Im Mittelmeer wird das Recht umschifft

Frontex überwacht nicht nur die EU-Außengrenzen, sondern auch einen großen „Grenzvorbereich“ zu dem auch Hoheitsgewässer und die Rettungszone Libyens gehören. Werden dort Flüchtlingsboote entdeckt und an die sogenannte libysche Küstenwache gemeldet, ist dies ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates.

Behörden in Libyen sollen noch in diesem Monat mit dem europäischen Überwachungssystem EUROSUR vernetzt werden. Der Anschluss erfolgt über das Netzwerk mit dem putzig klingenden Namen „Seepferdchen Mittelmeer“, das von Sicherheitsbehörden der EU-Mittelmeeranrainer Italien, Malta, Griechenland, Zypern, Frankreich, Spanien und Portugal errichtet worden ist. Solche regionalen Kommunikationssysteme existieren auch für das Schwarze Meer, die Ostsee und den Atlantik. Zusammen bilden sie den gemeinsamen Europäischen Informationsraum, zu dem auch EUROSUR gehört.

Politisch ist dies äußerst problematisch, denn die militärische Küstenwache in Libyen erhielte über „Seepferdchen Mittelmeer“ die Koordinaten von Flüchtlingsbooten. Das Ziel ist klar: Die Libyer sollen die Boote abfangen und die Geflüchteten nach Libyen zurückbringen, auch wenn diese bereits außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer unterwegs waren. Diese Praxis nimmt stark zu, in manchen Monaten „retten“ libysche Militärs in über der Hälfte aller verzeichneten Einsätze.

Für private Seenotrettung unerreichbar

Dabei existierte die libysche Seenotrettungszone jahrelang nur auf dem Papier und ist erst seit diesem Jahr von der Regierung in Tripolis offiziell ausgerufen worden. Für die Betreuung dieser SAR-Zone fehlt eine ordentliche Seenotrettungsleitstelle mit Personal, das stets erreichbar ist, englisch spricht und über ausreichend Rettungsmittel verfügt. Eine solche Rettungsleitstelle wird gerade von Italien errichtet, die Europäische Kommission unterstützt das Projekt aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika mit 42 Millionen Euro. Bis zur Fertigstellung in 2020 wird die Arbeit der Seenotrettungsleitstelle von einem Lagezentrum in Tripolis übernommen. Für private Seenotrettungsorganisationen sind die dortigen Behörden jedoch meist unerreichbar.

Die enge Zusammenarbeit mit italienischen und anderen europäischen Behörden legitimiert die brutale libysche Truppe, die für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten berüchtigt ist. Das Vorhaben ist aber aus meiner Sicht auch rechtswidrig: EUROSUR steht ausschließlich den Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen. Durch die Hintertür wird jetzt Libyen angeschlossen. Das soll in Zukunft legal werden, indem die EUROSUR-Verordnung hinsichtlich der Weitergabe von sensiblen Informationen durch Mitgliedstaaten an Drittstaaten überarbeitet wird.

Verordnungen werden geändert

Auch die Grenzagentur Frontex verlangt jetzt grünes Licht zur Weitergabe von Koordinaten von Flüchtlingsbooten an das libysche Militär. Frontex ist unter anderem zuständig für die Überwachung des „Grenzvorbereichs“ im Mittelmeer. Gemeint ist eine 500 Quadratkilometer große Zone, die Häfen nordafrikanischer Länder sowie dort liegende Schiffe, die für Überfahrten genutzt werden könnten.

Vor der Weitergabe von Informationen durch EU-Agenturen oder militärische Missionen an Drittstaaten müsste zuerst auch die Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache geändert werden. Die EU-Kommission hat hierzu einen Vorschlag unterbreitet, der beide Verordnungen (EUROSUR und Europäische Grenz- und Küstenwache) in einem einzigen Regelwerk zusammenfasst. Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten nimmt darin viel Raum ein.

Vor einer Kooperation mit Staaten wie Libyen müsste auch die EU-Seeaußengrenzenverordnung neu bestimmt werden. Sie regelt beispielsweise, wohin gerettete Personen ausgeschifft werden. Unzweifelhaft ist Libyen nämlich kein sicherer Hafen, europäische Schiffe dürfen Geflüchtete deshalb nicht dort von Bord gehen lassen.

Keine Menschenrechte im „Grenzvorbereich“?

In der Süddeutschen Zeitung hat die Völkerrechtlerin Roya Sangi einen wichtigen Kommentar zur Rechtslage auf dem Mittelmeer verfasst. Wenn nämlich Italien und Libyen zur Überwachung des Mittelmeers kooperieren und die sogenannte libysche Küstenwache zum Türsteher der Festung Europa wird, die beiden Länder also gemeinsame Sache machen, muss sich Italien das Handeln der libyschen Küstenwache von Rechts wegen zurechnen lassen.

Sangi vertritt die Auffassung, dass eine europäische Grenzkontrolle de facto bereits im oben beschriebenen „Grenzvorbereich“ erfolgt. Von Rechts wegen gelte dies nämlich auch dann, wenn ein Staat „jenseits seiner Grenzen im Einvernehmen mit einem anderen Völkerrechtssubjekt staatliche Kontrolle ausübt“. Auch wenn Italien nur Informationen zur Durchführung von „Rettungen“ liefert und die Geretteten dann nach Libyen anstatt in einen sicheren Hafen verbracht werden, ist hier die Europäische Menschenrechtskonvention einschlägig. Sie verbietet es den Vertragsstaaten, Schutzsuchenden den Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet zu verweigern.

Aus meiner Sicht gilt das Zurückweisungsverbot genauso für Operationen von Frontex sowie die Militärmission EUNAVFOR MED, an denen auch die Bundespolizei und die Bundeswehr beteiligt sind. Mit einem Unterschied: Italien und die anderen EU-Mitgliedstaaten sind an die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates gebunden. Die Europäische Union hat diese noch immer nicht unterzeichnet.

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