Palästinensische Parteien vereinigen sich

Das für unmöglich Gehaltene scheint eingetreten zu sein. Israels vier große arabische Parteien  haben beschlossen, auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren und erhoffen sich somit eine  größere Chance bei den kommenden Knessetwahlen. Doch warum jetzt? Und warum ist dies  tatsächlich eine reelle Chance auf einen Politikwechsel?

Der Hintergrund, dass jetzt nach rund 2 Jahren wieder gewählt werden muss, war ein umstrittener  Gesetzesentwurf, welches Premier Benjamin Netanyahu auf den Weg bringen wollte. Er beschrieb,  dass Israel zukünftig der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ werden solle. Die innen- und  außenparlamentarische Opposition ging auf die Barrikaden und selbst innerhalb der Koalition stellten sich 6 Minister gegen den Gesetzesentwurf – darunter die Justizministerin Tzipi Livni und Finanzminister Yair Lapid. Beide wurden Anfang Dezember ihres Amtes enthoben und Neuwahlen für Mitte März angesetzt.

Doch tatsächlich könnten diese Wahlen richtungsweisend sein.Würde Jitzchak Herzog, Parteivorsitzender der sozialdemokratischen HaAvoda („die Arbeit“), der nächste Ministerpräsident werden wollen und Netanjahu somit von diesem Posten verdrängen, müsste er allerdings eine Regierung aus mehreren mitte-links Fraktionen eingehen – und auch die arabischen Parteien hinter sich bringen.

Im vergangenen Jahr wurde eine Anhebung der Sperrklausel (Prozenthürde) auf 3,25% vollzogen, weswegen die arabischen Parteien allesamt um den Einzug in die Knesset bangen müssen (aus dem amtlichen Wahlergebnis der Knessetwahlen 2013: „United Arab List“ (Ra‘am und Ta‘al) 3,65%, Chadash 2,99%, Balad 2,56%). Schon alleine aus diesem Grund scheint es von Vorteil zu sein, eine gemeinsame Liste aufzustellen, welche aus Kommunisten, Islamisten, Juden und Frauen besteht. Damit könnten sie eine (stimmenmäßig) starke Fraktion bilden und arabische Interessen in die Knesset tragen.

Wer sind aber diese genannten Parteien?

Die Chadash (hebr. „neu“) ist eine kommunistische Partei, die sich aktiv für die Zweistaatenlösung einsetzt. Dabei ist eine zentrale Forderung, dass alle Gebiete, die nach 1967 erobert wurden, evakuiert und in den neu gegründeten palästinensischen Staat eingegliedert erden. Ihr aktiver Kampf gegen Rassismus und Benachteiligungen von Minderheiten und natürlich gegen die Militarisierung Israels und für einen langanhaltenden Frieden mit seinen Nachbarn macht Chadash zu einem wichtigen Gegenstück für die sehr rechts-konservativ geprägte politische Landschaft Israels. (Für mehr Informationen: http://hadash.org.il/english/)

Ta‘al ist eine Partei, die sich im Besonderen für die Gleichstellung zwischen Juden und Arabern einsetzt und lehnt die Idee des „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ kategorisch ab. Sie sehen darin einen weiteren Unterdrückungsmechanismus, der dazu führt, dass Araber minderwertiger als Juden angesehen werden. Israels ethnokratische Tendenzen müssen überwunden werden, sodass die immerhin 20%, die Araber in der israelischen Gesellschaft ausmachen, Gehör finden und zumindest gleiche Rechte zugesichert bekommen. (Für mehr Informationen: http://www.a-m-c.org/Category.asp?catid=40)

Balad ist das arabische Wort für Nation und gleichzeitig das hebräische Akronym für „Nationale Demokratische Versammlung“. Ihre Forderungen sind, dass Israel zum binationalen Staat erklärt werden solle. Zudem sollen Palästinenser als nationale Minderheit anerkannt und die gleichen Rechte zugesprochen werden. Langfristiges Ziel sei die Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967. Somit ergäbe palästinensisches Staatsgebiet Ost-Jerusalem, die Westbank und den Gazastreifen. Das „right of return“ (Recht des Zurückkommens) palästinensischer Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten solle endlich Wirklichkeit werden und ihnen die volle Staatsbürgerschaft zugeschrieben werden. Das Verhältnis zum Iran sehe man entspannter. Der Iran sei keine reale Gefahr, auch wenn er Atomwaffen besäßen würde. Man hätte damit zumindest einen Gegenpol zu Israel im Nahen Osten.2009 errang die Balad zusammen mit der Ta‘al nationale Aufmerksamkeit aufgrund einer Kontroverse in der Knesset. Ihnen wurde aufgrund von Äußerungen im Gazakrieg vorgeworfen, Terroristen zu unterstützen und Israel nicht anzuerkennen. Somit wollte das Wahlkomitee diese von den Wahlen ausschließen.

Die zur islamischen Bewegung gehörende Ra‘am (hebräisches Akronym für „Vereinte Arabische Liste“) ist eine nationalistische Partei, welche auch einen souveränen Staat Palästina mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem fordert. Außerdem sollen alle Siedlungen in der Westbank geräumt werden und die arabischen Staatsbürger in Israel gleiche Rechte erhalten. Ihre Wählergruppen bestehen zumeist aus religiösen oder nationalistischen Wählern.Da auch die United Arab List aufgrund der Äußerungen der Ta‘al 2009 von den Wahlen ausgeschlossen werden konnte, gingen Ta‘al, Balad und Ra‘am gemeinsam vor dem Obersten Gericht Israels in Revision und durften nach positiver Entscheidung zugunsten von ihnen schließlich doch an den Wahlen teilhaben.

Der Zusammenschluss dieser vier Parteien verlief unter dem gemeinsamen Begehren, dass keine der Parteien ein Interesse daran hätte, die Gespräche zu torpedieren. Dass Parteien mit, zwar im Kern linken Idealen, aber trotzdem weitreichenden Unterschieden und Meinungsdefiziten zusammenarbeiten, stellt sie auf eine große Probe. Auch das macht die Zusammenarbeit mit dem „zionistischen Block“ des mitte-links Bündnisses Herzogs nicht einfacher, sondern würde in möglichen Sondierungsgesprächen für reichlich Zündstoff sorgen. Doch ist dies wohl die einzige Möglichkeit, einen wahren Politikwechsel in Israel zu schaffen und Netanyahu vom Thron zu stoßen. Was letztendlich daraus wird, kann nur die Zeit sagen. Man hofft das Beste und ist zuversichtlich – nicht zuletzt für die unterdrückten Palästinenser in den besetzten Gebieten.

Der Gastbeitrag wurde verfasst von Markus Bögner, der sich zurzeit in Israel und Palästina aufhält.

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Eine Antwort

  1. Passt nicht gerade zur Überschrift, aber ich möchte dieses Video hier trotzdem nochmal reinstellen, da mich es immer noch wundert, warum es so wenig verbreitet ist.

    Der ehemalige Spiegel Journalist Harald Schumann redet Klartext und prangert die Interne Pressefreiheit in Deutschland an.

    Schumann: “… das ist in der deutschen Presse Gang und Gäbe, dass Chefredakteure oder Resortleiter ihren Untergebenen sagen, wie sie zu denken haben. Dass Vorgaben gemacht werden, was sie recherchieren dürfen und was nicht, und dass viele junge Kollegen daran gehindert werden überhaupt kritische Journalisten zu werden weil ihre Vorgesetzten das gar nicht wollen.”

    Interviewer: “Sie nehmen ausdrücklich die ÖR-Anstallten nicht aus, warum?”

    Schumann: “Weil ich genügend Kollegen aus ÖR-Anstallten kenne, die mir genau solche Geschichten berichtet haben und mir das hundertfach bestätigt haben. Insofern, die sind da nicht aus zunehmen.”

    https://www.youtube.com/watch?v=d1ntkEbQraU

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