich mal richtig zuspitzen möchte, lässt sie sich nur schwer von denen unterscheiden, die sie selbst „rechtsradikal“ nennt. „Das Boot ist voll“ war ein Wahlslogan der Republikaner in den frühen 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Spiegel (seinem Selbstverständnis nach „Sturmgeschütz der Demokratie“) zeigte als Titelbild von Ausgabe 37/1991 eine Arche Deutschland, bei der an allen Seiten Menschenmassen an Bord kletterten.[2] Überschrift: „Flüchtlinge · Aussiedler · Asylanten – Ansturm der Armen“
Auch die Frage, ob etwa EU und Euro Deutschland nützen oder Deutschland von den „Schuldenstaaten“ in Südeuropa ausgenützt werde, wird öffentlich breit diskutiert und wäre auch im Politikunterricht der Oberstufe als Thema eines Besinnungsaufsatzes völlig unverdächtig.
Einen Unterschied zum Rechtsradikalismus gibt es bei all diesen Diskussionen aber: Der demokratische Diskurs kennt neben Ausländer*innen, die nicht hierhergehören, auch solche, deren Anwesenheit mensch dulden oder sogar fördern sollte, etwa Fachkräfte, Saisonarbeiter*innen, Unternehmer*innen oder vielleicht sogar ein paar Flüchtlinge, die die moralische Güte dieses Landes bezeugen können. Auch in Fragen der EU wird sorgfältig abgewogen zwischen den Vorteilen, die Deutschland aus ihr zieht und den Verpflichtungen, die es dafür eingehen muss.
Rechtsradikale sind da prinzipieller: Ausländer*innen sind ein Schaden an Deutschland – immer und überall. Die Verpflichtungen, die Deutschland gegenüber der EU eingehen muss, weil es aus ihr seinen Nutzen ziehen will, sind aus ihrer Sicht eine ungerechtfertigte Beschränkung deutscher Handlungsfreiheit. Rechtsradikale stellen sich also bei all diesen Debatten radikal auf eine Seite. Das ist aber ein politisches und ein besonders gefährliches Urteil und keine Frage von Dummheit oder fehlender Bildung.
Im Gegenteil: Diese Urteile beziehen ihre Grundlage aus den politischen Debatten und ihrer Fortführung in der Qualitätspresse. Sie sind nur eine Radikalisierung und Vereinseitigung der dort diskutierten Standpunkte. Deswegen sollte man sich vielleicht die Frage stellen, ob diese Sorte politischer Bildung im Kampf gegen rechtsradikale Einstellungen Teil der Lösung oder Teil des Problems ist.
Der Text von den Gruppen gegen Kapital und Nation erschien zuerst hier. Wir bedanken uns vielmals für das Recht zur Übernahme.
Quellen/Anmerkungen
[1] Zur Vorstellung, dass „uns die Ausländer*innen die Arbeitsplätze wegnehmen“, haben wir hier etwas geschrieben.