NATO und EU simulieren Kämpfe im Cyberraum

Sogenannte hybride Bedrohungen dienen als Sammelbegriff, um gegen Globalisierungskritik, Migration und angeblich aus Russland gesteuerte Desinformation vorzugehen.

Vom 19. bis 23. November 2018 veranstaltet die Europäische Union zum zweiten Mal die Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer“. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage eingereicht, die vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) beantwortet wurde. Demnach werden wie im vergangenen Jahr als Übungslage Institutionen der EU und der NATO sowie deren Mitgliedstaaten „durch Cyberattacken angegriffen“. Angenommen wird außerdem, dass im Übungszeitraum „mehrfach Terroranschläge verübt“ werden und viele Geflüchtete nach Europa kommen. Es gibt deshalb eine Mission der im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), wobei es sich vermutlich um ein virtuelles Pendant zur Militärmission EUNAVFOR MED im Mittelmeer handelt.

Die Kooperation mit der NATO ist diesmal noch enger, im vergangenen Jahr bezog man sich in parallelen Übungen aufeinander, nun wird gemeinsam gecybert. Das Hauptquartier der Übung liegt am NATO-Stützpunkt und Hauptquartier der „Balkan Battlegroup“ Larissa auf dem Festland in Griechenland. Dieses Jahr sollen die EU-Mitgliedstaaten „wesentlich stärker“ in die Übung involviert werden. „Angriffe“ erfolgen deshalb dieses Mal vorwiegend auf nationale Institutionen. In der Übung soll dann der „EU-Mechanismus für die gemeinsame politische Reaktion auf Krisen“ ausgelöst werden, der eine solidarische Unterstützung durch aller 28 Mitgliedstaaten vorsieht. Dies bedeutet den Einsatz auch militärischer Mittel.

Störungen aus Afrika und Russland

Die der Übung zugrundeliegenden außenpolitischen Konflikte liegen teilweise in Afrika (fiktive nordafrikanische Staaten „Ropperta“, „Kronen“ und „Loripa“). Dort kommt es zu einer „Krise mit terroristischen und Gesundheitselementen“ sowie einer „konsularischen Krise“ im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eines der Szenarien bezieht sich auf „maritime Ereignisse“, genannt wird ein „Ansteigen von Migration“. Dabei geht es laut dem Auswärtigen Amt angeblich nicht um „Massenmigration“ von Asylsuchenden. Das Wording erinnert jedoch an die EU-Militärmission im Mittelmeer, die de facto geflüchtete abschreckt und bekämpft, auf dem Papier jedoch zur „Schleuserbekämpfung“ eingesetzt ist. Als Akteure treten wie im letzten Jahr die „globale terroristische Vereinigung NEXSTA“ (Newborn Extremist State) sowie die an Russland angelehnte Hackergruppen „Advanced Persistence Threat“ (APT) „Manticore“ und „Chimera“ auf.

Die vorgesehenen Szenarien sollen die Europäische Union auf einen autoritären Kurs einschwören. In „Hybrid Exercise Multilayer“ werden als sogenannte hybride Bedrohungen angenommen: Phising-Mails und Cyberangriffe auf IT-Systeme der EU-Institutionen, Falschmeldungen, Angriffe auf kritische Infrastrukturen (in diesem Jahr „Gas“ und „Gesundheit“), Migration, außerdem die Kampagne eines globalisierungskritischen Netzwerks (das im letzten Jahr „Antiglobalisierungsgruppe“ hieß und dieses Jahr als „internationale Bewegung Anti-Western Group“, AWG bezeichnet wird). Die Rede ist auch von einer „chemischbiologisch-radiologisch-nuklearen Bedrohung“, was wohl auf dem Skripal-Fall vom März dieses Jahres in Salisbury beruht.

Angriffe in den Bereichen Energie und Gesundheit

Wir wollten die Vorschläge für die geplanten „Ereignisse“ wissen, ausweichend antwortet das BMVg, „einzelne EU-Mitgliedstaaten“ hätten dazu „bevorzugte Bereiche wie z.B. Energie oder Gesundheit konkret angefragt“. Als Angriffsziele werden Gas-Infrastrukturen angenommen. Unklar ist, ob es sich um Pipelines aus Russland handeln soll oder um Flüssiggas-Häfen für Gas aus den USA. Im gleichen Absatz ist jedoch auch von „Infrastruktur von Häfen“ die Rede. Schließlich werden auch Reaktionen auf Cyberangriffe gegen europäische „Aufklärungs- und Überwachungsmittel“ geprobt. Gemeint sind wohl die Überwachungssatelliten des EU-Satellitenzentrums in Torrejón/ Spanien, das laut dem BMVg in „Hybrid Exercise Multilayer“ eingebunden ist.

In der Krisenmanagementübung sollen auch Angriffe mit „Desinformation“ erfolgen. Dies wird nicht etwa von zivilen Strukturen beantwortet, indem etwa die zuständigen Ministerien mit Pressemitteilungen reagieren. Stattdessen sollen die Verteidigungsministerien aktiv werden, was an den Fall der angeblichen NATO-Desinformation in Litauen erinnert. Damals hatte die NATO den SPIEGEL für einen Gefälligkeitsartikel gewonnen, der von einer „Fake-News-Kampagne“ gegen die Bundeswehr schrieb und ohne jeden Beleg Russland als Urheber behauptet. Diese „Kampagne“ hat es aber nie gegeben, ein Unbekannter hatte lediglich eine einzige Mail versendet. Der SPIEGEL hat die Geschichte jedoch nie korrigiert, sondern nur die Überschrift geändert.

Übung befördert Militarisierung der Außenpolitik

In der Übung werden Verschwörungstheorien rechter Regierungen zu einem gefährlichen Mix verarbeitet. „Hybrid Exercise Multilayer“ trägt beispielsweise die Handschrift des antisemitischen Viktor Orbán, wenn die EU plötzlich von einer internationalen Antiglobalisierungsgruppe bedroht sein soll. Die vermeintliche Gefährdung von Gas-Infrastrukturen soll das Narrativ stärken, Europa sei zu abhängig von Russland und müsse deshalb Flüssiggas aus den USA importieren. Schließlich wird völlig ausgeblendet, dass auch europäische Regierungen mit Desinformation arbeiten, um missliebige Politik zu denunzieren.

Mehrere deutsche Ministerien und deren Behörden sind an dem Manöver gegen „Cyberakteure“ beteiligt: Das Bundesministerium des Innern, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium (dort vermutlich die Auswertezentrale „Elektronische Kampfführung“ und das Kommando „Cyber- und Informationsraum“). Zu den Szenarien zu „Energie“ nimmt außerdem das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die Bundesnetzagentur teil.

Ich kritisiere an „Hybrid Exercise Multilayer“ besonders die Beteiligung des Militärs und der damit verbundenen Militarisierung der Außenpolitik. Sogar wenn die angenommenen Szenarien Realität würden, wären sie politisch und diplomatisch lösbar. Ich plädiere deshalb für eine Entspannungspolitik gegenüber Russland und eine solidarische Nachbarschaftspolitik in Afrika. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit Geflüchteten und linker Globalisierungskritik. Die Bundesregierung muss deshalb ihre Zusage zur Beteiligung an der Krisenmanagementübung insbesondere mit der Bundeswehr zurückziehen.

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