Solche offenen Worte ist man nicht gewohnt aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Im Mai drang ein Brief des KSK-Kommandeurs Markus Kreitmayr an die Öffentlichkeit, in dem er Soldaten, die mit Rechten sympathisieren, droht: „Sie verdienen unsere Kameradschaft nicht! Sie gehören nicht zu uns! Sie sollten aus eigenem Antrieb unseren Verband und die Bundeswehr verlassen! Tun sie es nicht, werden Sie feststellen, dass wir Sie finden und entfernen werden!“
Anfang Juni folgte ein weiterer Einblick in das KSK: In einem 12-seitigen Brief an Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) berichtet ein Hauptmann, im KSK herrsche ein „Kadavergehorsam“, rechtsextreme Umtriebe innerhalb des KSK würden „kollektiv ignoriert oder gar toleriert“.
Das KSK – das Kommando Spezialkräfte – ist die geheimste Einheit der Bundeswehr. Seine Aufgabe ist es, in Auslandseinsätzen Kommandoaktionen wie beispielsweise Geiselbefreiungen durchzuführen. In Afghanistan war das KSK an gezielten Tötungsaktionen beteiligt und hat Zielpersonen für sogenannte Todeslisten geliefert.
Ein KSK-Soldat spielte vermutlich eine zentrale Rolle bei der Folter von Murat Kurnaz. Kurnaz wurde 2001 in Pakistan festgenommen, nach mehrjähriger Folterhaft in Guantanamo konnte ihm kein Verbrechen nachgewiesen werden. Er hat angegeben, in einem Gefangenenlager im afghanischen Kandahar von KSK-Angehörigen gefoltert worden zu sein. Die Vorwürfe wurden nicht ernst genommen, der beschuldigte KSK-Soldat konnte Karriere machen. Erst im Mai dieses Jahres wurde er wegen seiner Nähe zur Identitären Bewegung vom Dienst suspendiert.
Die Einsätze des KSK werden geheim gehalten, selbst Abgeordnete werden nicht informiert. KSK-Angehörige sind mitunter 20 Jahre Teil des KSK, das abgeschirmt in Calw stationiert ist. Kampfeinsätze in Extremsituationen und seltene Rotation der Soldaten begünstigen die Pflege eines enormen Korpsgeistes. Das zieht extreme Rechte an und verhindert die transparente Aufklärung von Verdachtsfällen.
Dass sich ein KSK-Kommandeur so offen positioniert und seine Äußerungen zudem noch an die Öffentlichkeit dringen, heißt eines: Die Krise im KSK ist groß. Der Anlass: Am 13. Mai hat die Polizei in Nordsachsen in einem Garten unter anderem Patronen für Gewehre und Pistolen, zwei Kilogramm des Sprengstoffs PETN, NS-Devotionalien und ein Maschinengewehr ausgegraben. Gefunden wurde das Kriegsarsenal auf dem Privatgrundstück von Philipp S. Er ist seit 20 Jahren beim KSK, bekannt unter dem Spitznamen „Schäfchen“. Als Oberstabsfeldwebel hat er als unmittelbare Führungsperson erheblichen Einfluss auf Unteroffiziere, Mannschaften und junge Soldaten.
Besonders pikant: Philipp S. ist in Sachen Rechtsextremismus kein Unbekannter. Auf der Abschiedsfeier seines Kompaniechefs zeigte er den Hitlergruß. Es wurde Musik einer rechtsextremen Band gespielt und Schweineköpfe geworfen. Ans Tageslicht kamen die rechtsextremen Feiervorlieben der KSK-Soldaten durch die Aussagen einer anwesenden Zeugin. Seitdem wird Philipp S. vom militärischen Geheimdienst – dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) – als Verdachtsperson beobachtet. Bis zu dem Waffenfund will der MAD aber nichts von Philipp S.‘s Umtrieben gemerkt haben.
Dass die Bundeswehr ein Problem mit extremen Rechten hat, ist nicht neu. Dass das KSK in besonderem Maße betroffen ist, auch nicht. Im Januar gab der MAD bekannt, dass er zu dem Zeitpunkt gegen 550 Soldaten wegen rechtsextremer Verdachtsfälle ermittelte. Allein 20 davon in dem mit 1.000 Soldaten relativ kleinen KSK.
Vor einigen Jahren vollzog sich ein gesamtgesellschaftlicher Rechtsruck. Die AfD erstarkte, gestützt durch die Mobilisierungen auf der Straße von Pegida und Co. Gespeist von der rassistischen Ideologie des „Bevölkerungsaustauschs“, hetzen AfD, Pegida und Co. gegen Flüchtlinge und Migranten. In diesem Klima entstanden auch rechtsextreme Chatgruppen wie das Prepper-Netzwerk „Nordkreuz“. Dessen Mitglieder haben Leichensäcke bestellt, Todeslisten mit sogenannten Feindesnamen aufgestellt. Sie haben Waffen und Munition gehortet, um für einen Tag X vorbereitet zu sein. Die Chatgruppe wurde von einem KSK-Soldaten verwaltet. Bundeswehroffizier Franco A. plante, als syrischer Flüchtling getarnt, Terroranschläge. Spätestens seit 2017 wird immer deutlicher, dass solche Aktivitäten nicht von Einzelpersonen kommen können, sondern dass es Verbindungen zwischen ihnen geben muss.
Der Terror von Hanau, Halle und Christchurch haben einen breiten antirassistischen und antifaschistischen Widerstand hervorgerufen. Der Gegendruck schränkt die Mobilisierungsfähigkeit der Rechten ein. Der parlamentarische Arm des rechten Terrors, die AfD, ist derzeit in der Krise. Die offenen Worte des KSK-Kommandeurs wurden von allen Parteien begrüßt – auch denen, die bislang beharrlich an der Mär der „Einzelfälle“ festhielten. Auch ob der „neuen alarmierenden Qualität“ des Falls Philipp S. sieht sich die Bundesregierung nun unter Zugzwang.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer setzte in Reaktion auf den Fall eine Arbeitsgruppe ein. Diese soll der Frage nachgehen, ob es strukturelle Gründe gibt, die Rechtsextremismus im KSK begünstigen. Außerdem wird dem Bundestag demnächst ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der raschere Verfahren bei Dienstpflichtverletzungen vorsieht. Mit dem neuen Gesetz können Soldaten, die bis zu acht Jahren im Dienst sind, ohne gerichtliches Disziplinarverfahren entlassen werden.
Die Verhaftung von Philipp S. und die Disziplinarmaßnahmen gegen ihn sind zu begrüßen. Sie können aber nur der Anfang sein. Eine geheimniskrämerische Eliteeinheit, die abgeschirmt stationiert ist und freie Hand bei Einsätzen hat, ist ein Nährboden, auf dem sich faschistisches Gedankengut entwickeln kann. Die einzig konsequente Bearbeitung des Problems hieße: Auflösung des KSK.
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