Möglichkeiten linker Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik als radikale Realpolitik

Die Partei DIE LINKE ist programmatisch klar antirassistisch aufgestellt: „Deutschland ist ein Einwanderungsland. DIE LINKE. lehnt eine Migrations- und Integrationspolitik ab, die soziale und politische Rechte danach vergibt, ob Menschen für das Kapital als „nützlich“ oder „unnütz“ gelten. Wir wollen die soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen erreichen…. Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen“, heißt es im 2011 beschlossenen Grundsatzprogramm der Partei.

Wie wir diese Forderung operationalisieren, bleibt gleichwohl offen und genau darüber diskutiert DIE LINKE derzeit.

Unsere These ist: Das Recht auf Freizügigkeit, das es innerhalb der Europäischen Union grundsätzlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, muss Ausgangspunkt der Überlegungen für eine linke Einwanderungspolitik sein und verallgemeinert werden. Jeder Mensch muss das Recht haben zu wählen, wo sie oder er leben möchte. Es gilt unterschiedliche Formen von Migration zu unterscheiden: erzwungene Migration, also vor allem Flucht, und freiwillige Migration. Für beide Formen der Migration gibt es zu wenige und vor allem zu wenig anspruchsbegründende Wege, die legal und mit Perspektive eingeschlagen werden können.

Über 65 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, die wenigsten gelangen bis in die Länder der Europäischen Union. Nur 800.000 Flüchtlinge haben es im Jahr 2015 bis Deutschland geschafft. Dennoch verschob sich der öffentlich dominierende Diskurs von der Bereitschaft zu Hilfe und Unterstützung sehr schnell in Richtung Abschottung, Ausgrenzung und Abwertung.

Linke Migrationspolitik muss also im europäischen und globalen Rahmen entwickelt werden. Legale Zuwanderungsmöglichkeiten in die Europäische Union, sichere Zugangswege sind zunächst die wichtigsten Forderungen, um das Sterben im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas zu beenden und der Humanität Geltung zu verschaffen. Doch auch auf nationalstaatlicher Ebene sind Weichenstellungen möglich und notwendig, die Ausdruck radikaler Realpolitik sind.

Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl

Die Flucht vor politischer Verfolgung, vor Krieg, rassistischer und sexistischer Diskriminierung, Hunger oder Umweltkatastrophen muss Gegenstand einer demokratischen Asylgesetzgebung werden, die auf der Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl fußt. Das heißt für die Bundesrepublik Deutschland, dass der Artikel 16 a des Grundgesetzes erweitert wird und von den Einschränkungen durch die Konstrukte „sichere Drittstaaten“ und „sichere Herkunftsstaaten“ befreit wird. Das erfordert eine Grundgesetzänderung, eine im Moment wenig realistische Perspektive. Hilfsweise können zumindest die Konstruktionen „sichere Drittstaaten“ und „sichere Herkunftsstaaten“ durch einfachgesetzliche Regelungen abgeschafft werden, in dem die Länderlisten auf Null gesetzt werden.

Auch die Anerkennung von Fluchtgründen, die über individuelle politische Verfolgung hinausgehen, kann einfachgesetzlich geregelt werden.

Wer hier um Schutz und Aufnahme bittet, muss ein Aufenthaltsrecht bekommen, das die Chance zu gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bietet. Das schließt den vollständigen Familiennachzug, den unbeschränkten Zugang zu Bildung, Ausbildung, Erwerbsarbeit und die sozialen Sicherungssysteme ein. Diskriminierende und zudem bürokratische und teure Sondergesetze zulasten geflüchteter Menschen wie das Asylbewerberleistungsgesetz müssen abgeschafft werden. Und als erste Schritte zu einem humanitäreren Flüchtlingsrecht müssen Abschiebungen vermieden und schnelle Wege in Bildung, Ausbildung und Beruf geöffnet werden.

Recht auf Freizügigkeit – Eintrittskarte für Einwanderungswillige

Linke Einwanderungspolitik öffnet neben dem Grundrecht auf Asyl auch den Weg zu legaler Einwanderung und Wohnsitznahme in der Bundesrepublik. Wichtig dabei ist, dass es künftig die Möglichkeit zum „Spurwechsel“ zwischen dem Flüchtlings- und dem Einwanderungsrecht gibt.

Da stellt sich natürlich gleich die Frage, wer darf einwandern, kommt es dann nicht zu Lohn- und Sozialdumping und Konkurrenz mit „Einheimischen“, befeuert das nicht Rassismus und Vorurteile? Auch die Linke ist nicht frei von solchen Debatten. Doch wenn wir es ernst meinen mit einer grundrechtsbasierten, an den Menschenrechten orientierten Migrationspolitik, muss die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen im Mittelpunkt stehen. Natürlich stellt eine Einwanderungspolitik auf der Basis eines allgemeinen Rechts auf Freizügigkeit erhebliche Anforderungen an eine funktionierende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Ein schon lange geforderter Umbau der sozialen Sicherungssysteme ist nötig, damit alle hier lebenden Menschen vor sozialen Risiken gesichert sind. Gleichzeitig müssen der Zugang zu Erwerbsarbeit, die Unterstützung und Beratung dabei sowie die Mindeststandards verbessert werden.

Ein weiterer Einwand gegen eine grundrechtsbasierte Einwanderungspolitik mag sein, dass diese sehr viele Migrantinnen und Migranten anziehe. Dagegen lassen sich verschiedene Erkenntnisse der Migrationsforschung bemühen: Menschen wandern in der Regel dahin aus, wo sie bereits soziale Anknüpfungspunkte haben. Das Bild, Millionen von Menschen kämen hierher, entbehrt jeder empirischen Grundlage.

Außerdem gilt auch hier, dass eine grundrechtebasierte Einwanderungspolitik von linken Politiken in anderen Feldern flankiert werden muss: dazu gehören unter anderem eine friedliche Außen-, Klima- und Handelspolitik.

Dennoch: ein demokratisches Einwanderungsrecht erfordert die Bereitschaft der gesellschaftlichen Mehrheit, sich zu öffnen, Einwanderung als Bereicherung zu betrachten und die gesellschaftliche Entwicklung gemeinsam mit den Eingewanderten voran zu treiben. Nicht Abwehr, Ausgrenzung und Abwertung des „Anderen“ darf das gesellschaftliche Leitbild sein, sondern die Öffnung, die Neugier, die Bereitschaft, sich mit anderen gemeinsam zu verändern. Das lässt sich unter Bedingungen von ‚Angstfreiheit im Wandel’ besser erreichen als in der gegenwärtigen Situation gesellschaftlicher Prekarisierung. Insofern eröffnet ein demokratisches Einwanderungsrecht weitere Chancen, das demokratische Gemeinwesen der Bundesrepublik auf ein neues demokratisches, vielfältiges Fundament zu setzen.

Ein Beitrag von

Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales im Land Berlin

Katina Schubert, Landesvorsitzende und flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin

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Eine Antwort

  1. Wie wäre es, wenn Frau Breitenbach und Frau Schubert mit gelebtem Beispiel im Kleinen für ihre „Realpolitik“ vorangingen?

    Als erstes sollten sie ihre Haustüren entfernen, damit „offene Grenzen für alle Menschen“ entstehen.
    Dann kann jeder, der will in ihre Unterkünfte einziehen, denn „Jeder Mensch muss das Recht haben zu wählen, wo sie oder er leben möchte“ – egal, ob es nun bedürftige Obdachlose sind oder Leute, die einfach nur einen besseren Lebensstandart wollen.

    Und die beiden Damen haben dann gefälligst dafür zu sorgen, dass ihre neuen Mitbewohner Zugang und Nutzungsrecht zu allen ihren Räumlichkeiten und Besitztümern gewährleistet wird. Dass irgendjemand aus dieser neuen WG rausgeschmissen wird, sollte unbedingt vermieden werde.
    Alles andere wäre ja auch diskriminierend!

    Nun fragen sich die Frauen vielleicht irgendwann, wie das ganze funktionieren soll. Ist aber egal, denn es „muss die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen im Mittelpunkt stehen“.
    Zur Finanzierung dieser neuen Gemeinschaft müssen sie sich halt was einfallen lassen – mehr arbeiten oder sonstiger „Umbau“:
    Und natürlich können Breitenbach und Schubert sicher sein, dass nicht übermäßig viele Leute bei ihnen einziehen, es werden nur ein paar sein.

    Also, werte Damen, wann können wir bei Ihnen „die Öffnung, die Neugier, die Bereitschaft, sich mit anderen gemeinsam zu verändern“ tatsächlich beobachten?

    Ich bin gespannt! :)

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