Queers for Palestine – über einen scheinbaren Widerspruch

Die Ereignisse in Israel und Palästina, der Angriff der Hamas und der israelische Vergeltungsschlag spalten erneut die politische Landschaft in Deutschland. Wie schon beim Ukrainekrieg fordern Politik und Medien uneingeschränkte Solidarität und Zustimmung zur aktuellen Vorgehensweise der Bundesregierung: Bedingungslose Solidarität mit Israel, keine Kritik an der brutalen Vorgehensweise im Gazastreifen, die Stand jetzt an die 20.000 palästinensische Opfer gefordert hat, viele davon Frauen und Kinder.

Die Lagerbildung wird zementiert durch abgepresste Bekenntnisse, zu „westlichen Werten“, zu „Menschenrechten“, „zivilisatorischen Errungenschaften“ und durch einen moralisierenden Blick auf politische Positionen. Wer nicht auf Seiten Israels steht, der ist für Hamas und deren reaktionäre Ideologie.

All dies dient der Herstellung eines vermeintlichen Konsenses. Wussten sich Linke in der Vergangenheit gegen diese Versuche der Bildung einer „Volksfront“ zu wehren, so scheitern sie aktuell krachend.

Queerfeindlichkeit und Palästina

Gerade der Vorwurf der Queerfeindlichkeit gegenüber Palästina als Ganzem wird hierbei oft bedient. Das sieht oft so aus: „Du bist queer und äußerst dich palästinasolidarisch? Geh mal nach Gaza, mal sehen wie lange du da überlebst.“

Mit einem Mal ist damit die Sache angeblich geklärt. Queere Menschen dürfen sich nicht gegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aussprechen. Palästina und gleich der gesamte mittlere Osten werden zu einem Hort der Barbaren gemacht, deren Gegensatz Israel und der Westen darstellen.

Bildlich wird das dargestellt in Memes und Karikaturen von Kühen, die für die Fleischindustrie Werbung machen bis hin zur naiven jungen Person (natürlich mit bunten Haaren), die lachend auf einen maskierten Kämpfer/Terroristen zuläuft, der sie schließlich brutal enthauptet.

Nicht nur, manifestiert sich in diesen Bildern und Aussagen ein krudes, oft auch abwertendes Bild von queeren Menschen, es raubt ihnen auch vollkommen die Subjektqualität. Queere Menschen als Masse bunt gekleideter Sonderlinge, die nur auf Grund der Güte des Westens in den Genuss von grundlegenden Rechten kommen und gefälligst dankbar zu sein haben. Eine eigenständige Positionierung wird ihnen nicht zugestanden. Eine kritische Perspektive auf die westliche Gesellschaft, die auch trotz erkämpfter Rechte meilenweit davon entfernt ist, für queere Menschen ein sicherer Ort zu sein wird verunmöglicht.

Queer in Palästina

Perfider wird dieser Vorwurf dann auch gegenüber queeren Menschen in Palästina. Diese haben qua Identität gar keine andere Wahl, als auf die „zivilisatorische Erlösung“ zu warten. Ob sie auf dem Weg dahin israelischen Bomben zum Opfern fallen, das kümmert die besorgten Citoyens, die diese Argumentation heranziehen herzlich wenig.

Das blendet die komplexe Realität queerer Menschen in Palästina komplett aus. LGBTQ-Personen in Palästina sind diversen Formen der Diskriminierung ausgesetzt. Dies lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen, wie etwa eine patriarchale Prägung, aber auch Gesetze aus der Kolonialzeit. Oftmals wird vergessen, welch entscheidende Rolle das britische Empire und die Missionsarbeit bei der Verbreitung einer rigiden Sexualmoral und einer institutionalisierten Homophobie in den ehemaligen Kolonien gespielt haben.

Wie in vielen Gesellschaften, gerade auch in solchen die religiös und patriarchal geprägt sind, gibt es in Palästina Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt gegen queere Menschen. Gerade auch islamistische Gruppen haben ein reaktionäres Verständnis von Sexualität. Queere Menschen müssen sich verstecken, die Akzeptanz ist gering. In Gaza, wo die islamistische Hamas regiert ist die Lage kritischer als in der West Bank, wo die eher sozialdemokratische Fatah regiert.

Das allein rechtfertigt allerdings keine Besatzung, keine brutalen militärischen Aktionen. Queere Menschen in Palästina sind zusätzlich zu ihrer queerfeindlichen Unterdrückung auch Opfer der Schikane und der Gewalt der israelischen Besatzung.

Unter diesen Bedingungen wird der Kampf für ein Ende der Diskriminierung zusätzlich erschwert. Daher zeigen sich viele queere Menschen in Palästina auch solidarisch mit dem Befreiungskampf. So sieht sich die queere palästinensische Organisation Al Qaws beispielsweise nicht nur als queerfeministisch, sondern auch als antikolonial. Tatsächlich ist es also so, dass queere Palästinenser*innen jenseits ihrer Sexualität auch ihre palästinensische Identität wahrnehmen.  

Israel als sicherer Hafen

Auch ist die Konstruktion Israels als sicherer Hafen für queere Menschen wacklig. Auch in Israel gibt es einflussreiche rechte und rechtsextreme Gruppen. Dieser Fundamentalismus in der israelischen Gesellschaft hat nun auch seinen Weg in die Regierung gefunden. Bezalel Smotrich beispielsweise, Finanzminister unter Netanjahu, gab an, selbst homophob und faschistisch zu sein.

Israels widersprüchliche Rolle wird in dieser Hinsicht selten thematisiert, auf der einen Seite ein Land, dessen Tourismusbehörde gezielt auf schwulen Dating-Apps Werbung für Party-Urlaub in Tel Aviv macht, auf der anderen Seite ein Ort, der palästinensische Männer und Jungen, egal ob queer oder hetero mit Gewalt begegnet, diskriminiert und kriminalisiert. Es existieren zahlreiche Berichte schwuler Männer, die gezielt mit ihrer Sexualität durch israelische Sicherheitsbehörden erpresst werden. 

All dies findet nicht den Weg in die deutsche Debatte. Hier wird der Gegensatz zwischen queerfreundlichem Westen und barbarischem Osten aufgemacht. Alleine der durch den westlichen Imperialismus abgesicherte Schutzraum zählt. Alles was zur Verteidigung dieses „Schutzraumes„, zu dem Israel selbstredend gezählt wird, dient, dahinter haben queere Menschen gefälligst zu stehen.

Menschenrechte und Imperialismus

Es offenbart sich ein sehr einseitiges Bild von Menschenrechten, welches problemlos an die wertegeleitete bzw. vermeintlich feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock anknüpft, aber auch an stark erinnert an die Rechtfertigung für westliche Intervention in Afghanistan oder Irak. Immer wieder kommt es vor, dass die Diskriminierung von Minderheiten als Ausrede für Krieg und Intervention genutzt wird. Dass diese Gewalt niemanden befreit, das ist dann nebensächlich. Kritik am westlichen Imperialismus ist verboten, weil nur der westliche Imperialismus die Grundlage für die Entfaltung queeren Lebens bietet, so die Lesart.

Dass dem westlichen Imperialismus queere Menschen egal sind, dass sie im Westen immer noch diskriminiert und verfolgt werden, dass wahre Veränderung immer von unten und gegen die Interessen herrschender Kreise erkämpft wurde, das blenden diese Argumentationen gerne aus.

Eine kollektive Befreiung, die beinhaltet nicht nur die Befreiung der Frau und die Befreiung queerer Menschen, sie bedeutet auch die Überwindung des Imperialismus.

Für die Gegenwart bedeutet das, Menschenrechte nicht selektiv anzuwenden und queere Menschen für ihr Engagement für Frieden und Menschenrechte in Palästina nicht anzufeinden. Wer mit queeren Menschen in Palästina für ihre Befreiung kämpfen will, der sollte auch für ein Ende der Gewalt und der Besatzung kämpfen.

Ein Beitrag von Christian Köhler Pinzón

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2 Antworten

  1. „Es existieren zahlreiche Berichte schwuler Männer, die gezielt mit ihrer Sexualität durch israelische Sicherheitsbehörden erpresst werden.“
    Könnt ihr zuverlässige Quellen dazu angeben? Würde mich interessieren, denn es findet sich im Netz auch immer mal wieder der (ebenfalls unbelegte) Verweis auf „zahlreiche Berichte“ von schwulen Männern, die durch die Palästinensische Autonomiebehörde mit ihrer Sexualität zur Spionage in Israel erpresst würden.

  2. Kein Wort zu den Angriffen der Hamas auf Israel, nichts zu den Geiseln. Ein fürchterlich einseitiger Gastbeitrag eines Traumtänzers.

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