NRW-Ministerpräsident Laschet hat sich an den Ostertagen zum „Nachdenken“ zurückgezogen und ist danach mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen, an dem das einzig Neue der schöne Titel ist: Während viele renommierte Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und die Mehrheit der Bevölkerung für einen harten Lockdown zur Eindämmung der gefährlichen Varianten des Coronavirus plädieren, erfindet Laschet (wahrscheinlich nach intensivem Hören seiner alten Peter-Maffay-Platten) das Catchword „Brückenlockdown“.
Was steckt an Neuem in der schönen bunten Verpackung? Quasi nichts. Alles olle Kamelle, wie man in Laschets Heimat sagen würde: Weiterhin sollen die Menschen, die schon seit November ihre Kontakte minimieren, was das Zeug hält, ihre privaten Kontakte minimieren. Um zu signalisieren, wie ernst die Lage weiterhin ist, sollen vielleicht nächtliche Ausgangssperren kommen. In den Schulen soll es irgendwie weiter gehen (oder auch nicht) – ins Detail kann der Landesvater nach nur vier Tagen Bedenkzeit selbstverständlich nicht gehen. Währenddessen meldet die Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) schon mal an, das man aber auf keinen Fall auf die Abschlussprüfungen in der herkömmlichen Form verzichten kann. Weiterhin sollen die Unternehmen freundlich „gebeten“ werden, Homeoffice zu ermöglichen – ein Konzept, das sich in den letzten Monaten als maximal unwirksam erwiesen hat, weil seltsamerweise viele Unternehmen freundliche Bitten ganz einfach ignorieren. Und die ganze Brücke soll gehen, „bis ein erheblicher Teil der Bevölkerung geimpft ist“ – also quasi bis ans andere Ende des Regenbogens. Mein Rechtskundelehrer, der politisch so schwarz war, dass er nach Selbstauskunft noch im Kohlenkeller einen Schatten warf, hätte dazu gesagt: „Unbestimmter Rechtsbegriff. Setzen, Laschet, das müssen Sie noch nacharbeiten.“
TWIX-Prinzip
Außerdem will er sich jetzt noch ganz schnell mit der Kanzlerin und seinen Kolleginnen und Kollegen treffen, um seinen revolutionären Vorschlag auf den Weg zu bringen. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Der CDU-Parteivorsitzende, in dessen Corona-„Expertenrat“ zwar jede Menge Wirtschaftsvertreterinnen und sogar zwei Marktforscherinnen und Marktforscher berufen wurden, jedoch nur ein einziger, nicht unumstrittener Virologe, keine Gewerkschafterin, Gewerkschafter und keine Eltern- oder Schüler:innenvertretung, will vor allem sich selbst ins Gespräch und damit zur Kanzlerkandidatur der Union bringen. Dafür ist es natürlich immer hilfreich, nach dem TWIX-Prinzip olle Kamelle in neues Glitzerpapier zu wickeln und damit Schlagzeilen zu produzieren.
Wenn ich das richtig analysiere, sieht Laschets Plan so aus: Die Arbeiterin aus dem Großraumbüro fährt nach der Spätschicht im voll besetzten Bus nach Hause. Das darf sie, nein, muss sie auch im „Brückenlockdown“. Zuhause angekommen darf sie aber nicht mal mehr zu Fuß um den Block laufen, um sich den Stress und Lärm aus den Knochen zu schütteln. Und am Wochenende darf sie sich mit ihren zwei Kolleginnen, mit denen sie eng zusammenarbeitet, auch nicht zum Kaffee treffen. Dafür darf sie vor der Frühschicht ihrem Abiturienten von Sohn schnell noch ein paar Stullen schmieren, weil die Mensa ja zu ist. Und weil sie weder 79 Jahre alt noch Lehrerin ist und auch nicht chronisch krank, muss sich die Frau darauf einstellen, am Sankt-Nimmerleins-Tag ihre Erstimpfung zu erhalten. Chapeau! Da hat sich ja jemand wirklich mal Gedanken gemacht!
Vielleicht sollte Laschet sich einmal ein paar andere Expertinnen und Experten zur Beratung suchen. Ich empfehle die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die das #NoCovid-Konzept entwickelt haben oder, noch radikaler, die #ZeroCovid-Initiative. Dazu jemand von der Landeseltern- und der Schüler:innenvertretung, ein paar Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der verschiedenen Fachrichtungen, jemand aus einem Gesundheitsamt, eine Informatikerin vom Chaos Computer Club und eine Fachfrau für gelingende Kommunikation – nein, keine Meinungsforscherinnen, Meinungsforscher, Werbestrateginnen und Werbestrategen, sondern jemand, die ihm klarmacht, dass man auch schlechte Nachrichten ehrlich kommunizieren sollte, weil sonst die besten Absichten im Chaos widersprüchlicher Informationsbruchstücke zerrieben werden.
Aktuelle Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen einen härteren Lockdown akzeptieren würden. In Gesprächen am Gartenzaun erfahre ich aber auch, dass immer mehr Leute wirklich den Kaffee auf haben von den ewigen Jo-Jo-Maßnahmen, die sich immer auf Freizeit und Privatleben konzentrieren und die Ansteckungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz komplett ausblenden. Und kein Mensch versteht, warum Urlaubsflieger von Düsseldorf Menschen nach Mallorca bringen, aber der Campingplatz an der Ostsee tabu sein soll und die Madrider nicht auf die spanischen Inseln dürfen. Die Landesregierung hat immer noch keine Strategie, die Schließungen und Verhaltensregeln mit massenhaften Tests und beschleunigten Impfungen so kombiniert, dass daraus für die einzelnen Menschen ein überwiegend in sich logisches, verständliches Konzept wird, das ihnen vermittelt: Alle Verantwortlichen tun alles, um weitere Todesfälle und Langzeitfolgen von COVID-19 zu verhindern und dir deine Freiheit so schnell wie möglich wiederzugeben. Ob Armin Laschet mit seinem Brückendingsda seine angeschlagenen Popularitätswerte wieder steigern kann? Ich bezweifle es, ohne es zu bedauern.
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