Siedlungen und Siedler zerstören letzte Hoffnung auf Frieden in Palästina

Nethanjahus neue Regierung hat angekündigt alle Gebiete Palästinas zu besetzen und dass das jüdische Volk ein exklusives Recht hat dort zu leben. Palästinensern droht nun wieder einmal die Vertreibung und in Deutschland hört man vor allem Schweigen und Beschwichtigungen, dabei zerstört der Siedlungsbau die letzten Hoffnungen auf Frieden.

Der Siedlungsbau stellt neben der Frage des Rückkehrrechts eines der entscheidendsten Hindernisse für Frieden, wie auch für die Existenz eines funktionsfähigen palästinensischen Staates dar. Der Siedlungsbau selbst findet allerdings erst seit 1967 statt, als sich infolge des „Sechstagekriegs“ Jordanien und Ägypten aus dem Westjordanland beziehungsweise Gaza zurückzogen.

Typen des Siedlungsbaus

Der israelische Siedlungsbau in Palästina hat unterschiedliche Motive, Formen und Strukturen. Die Motive für den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungsbau lassen dabei häufig Schlussfolgerungen zu über die Form des Siedlungsbaus. Die ersten israelischen Siedlungen wurden nach 1967 an der so genannten Grünen Linie, der Grenze von Israel und Palästina, gebaut, Sie sollten die israelische Grenze absichern und hatten in den Augen der damaligen Awoda-Regierung vor allem militärische Zwecke und wurden nicht historisch begründet. Die Regierung sah sie als sogenannte Wehrdörfer, eine äußerste Linie im Kriegsfall mit den angrenzenden arabischen Staaten. Diese Wehrdörfer konnten dabei in allen Grenzgebieten Palästinas sowie auf der damals noch von Israel besetzten Sinai-Halbinsel liegen.

Ebenfalls militärisch, aber auch mit der Ausbreitung des Staats Israel begründeten dies rechtszionistische Politiker wie Moshe Dajan, später jedoch auch vielfach Vertreterinnen und Vertetern von säkularen Parteien wie der Awoda. Sie sahen in den Siedlungen einerseits einen Schutz, andererseits aber auch die Chance Israel weitere Gebiete einzuverleiben und damit mehr Platz für Israelis zu erhalten. Später ging dies noch einher mit dem Wunsch, einen zukünftigen palästinensischen Staat zu schwächen.

Sowohl den Anhängerinnen und Anhängern der ersten als auch der zweiten Motivation ist gemein, dass sie vor allem kontrollierten Siedlungsbau wollten, in geplanten Städten und Dörfern. Eine historische oder gar religiöse Motivation für die Landnahme in Palästina findet sich kaum, vielmehr standen strategische und demographische Punkte im Zentrum dieser Ideen. In den ersten zehn Jahren nach dem Sechstagekrieg gab es demzufolge abgesehen von Ostjerusalem  auch kaum Siedlerinnen und Siedler in Palästina,. So lag die Zahl 1977 bei etwa 1200. Nach dem Wahlsieg des rechtszionistischen Likud im gleichen Jahr stieg die Zahl dagegen deutlich an auf zwischen 22.000 und 30.000.

By Asa Winstanley, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 2.0 (cropped).

Die ersten beiden Motivationen sind heut allerdings kaum noch vertreten, weder in der politischen Landschaft in Israel, geschweige denn unter den israelischen Siedlerinnen und Siedlern. Der überwiegende Teil der Siedlerinnen, Siedler und ihrer politischen Antreiber argumentiert weder strategisch noch militärisch. Die dominanteste Motivation scheint heute eine vermeintlich historische bzw. religiöse zu sein, dabei geht es vor allem um das sogenannte „Eretz Israel“, welches erobert werden und damit der Staat Palästina zerstört werden müsse. Die Anhängerinnen und Anhänger der Idee von Eretz Israel begründen dies häufig sowohl religiös als auch historisch, wobei je nach Partei eine unterschiedliche Gewichtung gelegt wird. Diese Motivation für den Siedlungsbau führte zu einem massiven Anstieg der von der Regierung wie auch den von rechten und religiösen Bewegungen gegründeten Siedlungen. So legte die israelische Likud-Regierung in ihrem „Master Plan and Development Plan for Settlement in Samaria and Judea“ detailliert dar, wie sie Palästinenserinnen und Palästinenser vertreiben, jüdisches Land erobern und damit eine historische Aufgabe erfüllen wolle. Die Folge ist ein massiver Anstieg der israelischen Siedlerinnen und Siedler in Palästina auf inzwischen über 700.000. Diese Zahl dürfte mit der kommenden Koalition, in der die „religiöse Zionisten“, ein Bündnis, das sich vor allem aus rechtsradikalen Siedleraktivisten rekrutiert, prägend sind, noch weiter ansteigen. Dass ausgerechnet jene Partei, eine Art Staatssekretär bekommt, der sich um die Sicherheit der Siedlungen kümmert, zeigt sehr deutlich, wohin die Reise geht.

Die Folgen dieser massiven Zunahme des Siedlungsbaus und der Siedlerinnen und Siedler sind gravierend, sowohl für die Existenz des Staats Palästina, als auch für das Überleben der Menschen in Palästina. Denn mit den Siedlerinnen und Siedlern gehen nicht nur Angriffe auf palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten einher, sondern auch eine Zerstörung der Existenzgrundlage der Palästinenserinnen und Palästinensern, vor allem in der Landwirtschaft.

Siedlungen und Gewalt

Alle israelischen Siedlungen auf palästinensischem Land sind nach internationalem Recht illegal, unabhängig davon, welche Motivation zu ihrer Gründung führte. So heißt es in Artikel 49, Absatz 6 der Genfer Konvention: „Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.“ Und selbst der israelische oberste Gerichtshof erklärt israelische Siedlungen für illegitim, wenn sie auf Land errichtet wurden, das in palästinensischem Privatbesitz war, nicht allerdings, wenn Siedlungen auf palästinensischem Land liegen, das nicht im Privatbesitz ist. Doch die immer stärker werdende israelische Rechte interessiert sich noch weniger als andere israelische Kräfte für Menschenrechte und internationale Entscheidungen und sorgt durchgehend für eine Erhöhung der Anzahl der israelischen Siedlungen wie auch der Zahl der Siedlerinnen und Siedler. Damit geht auch die immer größere Annexion von palästinensischem Land einher. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation BˈTselem sind es inzwischen ca. 2 Millionen Dunam (200.000 Hektar), die vom israelischen Staat annektiert wurden.

Mit dem stärker werdenden Einfluss der israelischen Rechten nimmt nicht nur die Zahl der Siedlungen zu, auch die Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung und ihr Eigentum werden zahlreicher und härter. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten diese im vergangenen Jahr, als israelische Siedler @(das palästinensische Dorf al Mukhtar in der Nähe von Hebron an einem jüdischen Feiertag angriffen und die palästinensischen Bewohnerinnen und Bewohner mit Äxten, Messern und anderen Hieb- und Stichwaffen schwer verletzten. Dabei filmten sie sich teilweise sogar, weil sie berechtigterweise kaum Angst hatten, für ihre Verbrechen im Gefängnis zu landen, oder davor, dass sie von ihrer Community geächtet werden könnten. Theoretisch würde für Verbrechen durch Siedlerinnen und Siedler die Militärgerichtsbarkeit gelten, doch es ist äußerst selten, dass Anzeigen durch Palästinenserinnen und Palästinenser überhaupt weiterverfolgt werden, und noch deutlich seltener, dass es zu Haftstrafen kommt. Die israelische Organisation Yesh Din, die unter anderem Siedlergewalt dokumentiert, berichtete im Jahr 2020, dass in den letzten 15 Jahren 91 Prozent aller Anzeigen nicht verfolgt wurden, von den 1200 untersuchten Fällen kam es in nur 100 Fällen zur Anklage.

Ein Anhänger der Kach-Partei 2015 in Israel - Foto: Activestills

Der traurige Höhepunkt aus dem vergangenen Jahr, der in Israel zu einer kurzen aber regen Debatte über Siedlerinnengewalt führte, hat allerdings nichts am Verhalten der Siedlerinnen und Siedler geändert. Im Gegenteil, nie war die Anzahl der Angriffe so hoch wie in diesem Jahr vor den israelischen Wahlen, innerhalb von 10 Tagen kam es zu mindestens 100 Angriffen. Die Ursache liegt im Aufstieg der rechtsradikalen kahanistischen „religiösen Zionisten“, die nicht nur Verständnis für Angriffe äußern, sondern diese auch anfeuern, und deren Spitzenkandidat Itamar Ben-Gvir, ein Siedler der Siedlung Kiryat Arba, den israelischen Siedler und Massenmörder Baruch Goldstein offen bewundert. Ein Großteil dieser Angriffe galt der palästinensischen Zivilbevölkerung, doch etliche wurden auch gezielt auf Olivenhaine und die palästinensische Landwirtschaft durchgeführt.

Olivenhaine – Zwischen Arbeit und Kultur

Zwischen 10 und 15 der erwerbstätigen Bevölkerung Palästinas arbeiten in der Landwirtschaft. Die wichtigste Ressource in diesem Bereich sind Oliven, sie haben für die palästinensische Bevölkerung sowohl eine enorme wirtschaftliche als auch kulturelle Bedeutung.  47,1 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Westjordanland werden zum Anbau von Oliven genutzt, ein großer Teil der Beschäftigten in der Landwirtschaft arbeiten als Erntehelferinnen und Erntehelfer auf Olivenhainen. Das geerntete Produkt wird dabei nicht nur in Palästina verkauft, sondern stellt auch eines der wichtigsten Exportgüter dar. Auch im industriellen Sektor Palästinas haben Olivenhaine eine wichtige Bedeutung, zum einen als Weiterverarbeitungsgut für Olivenhölzer, ein gerade unter Touristinnen und Touristen beliebtes Mitbringsel, und bei Olivenöl, welches ebenfalls eines der wichtigsten Exportgüter darstellt. „Die Olivenölindustrie macht rund 20 Prozent der nationalen Gesamtproduktion Palästinas und mehr als 5 Prozent seines Bruttosozialproduktes aus,“ wie der Ökumenische Rat der Kirchen zusammenfasst, der 2020 zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk und insbesondere zur Unterstützung bei der Olivenernte und zu deren Schutz aufrief.

Doch die Bedeutung der Olivenhaine ist nicht nur wirtschaftlicher Natur, sie haben auch eine immense kulturelle Bedeutung. Denn zum einen ist der Zweig des Olivenbaums weltweit ein Zeichen für Frieden, eine Hoffnung, die in Palästina immer stärker abnimmt, zum anderen stehen die teilweise mehrere tausend Jahre alten Olivenbäume in der palästinensischen Kultur als Sinnbild für die Verwurzelung im Land und als Zeichen, dass man sich trotz aller Widrigkeiten nicht vertreiben lässt. Ihre Existenz wird somit auch in eine direkte Verbindung zur eigenen Existenz gesetzt.

Doch die Bedeutung der Olivenhaine macht sie nicht nur für Palästinenserinnen und Palästinenser wichtig, sie macht sie auch zu einem der vorrangigen Angriffsziele für israelische Siedlerinnen und Siedler. Schätzungen gehen davon aus, dass seit dem Bau der ersten israelischen Siedlungen im Westjordanland und der Besatzung 1967 mindestens zwei Millionen Olivenbäume durch israelische Siedlerinnen, Siedler und Militärs zerstört wurden. Eine Zahl, die kontinuierlich steigt, so wurden 2021 alleine in der ersten Erntewoche mindestens 1400 Olivenbäume zerstört, und das, obwohl immer mehr internationale Aktivistinnen, Aktivisten und selbst israelische Rabbis sich vor die Olivenbäume stellen um diese zu schützen. Dabei werden diese Menschen, die sich als menschliche Schutzschilde vor die olivenerntenden Palästinenserinnen und Palästinenser stellen, häufig selbst Opfer der Gewalt, doch sie überleben diese Angriffe meist, anders als mindestens 50 palästinensische Bäuerinnen und Bauern seit dem Beginn der 2000er Jahre.

Die Zunahme der Gewalt ist aber ebenso wie die Zunahme der Anzahl der Siedlerinnen und Siedler auch eine Folge des Erstarkens der Rechten in Israel. Denn das israelische Militär, welches offiziell gegen diese Gewalttaten durch Siedlerinnen und Siedler vorgehen soll, ist bei mindestens einem Drittel der Angriffe auf Palästinenserinnen, Palästinenser und deren Eigentum vor Ort und tut in den meisten Fällen nichts, manchmal unterstützen sie gar die Angriffe, wie BˈTselem recherchiert hat.

Siedlungen und der ungleiche Zugang zu Wasser

Doch es sind nicht nur die direkten Angriffe auf Palästinenserinnen, Palästinenser und auf ihre Landwirtschaft und ihre Häuser, die eine Gefahr infolge der Zunahme der Siedlungen darstellen, insbesondere der Wassermangel wird durch den Siedlungsbau verschärft. So kontrolliert Israel nahezu den kompletten Wasserzugang in der Region. Die Folge: „Schätzungsweise 660 000 Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland [haben] nur begrenzten Zugang zu Wasser, rund 420 000 Personen verbrauchen im Durchschnitt weniger als 50 Liter pro Tag und Kopf, was weit unter den von der WHO empfohlenen 100 Litern liegt.“ Während Palästinenserinnen und Palästinenser teilweise nicht wissen, woher das Wasser kommen soll, das sie für sich selbst oder ihre Landwirtschaft benötigen, verfügen israelische Siedlerinnen und Siedler über keinerlei Probleme beim Zugang zu Wasser. Die Leitungen, welche durch Palästina gehen, um die illegalen Siedlungen auf palästinensischem Land zu versorgen, dürfen allerdings von den Palästinenserinnen und Palästinenser  nur äußerst selten verwendet werden, und wenn, dann kostet sie das Wasser bis zu acht Mal mehr und das bei deutlichen niedrigeren Einkommen..

Siedlungen fördern Gewalt, Armut und zerstören Hoffnungen

Auf den verschiedensten Ebenen wird deutlich, dass die Zunahme und der Ausbau der israelischen Siedlungen und die immer größer werdende Zahl an israelischen Siedlerinnen und Siedler eine immense Gefahr darstellt: für die letzten Hoffnungen auf Frieden, für die palästinensische Zivilbevölkerung, für einen existenzfähigen palästinensischen Staat und für jeden Versuch des Aufbaus einer funktionsfähigen palästinensischen Landwirtschaft.

Die Gefahr, die mit dem Siedlungsbau einhergeht, ist inzwischen selbst im US-Außenministerium angekommen. So erklärte der US-Außenminister Anthony Blinken: „Wir werden uns auch weiterhin unmissverständlich allen Handlungen entgegenstellen, die die Aussichten auf eine Zwei-Staaten-Lösung untergraben.“ Dazu zählt er unter anderem „die Ausweitung von Siedlungen, Bestrebungen zur Annexion des Westjordanlandes, die Beeinträchtigung des historischen Status quo der heiligen Stätten, Abrisse (von Häusern) und Zwangsräumungen sowie die Anstachelung zur Gewalt“. Die Worte von Blinken fallen zwar hinter geltendes internationales Recht zurück, welches alle Siedlungen als rechtswidrig betrachtet, doch sind sie für einen US-Außenminister überraschend deutlich. Entscheidend ist allerdings nicht nur, wie die Worte gewählt werden, sondern ob es gelingt, den Druck soweit zu erhöhen, dass nicht nur der Siedlungsbau und Gewalt durch Siedlerinnen und Siedler gestoppt wird, sondern, dass die Siedlungen schrittweise abgebaut werden, denn sie verhindern jede Chance auf Frieden. Ob dies allerdings geschehen wird, ist mehr als zweifelhaft, vielmehr dürfte die Siedlergewalt unter dem Schutz einer Regierung der radikalen Rechten noch zunehmen, während die ohnehin schon unglaublich geringe Zahl an Fällen von Siedlergewalt, die vor Gericht landet, noch weiter sinken dürfte. Denn ihre Verantwortung dieser Regierung für die Sicherheit der Siedlungen bedeutet vor allem auch, dass gewalttätige Siedlerinnen und Siedler sich weiterhin sicher fühlen können. 

Der Artikel erschien zuerst im Rahmen eines Dossiers der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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