Humanität statt Abschottung: Lager auflösen, Geflüchtete menschenwürdig unterbringen

Moria, das steht für das Versagen der Europäischen Union. Um die 10.000 Menschen leben in dem Camp, das eigentlich für 3.500 ausgelegt ist unter menschenunwürdigen Bedingungen. Knapp die Hälfte sind Kinder und Jugendliche. Und Moria steht für das Wegschauen: In unregelmäßigen Abständen gibt es kurze mediale Beachtung, wenn der alltägliche Horror nochmal auf die Spitze getrieben wird, wie vor kurzem durch den gewaltsamen Tod eines minderjährigen Geflüchteten.

Jenseits dieser kurzen Aufmerksamkeitsfenster ist die Anwesenheit des Leids an der europäischen Außengrenze aber zu einer erschreckenden Normalität geworden, die wir nicht länger hinnehmen dürfen. Gemeinsam mit meinem Fraktionskollegen Michel Brandt war ich deshalb Anfang September auf Lesbos und in Athen, um uns ein eigenes Bild der Lebensbedingungen von Geflüchteten in den so genannten Hotspots der EU zu machen.

Das Versagen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten

Auf Betreiben der EU Kommission wurden im März 2016 fünf „Hotspots“ in Griechenland eingerichtet. Sollten sie eigentlich nur für die Registrierung von in Griechenland ankommenden schutzsuchenden Menschen dienen, hat dieses Konzept die Inseln in der Ost-Ägäis faktisch zu Gefängnissen gemacht. An der Registrierung hapert es. Vor allem aber fehlende Verteilungsmechanismen auf andere EU-Staaten verhindern, dass die Menschen die Inseln verlassen können – teilweise harren sie hier bis zu zwei Jahre aus und warten auf die Entscheidung anderer, ob sie weiter aufs europäische Festland dürfen oder abgeschoben werden.

Die Zustände in den Lagern, insbesondere in Moria, sind katastrophal: Es gibt keinen Platz, es gibt keine Privatsphäre, es gibt keine Schutzräume. Es gibt Stacheldraht und Steinböden, Kinder spielen mit Plastikmüll, weil sie sonst nichts haben. Pro Person stehen in etwa vier Quadratmeter zur Verfügung – das schließt sanitäre Einrichtungen und die Büros der Behörden im Lager mit ein. Zwei Duschen müssen bis 25 bis 40 Personen reichen. Für ganz Moria, für zehntausend Menschen sind zwei Medizinerinnen und zwei Pflegekräfte verantwortlich. Vor dem Hintergrund tausender Menschen, die verletzt und traumatisiert die Insel Lesbos erreichen, ist das unterlassene Hilfeleistung der Verantwortlichen, in erster Linie der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Ärzte ohne Grenzen berichtet davon, dass Menschen die körperlich gesund ihre Flucht überstanden haben, dann durch die Bedingungen im Lager krank werden.

Solidarität statt Stacheldraht

Für einen Rest Humanität sorgen einzig NGOs vor Ort und Geflüchtete selbst, die sich organisieren. Mit Projekten wie „Connect by Music“ oder die „School of Hope“ die wir besuchen konnten, schaffen sie Alternativen zum tristen Camp-Alltag. Auch die mangelhafte medizinische Versorgung versuchen Organisationen zu kompensieren: Light without Borders nimmt zum Beispiel Augenuntersuchungen vor und vergibt Brillen, wenn nötig. Dass das gemeinsame Leben auf Lesbos anders gestaltet werden kann, zeigt das selbstorganisierte „Pikpa“ Camp, in dem etwa hundert Schutzsuchende leben und hier medizinische Versorgung ebenso wie Hilfe zur Integration bekommen – ohne trennenden Stacheldraht wie in Moria.

Hotspots auflösen, „Rückführungen“ in die Türkei stoppen

Ein zentraler Grund für die katastrophalen Zustände in den Lagern ist der EU-Türkei-Deal. Seit Bestehen des Deals wird das sichere Drittstaatenkonzept auf die Türkei angewendet. Danach sollen in Griechenland ankommende Geflüchtete, insbesondere aus Syrien, wieder zurück in die Türkei abgeschoben werden. Davon abgesehen, dass die Türkei selbst für etliche Menschen mitnichten Sicherheit bietet, droht vielen Geflüchteten die weitere Abschiebung ins Kriegsland Syrien. Der Bundesregierung scheint das egal zu sein: Merkel begrüßte vor kurzem im Gespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis diese „Rückführungspraxis“ in die Türkei.

Die EU-Hotspots sind mit europäischem Recht und den Menschenrechten nicht vereinbar. Deshalb fordern wir grundsätzlich die Auflösung der Hotspots. Der EU-Türklei-Deal muss aufgekündigt werden, es darf keine Abschiebungen in die Türkei geben. Wir brauchen menschenwürdige Alternativen: eine dezentrale Unterbringung nach einem Mechanismus, der die Perspektive geflüchteter Menschen selbst einbezieht, sowie eine schnelle Familienzusammenführung ohne Obergrenzen und bürokratische Schikanen. Die EU muss sich auf ein Relocation-Programm einigen, das heißt auf die Übernahme der Geflüchteten aus Griechenland durch andere Mitgliedstaaten. In einem solidarischen Europa müssen wir die Verantwortung teilen. Es kann keine Lösung sein, die Menschen in Griechenland von einem „Moria“ in ein anderes Camp mit ebenso schlechten Bedingungen zu schieben. Ein erster Schritt muss sein, Kinder aus Moria heraus zu holen – insbesondere unbegleitete minderjährige Geflüchtete.

Schutz vor Gewalt überall

Für die Bundesregierung endet die Handlungsverantwortung aber nicht bei der Aufnahme von Menschen aus Griechenland – und sie fängt dort auch nicht an. Sowohl in Bezug auf die Situation bereits hier lebender als auch neu ankommender Schutzsuchender gibt es eine lange Liste, die es abzuarbeiten gelte. Insbesondere um die Situation von geflüchteten Frauen zu verbessern, denn rund ein Drittel der geflüchteten Menschen, die nach Deutschland kommen, sind Mädchen und Frauen. Ein Großteil dieser Frauen erlebt sexualisierte Gewalt als ständige Begleitung und hat bereits im Herkunftsland und auf der Flucht Gewalt erfahren. In Deutschland angekommen, setzt sich die Gewalterfahrung als Kontinuum durch unsichere Sammelunterkünfte mit nicht abschließbaren Schlafräumen oder Sanitäranalagen und fehlenden Präventions- und Interventionskonzepten fort.

Hinzu kommt, dass geflüchtete Frauen über keinen gesonderten Schutzstatus verfügen und ihnen nicht der gleiche Schutz gewährleistet wird, wie anderen gewaltbetroffenen Frauen, was ihnen u.a. einen diskriminierungsfreien Zugang zu Frauenhäusern und dem Beratungssystem unmöglich macht. Anstatt von häuslicher Gewalt betroffenen geflüchteten Frauen einen eigenen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen, wird ihnen oft nur ein Aufenthaltstitel aus „familiären Gründen“ zugewiesen, der es verhindert, sich aus der partnerschaftlichen Gewalt zu befreien. Hinzu kommen Residenzpflichten, die sie in den jeweiligen Gewaltszenarien gefangen halten.

Ein erster dringend notwendiger Schritt zur Unterstützung dieser Frauen und ihrer Kinder muss deshalb die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention, des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, sein – und das ohne Vorbehalt. Darüber hinaus müssen geschlechtsspezifische Fluchtursachen von Behörden und Gerichten anerkannt und Opfer darauf hingewiesen werden. Keine Frau, die in ihrem Herkunftsland von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht ist, darf abgeschoben werden!


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Eine Antwort

  1. um die situation in den hotspots zu verbessern,ist eine vernünftige und verbindlich europäische flüchtlingspolitik nötig-man könnte die spanischen enklaven,melilla und ceuta einbinden und zu einreise centern umfunktionieren-dort könnte man die menschen auch besser überprüfen und auf die europäischen gepflogenheit vorbereiten-und durch eine sichere überfahrt bräuchte man keine menschenleben mehr zu betrauern und sie auf aufnahmebereite länder verteilen-und die nichtbereiten mitgliedsländer,müssten sich an den unterbrngungskosten beteiligen-

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