20 Jahre Guantanamo – Symbol für Menschenrechtsverletzungen

Anketten, Schlafentzug, Isolationshaft, Abschirmen der Sinnesorgane (sensorische Deprivation), was zu Persönlichkeitsveränderungen und psychischen Schäden führen kann. Schläge, Verschmieren von Flüssigkeit und Exkrementen im Gesicht, schwere körperliche und seelische Misshandlungen. Waterboarding, bei dem der Eindruck des Ertränkens erzeugt wird. Nahrungs- und Schlafentzug, unterirdische Haft in totaler Dunkelheit über mehrere Wochen, sexualisierte Gewalt. Drohungen, die Mutter oder Schwester eines Gefangenen in ein Männer-Gefängnis zu sperren, wo sie Massenvergewaltigungen ausgesetzt wäre.

Nein, das ist kein reißerischer Hollywood-Streifen, sondern Realität. Es ist, was Hunderte von Gefangenen in Guantanamo erdulden mussten. Nicht alle haben überlebt, einige sind an den Folgen gestorben, andere haben sich umgebracht. Allein im Jahr 2003 haben 120 Guantanamo-Häftlinge versucht, Suizid zu begehen. Betroffen von den Demütigungen und Misshandlungen, die inzwischen auch von beteiligten US-Militärs zugegeben werden, waren auch Minderjährige.

20 Jahre später hat US-Präsident Joseph Biden zwar versprochen, das Symbol für Menschenrechtsverletzungen, Folter, Misshandlungen und die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, das mitten auf kubanischem Territorium errichtet wurde, zu schließen. Aber verstanden wurde offensichtlich wenig: zu Beginn der Corona-Pandemie wollte Ex-Präsident Donald Trump Infizierte zur Quarantäne auf den Marinestützpunkt schicken. Und im September vergangenen Jahres plante die Biden-Administration, haitianische Migranten dort zu internieren. Die US-amerikanische Einwanderungs- und Zollbehörde suchte per Ausschreibung Firmen für den Ausbau des in Guantanamo lokalisierten „Migrant Operations Center“ (MOC). Die dortigen Plätze sollten von 120 auf 400 erweitert werden. Schon in den 90er Jahren hatte Washington dort Haitianer inhaftiert.

Allein der Gedanke, Menschen an diesen mit unzähligen grausamen Geschichten und Erinnerungen behafteten Ort zu schicken, den Kuba zurückfordert und den Pachtvertrag von 1903 als ungültig ansieht, erscheint völlig absurd. Seit 2002, infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem von Washington und seinen Verbündeten ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“  wurde der im Süden der Guantanamo-Bucht, etwa 15 Kilometer südlich der Stadt Guantanamo gelegene US-Stützpunkt Guantanamo (Gitmo) um ein Internierungslager, das so genannte Camp X-Ray, erweitert und dort über die Jahre 779 Menschen eingesperrt. Verschleppt wurden sie aus aller Welt – auch unter deutscher Beteiligung. Viele von ihnen waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, andere haben nur unter Folter gestanden, womit ihre Aussagen wertlos und möglicherweise unwahr sind.

Aktuell befinden sich noch 39 Menschen in dem Internierungslager auf Guantanamo. Ihnen werden keine Rechte als Kriegsgefangene oder zivile Gefangene zugestanden. Stattdessen bezeichnet man sie als „ungesetzliche Kämpfer“ (unlawful combatants) – eine Einstufung, die mit Völkerrecht und Menschenrechten nicht vereinbar ist. Ein Rechtsanwalt und Besuche werden ihnen verweigert. Ohne Anklage werden sie teils für viele Jahre inhaftiert – unter ihnen auch solche, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Mit solchen Methoden kann man nicht für „westliche Werte“ streiten. Man verliert jegliche Glaubwürdigkeit. Nichts und niemand kann die Verschleppung von fast 800 Menschen nach Guantanamo legitimieren – auch nicht die unbestreitbare Gefährlichkeit einiger Insassen und von ihnen begangene Verbrechen. Es ist so unfassbar wie wahr: Der Rechtsstaat hört an der Schwelle nach Guantanamo auf zu existieren.

Am 11. Januar hat sich das Bestehen des Internierungslagers Guantanamo zum zwanzigsten Mal gejährt. Und zwar hat Joseph Biden bereits einen Häftling entlassen und die Freilassung weiterer fünf Insassen angekündigt. Zugleich aber plant das US-Militär dort für 4 Millionen US-Dollar den Bau eines neuen Gerichtssaals, dessen Architektur nicht vorsieht, dass etwa Journalistinnen und Journalisten an den Prozessen teilnehmen können. Auch der deutsche Konzern Siemens hat vor zwei Jahren einen Großauftrag über 829 Millionen Euro angenommen. Dabei ging es um „Energieprojekte“ auch im Folterknast selbst. Anders als zu Zeiten der Obama-Administration, die ebenfalls trotz eines eindeutigen Versprechens Gitmo in acht Jahren nicht geschlossen hat, wurde unter Biden kein Sondergesandter für die Schließung des Lagers eingesetzt. Der Kongress, der schon Obama Steine in den Weg gelegt hat, verfährt während Bidens Amtszeit ebenso. Dabei haben die Anwälte der Gefangenen in Guantanamo längst darauf hingewiesen, dass spätestens mit dem US-Abzug aus Afghanistan, also der „Einstellung aktiver Feindseligkeiten“ gemäß der Genfer Konvention die Haftbefugnis, sollte es eine solche je gegeben haben, ungültig ist.

All diejenigen, die an der Verschleppung und dem Festhalten der Insassen von Guantanamo beteiligt sind und waren, tragen Verantwortung, dass das Lager endlich Geschichte wird. Dazu zählt auch die Bundesregierung. Murat Kurnaz, der eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland besaß, gibt nicht nur an, vor seiner Verschleppung nach Guantanamo vom KSK in Afghanistan verhört und misshandelt worden zu sein, womit er kein Einzelfall ist. Es ist auch der Bundesregierung anzulasten, dass er nicht bereits 2002, sondern erst vier Jahre später freigelassen wurde. Denn die US-Amerikaner, denen schnell klar wurde, dass sie den falschen hatten, traten an die Bundesregierung heran, um seine Rückkehr nach Deutschland zu organisieren. Aber dort wollte man ihn nicht. Er sei seiner Pflicht nicht nachgekommen, seine Aufenthaltsgenehmigung nach mehr als sechs Monaten im Ausland zu verlängern (!) erdreisteten sich deutsche Behörden. Der damalige Chef des Bundeskanzleramts und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und alle anderen Beteiligten sind den Betroffenen ein Eingeständnis ihrer Schuld und Entschädigungen schuldig. Auch Strafverfahren müssen geprüft werden. Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung sich bis heute vor allem durch lautes Schweigen hervortut. Auch anlässlich des 20. Jahrestags Guantanamos war von Außenministerin Baerbock nichts zu vernehmen, während tagtäglich eine Konfrontation mit Russland und China geschürt wird. Da wird deutlich, dass die „wertebasierte“ Außenpolitik vor allem eine Politik der Doppelstandards ist.

Der US-Kongress argumentiert mit einem tatsächlichen Hindernis, um seinen Unwillen, das Problem Guantanamo zu lösen, überdecken soll: zahlreiche Staaten weigern sich, ihre Staatsbürger oder mit einer Aufenthaltsgenehmigung Ausgestatteten wieder zurückzunehmen – teilweise, weil sie fürchten, sich Extremisten ins Land zu holen. Wohin also sollen die Häftlinge? Die Bunderegierung hat drei Personen aufgenommen und meint, damit ihre „humanitäre Verpflichtung“ erfüllt zu haben. Als Beteiligte oder mindestens mit Schweigen Unterstützende des Guantanamo-Verbrechens könnte sie durchaus „großzügiger“ sein. Völlig klar ist indes, dass die Gefangenen im besten Fall dorthin zurückgebracht werden müssen, von wo man sie verschleppt hat – in ihre Heimat- oder damaligen Residenzländer. Ist dies nicht möglich, sind in erster Linie diejenigen zuständig, die sie verschleppt haben, also insbesondere die USA. Diese müssten natürlich garantieren, dass die Betroffenen, sofern sie unschuldig sind, freikommen, oder aber in reguläre Gefängnisse verlegt werden, in denen sie selbstverständlich nicht gefoltert werden dürfen, und ihnen ein den rechtsstaatlichen Standards entsprechender Prozess gemacht wird. Als letzte Möglichkeit kommen für die Durchführung von Prozessen der Internationale Strafgerichtshof oder ein Sondertribunal in Frage. Das Problem, wo die dann möglicherweise Freigesprochenen leben sollen, löst dies allerdings nicht. Auch hier stehen die USA in der Pflicht, ein sicheres Aufnahmeland zu finden.

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