Partnerschaft nur auf dem Papier – Die neokoloniale Afrikapolitik der Bundesregierung

In den letzten Jahren tauchten in der Bundesregierung plötzlich überall neue „Afrika-Expertinnen und -Experten“ auf. Da ist zum Beispiel Günter Nooke. Er ist leider immer noch Afrikabeauftragter der Bundesregierung, obwohl er im Oktober 2018 in einem B.Z.-Interview koloniale Fantasien zum Besten gab und bis heute vertritt. Die europäische Kolonisierung, sagte er, habe dazu beigetragen, den afrikanischen Kontinent „aus archaischen Strukturen zu lösen“.

Aber auch heutzutage werde Afrika von „Clanstrukturen“ zurückgehalten. Am besten sollten afrikanische Staaten „ein Stück territoriale Hoheit abgeben“, damit Europa „mit klaren Regeln und Strukturen“ abgeschobene Migrantinnen und Migranten ansiedeln könne. Mit solchen Aussagen hätte sich Nooke 1884 auf der Berliner Kongo-Konferenz profilieren können.

In den letzten vier Jahren kam aus Berlin eine richtige Flut an afrikapolitischen Initiativen. Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entwarf einen „Marshallplan mit Afrika“. Das Finanzministerium strickte gemeinsam mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) am „Compact with Africa“, und das Wirtschaftsministerium zog mit seiner „Pro!Afrika“-Initiative nach. Auf dem Papier geht es um eine neue „Partnerschaft“ mit Afrika. Voller Stolz präsentierte man, dass es jetzt „mit“ und nicht „für“ heiße. Man sei jetzt nicht mehr bevormundend. Solche rhetorischen Kniffe können jedoch nicht verbergen, dass es bei der Afrikapolitik im Kern um knallharte Interessen geht. Zwei grundlegend besorgniserregende Trends deutscher und europäischer „Entwicklungspolitik“ lassen sich beobachten.

Grenzen schließen – Migration erschweren – Abschiebungen nach Afrika erleichtern

Als Reaktion auf die Migrationsbewegungen 2015 in Richtung Europa war plötzlich das Schlagwort „Fluchtursachenbekämpfung“ in aller Munde. Die EU versteht darunter jedoch einen Kampf gegen Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete. Entwicklungsgelder werden derzeit zweckentfremdet, um Außenposten der Festung Europa auf dem afrikanischen Kontinent zu errichten. In Nordafrika fließt beispielsweise die Hälfte der Entwicklungsgelder direkt in die Migrationsabwehr. Mit der Aufrüstung zwischenstaatlicher Grenzen in Afrika werden wirtschaftliche und soziale Beziehungen zwischen den afrikanischen Ländern zerstört und der regionale Handel gehemmt. Damit schafft man neue Fluchtursachen.

Um Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Europa zu unterbinden, opfert man jegliche Ansprüche an Menschenrechte und kooperiert offen mit repressiven Regimen in Ägypten, Tschad oder Niger. Letztgenanntes leistete der EU in Sachen „Migrationsmanagement“ in den letzten Jahren einen wichtigen Dienst. Seine Sicherheitskräfte aus Militär und Polizei kappten die Hauptroute durch die Wüste, von der Grenzstadt Agadez nach Libyen. 2016 nahmen diese noch rund 300.000 Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten. Die aktuellen Migrationsrouten werden damit noch gefährlicher. „Wir gehen davon aus, dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben als im Mittelmeer selbst“, sagte der Sondergesandte des UNHCR für das Mittelmeer und Libyen, Vincent Cochetel. Dieses Sterben ist noch weniger sichtbar als auf dem Mittelmeer.

Für ihren Türsteherjob werden die afrikanischen Länder mit Geld und Technologie entlohnt. Allein Niger bekam mehr als eine Milliarde Euro an Budgethilfen und Entwicklungsprojekten. An das Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerium flossen insgesamt 80 Millionen Euro. Von solchen Deals profitieren einerseits die großen europäischen Rüstungsunternehmen, die einen neuen Markt für ihre Sicherheitstechnologie wie zum Beispiel Fingerabdruckscanner, Überwachungsanlagen gefunden haben. Andererseits können die autoritären Regime dieses Equipment nutzen, um ihre eigene Bevölkerung zu kontrollieren und zu unterdrücken. Es ist eine Loose-Loose Situation für Menschenrechte und Bewegungsfreiheit.

Die Privatisierung der Entwicklungszusammenarbeit

Das kreative Potential der deutschen Entwicklungspolitik erschöpft sich derzeit darin, die Expansion deutscher Unternehmen nach Afrika voranzutreiben. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) baut sein Ministerium sukzessive zu einer Außenhandelskammer der deutschen Privatwirtschaft um. Man kurbelt Kapitalexporte in Form neuer Kredite und Öffentlich-Privater Partnerschaften an und ignoriert, dass diese eine neue Schuldenkrise in einigen afrikanischen Staaten auslösen können.

Investitionen des Privatsektors werden gebetsmühlenartig als Allheilmittel angepriesen, obwohl es empirisch keinerlei Belege dafür gibt. Die Grundidee dahinter ist so simpel wie problematisch: Kapital ist immer auf der Suche nach neuen Verwertungs- und Anlagemöglichkeiten. Wenn es gelinge, dieses nach Afrika zu leiten, ließen sich damit die „zentralen Entwicklungsprobleme“ wie „fehlende Infrastruktur und Jobs“ lösen. Ergo sei es Aufgabe der Entwicklungspolitik, dem Kapital gute Anlagebedingungen zu schaffen. Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards sucht man hierbei vergeblich. In dieser Logik sind sie – ebenso wie Menschenrechte – ein ärgerliches Investitionshemmnis.

Zum einen nimmt Minister Müller so viel Geld aus dem Entwicklungsetat wie nie zu vor in die Hand, um die Risiken von Unternehmen und Investoren in Afrika abzusichern. Hier kommt sein sogenannter Entwicklungsinvestitionsfonds ins Spiel, der aus den Komponenten „Africa Connect“ und „Africa Grow“ besteht. Africa Connect ist in der Steueroase Mauritius angesiedelt und soll lukrative Darlehen an deutsche und andere europäische Unternehmen vergeben, die in Afrika investieren. Africa Grow wiederum soll Gelder von Privatinvestoren sammeln, um diese in afrikanische Fonds und Unternehmen zu stecken. Im Fall von Verlusten springt als erste die Bundesregierung ein, die neben der Allianz-Versicherung der Hauptgeldgeber des Fonds ist. Anders ausgedrückt: Müller versteht Entwicklungspolitik als Absicherung der Renditeerwartungen von Investoren.

Zum anderen knüpft die Bundesregierung die Vergabe von Entwicklungsgeldern an Bedingungen. Diese sogenannte Konditionalisierung ist nicht neu, nimmt jedoch immer stärkere Ausmaße an. Die Devise lautet: „Erst die Reformen, dann das Geld!“. Damit ist gemeint, dass die Länder des Südens ihr „Investitionsklima“ verbessern sollen. Die afrikanischen Länder werden dazu genötigt, ihre Handels- und Wirtschaftspolitik zu liberalisieren. Sie sollen beispielsweise Exportbeschränkungen und Zölle abbauen. Durch solche Maßnahmen verlieren die Länder des Südens wichtige Möglichkeiten, ihre heimische Wirtschaft zu stärken. Zudem drohen ihnen massive Verluste von Steuereinnahmen. Dieses Geld fehlt ihnen für den Aufbau und die Finanzierung einer öffentlichen Daseinsvorsorge im Gesundheits- oder Bildungsbereich. Wie wichtig solche Systeme sind, verdeutlicht die aktuelle Corona-Krise.

Siphokazi Mthathi, Geschäftsführerin von Oxfam Südafrika, hat eine klare Position zu dieser Privatisierung der Entwicklungszusammenarbeit: „Wir brauchen keinen neoliberalen Voodoo-Zauber, sondern eine visionäre Wirtschaftspolitik der nachhaltigen und inklusiven Entwicklung.“ Die Bundesregierung müsste einsehen, dass entscheidende Fragen, wie wir die Ursachen globaler Ungleichheit beseitigen können, nicht in ein solches „Business-Framework“ passen. Aber wer wird von ihr erwarten, dass sie ehrlich über (neo-)koloniale Ausbeutung, unfaire Handelsverträge, Steuerflucht multinationaler Konzerne, illegitime Schulden oder die Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen in ihren Lieferketten sprechen wird? Daran hat sie kein Interesse.

Ein Beitrag von der Bundestagsabgeordneten Eva-Maria Schreiber, Sprecherin für Welternährungspolitik der Linken.

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