Frauen ohne Wohnung – ein unsichtbares Drama

Man sieht es ihr in der Regel nicht an. Sie ist sauber gekleidet, schaut sich die Schaufenster des Kaufhauses an oder sitzt auf einer Parkbank und betrachtet ihre Umgebung. Oder sie fährt in der Straßenbahn, im Bus, hat eine Handtasche dabei, eventuell eine Plastiktüte unter den Sitz geschoben. Wohnungslose Frauen entsprechen meistens nicht dem Klischee. Und selten machen sie „Platte“, schlafen also unter freiem Himmel, sie versuchen so lang wie möglich irgendwo unterzukommen. Denn auch wenn sie nahezu alles verloren haben – Partner, Wohnung, Arbeit, Kinder – an einem halten sie solange es geht fest: An ihrer Würde.

Die Unsichtbarkeit ihrer Lebenslage ist einerseits ihr Schutz – und gleichzeitig ein großes Problem: Die Politik hat wenig Informationen und nimmt weibliche Wohnungs- und Obdachlosigkeit selten in den Blick. Ein Forschungsprojekt soll nun zwar bessere Daten liefern – im Frühjahr 2019 sollen die Ergebnisse vorliegen. Darüber informierte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von mir. Doch benötigt es wirklich erst exakte Daten um Betroffenen unmittelbar und wirksam zu helfen?


Hauptursachen von Wohnungslosigkeit: Armut, Wohnungsnot, hohe Mieten, Trennung vom Partner

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat schon seit langem Empfehlungen abgegeben, die konkret umsetzbar wären. Sie zeigen die komplexen Problemlagen von Betroffenen auf und benennen das Leben nach dem traditionellen Familienbild als eine der Ursachen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bei Frauen.Hinzu kommen knapper Wohnraum, zu hohe Mieten, Armut, Hartz 4. DIE LINKE weist seit Jahren darauf hin, dass vor allem Menschen in prekären Lebenslagen überproportional von Wohnungsnot betroffen sind – ein zerstörerischer, menschenunwürdiger Kreislauf. Dennoch prallen alle Vorschläge und Forderungen, diesen Zustand endlich wirksam zu bekämpfen, an den Regierungen ab. Stattdessen fallen weiterhin tausende Wohnungen Jahr für Jahr aus den Sozialbindungen. Bei Frauen mit Migrationshintergrund kommen zudem Sprachbarrieren und nicht anerkannte Schulabschlüsse hinzu, die den Abschluss eines Mietvertrags fast unmöglich machen.

Wenn in Deutschland von Wohnungsnot die Rede ist, geht es in Berichterstattungen aber auch bei der Wohnungspolitik vieler Parteien und deren Forderunge meistens um jene, die beim Jobwechsel oder bei der Aufnahme eines Studiums keine geeignete Bleibe in der neuen Stadt finden. Oder um werdende Eltern, die sich auf der Suche nach einer größeren Wohnung mit Wuchermieten konfrontiert sehen. Oder um Ältere, die alleinstehend sind und wegen der hohen Mieten nicht in eine kleinere Wohnung ziehen können. Obdachlose und Wohnungslose Menschen scheinen da gar nicht mehr von Interesse zu seinUnd ob die Notangebote für wohnungslose Frauen, mit ihrem speziellem Bedarf, ausreichend sind, gut genug finanziert und psychosozial und durch Sozialarbeiterinnen sozial richtig betreut, weiß die Bundesregierung überhaupt nicht. Es ist ein im Wortsinne wirkliches Armutszeugnis.

Leider gibt es auch viel zu wenige konkrete Hilfen. Dabei ist praktische Unterstützung machbar. Ein gutes Beispiel: Die Sozialarbeiterin Andrea Hniopek von der Caritas in Hamburg initiierte in Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften ein Projekt für zehn obdachlose Frauen. Sie wohnen nun in jeweils einem kleinen Container und erhalten gleichzeitig Beratung und Unterstützung durch Studierende.

Wohnungs- und Obdachlosigkeit müssen dringend geschlechtsspezifisch gedacht werden

Warum muss Wohnungs- und Obdachlosigkeit dringend geschlechtsspezifisch betrachtet werden? Spezielle Angebote für betroffene Frauen gibt es, wie leider auch für Männer, viel zu wenige. Auch an Einrichtungen für Paaren mangelt es. Weil Frauen oft bei mehr oder weniger guten Bekannten unterkommen, sind sie auch besonders schutzwürdig. Denn ihre Not wird nicht selten ausgenutzt. Erfahrungen von Sozialarbeiter*innen zu Folge sind sie häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen. Vor allem traumatisierte Frauen benötigen Räume ohne männliche Präsenz, um zur Ruhe zu kommen.

Die Bundesregierung redet sich in ihren Antworten auf meine Anfrage damit raus, sie würde einen präventiven Ansatz verfolgen. Ihre wohnungsbaupolitischen Initiativen, die unzureichende medizinische Betreuung für obdach- und wohnungslose Menschen und das Hartz 4 Regime sprechen aber eine andere Sprache.

Die ca. 100.000 akut betroffenen Frauen brauchen Hilfe im Hier und Jetzt.

Nicht selten sind Mütter betroffen. Für sie bedeutet jeder Tag, den sie nicht mit ihren Kindern zusammen leben können, eine weitere extreme Belastung. Denn selbst in den wenigen staatlich finanzierten Einrichtungen, in denen sie ein dauerhaftes Obdach finden, gibt es keine Möglichkeiten für Kontakt und Zeit mit ihren Kindern. Ein zentrales Problem ist die schlechte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Die BAG Wohnungslosenhilfe schlägt zwar ein ganzes Paket von Maßnahmen vor: subventionierte Arbeitsangebote mit individueller Begleitung, Zusammenarbeit mit psychosozialen Beratungsstellen und Lernerfahrungen in sanktionsfreier Atmosphäre, Aufbau und Bereitstellung von Frauennetzwerken um Praktikumsplätze zu erschließen und um einen Sozialraum-, Stadtteilbezug herzustellen – um nur einige zu nennen.  Ideen gibt es viele, sie müssen aber in Angriff genommen werden.

Ein Beispiel wie es ginge zeigt Finnland

Juha Kaakinen, Leiter der finnischen NGO Y-Foundation berichtet in einem Zeit-Online Interview vom 01.03.18: „Wir haben das Prinzip umgedreht: Normalerweise müssen Obdachlose erst ihr Leben auf die Reihe kriegen, um wieder eine eigene Wohnung zu bekommen. Wir machen das andersherum. Wir geben ihnen eine dauerhafte Wohnung, damit sie ihr übriges Leben wieder in den Griff kriegen können. Seit 2008 gibt es das Housing-First-Programm in den zehn größten Städten in Finnland. Wir sprechen Obdachlose auf der Straße an, in den Heimen, bei Treffen mit Sozialarbeitern“.

Diese Maßnahme zeigt Erfolg, enn in FInnland gibt es faktisch keine Straßenobdachlosigkeit mehr. Das wurde durch ein entsprechendes Regierungshandeln in enger Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen erreicht.

Hierzulande fehlt bisher der politische Wille der Großen Koalition. Das eigentlich vorhandene Geld wird nicht richtig verteilt. Es bleibt somit leider auf absehbare Zeit ein sozialpolitisches Drama, dass auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Jetzt, wo die kalte Jahreszeit vor der Tür steht, beginnt eine weitere Stufe des Leidens – für alle Menschen ohne Obdach, ohne eigene vier Wände. „Die dritte Haut“, wie eine Wohnung oft genannt wird, ist ein lebensnotwendiger Schutz für alle Menschen. Wohnen ist ein Grundrecht und müsste in einer menschlichen Gesellschaft in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden.

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