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Einsteigen, Umsteigen, Aufsteigen

Eine sozial-ökologische Mobilitätswende ist unerlässlich für mehr Klimagerechtigkeit.

Die Mobilitätswende ist ein entscheidender Faktor, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren und damit die notwendige Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 zu erreichen. In Zahlen ausgedrückt werden in der EU jährlich fast 900 Millionen Tonnen CO2 durch die Verbrennung von Kraftstoffen im Straßenverkehr ausgestoßen. Den allergrößten Teil verursacht hierbei der privat genutzte PKW. Der Straßenverkehr ist insgesamt für 26 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes in der EU verantwortlich. Tendenz steigend, denn seit 1990 ist dieser Anteil um zehn Prozent gestiegen. Aus diesen wenigen Zahlen (Statistisches Bundesamt, 2021) wird deutlich, dass insgesamt der verursachte Straßenverkehr massiv reduziert werden muss.

Die Forderung nach einer Reduktion von Straßenverkehr führt aber seit jeher zu heftigen Debatten zwischen der Autolobby und der Klimabewegung. Zwei Fronten stehen sich hier gegenüber. Auch in der Linken wird bis heute in dieser Frage um die richtige Antwort gerungen. Kaum ein Parkplatz oder eine Straße kann zurückgebaut werden zugunsten von Radwegen oder Bäumen – ohne Proteste und Unterschriftenaktionen angrenzender Bewohner:innen und Unternehmen. Gleichzeitig sind in Städten wie Stuttgart, als Standort von Daimler, Porsche, Bosch, Mahle und vieler anderer Zulieferer, viele Arbeitsplätze mit der Automobilindustrie verbunden.

Klar ist auch, dass die hoch gesteckten Klimaziele nur im Gleichgewicht von ökologischen und sozialen Maßnahmen erreicht werden können. Arbeiter:innen am Fließband oder in der Pflege müssen sich die Klimawende auch leisten können. Das bedeutet, dass allen Menschen weiterhin uneingeschränkte Mobilität ermöglicht werden muss. Es darf nicht vom Geldbeutel, vom Alter oder vom Wohnort in der Stadt oder auf dem Land abhängen, ob man gut und günstig mobil ist. Die Existenzgrundlage der Beschäftigten muss durch gut bezahlte Arbeitsplätze weiterhin gesichert werden.

Im Koalitionsvertrag der Ampel wird eine Verkehrs- oder Mobilitätswende mit keinem Wort erwähnt. Für die Ampel beschränkt sich die Verkehrspolitik auf eine Antriebswende. Die FDP hat sich durchgesetzt. Millionen von Autos mit Verbrennermotor sollen durch weitere 15 Millionen E-Autos ergänzt werden. Wer jetzt schon ein zweites Auto besitzt, kann sich zukünftig ein drittes subventioniertes E-Auto hinzukaufen. Das ist ganz im Sinne der Autokonzerne, die damit ihren Gewinn noch weiter steigern. Bereits jetzt werden Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut, Standorte geschlossen oder meist in osteuropäische Länder verlagert.

Denjenigen, die auf eine Beteiligung der Grünen an einer Bundesregierung gehofft haben – damit es bei der Mobilitätswende vorangeht – sei ein Blick nach Baden-Württemberg empfohlen. Ministerpräsident Kretschmann und sein grüner Verkehrsminister Herrmann lassen sich kaum eine Präsentation von Edelkarossen bei Daimler und Porsche entgehen, in Stuttgart herrscht weiterhin die schlechteste Luft in Europa, die Privatisierung des Bahnbetriebes wird vorangetrieben und die Preise im Nahverkehr steigen weiterhin konstant an: Von einer Wende kaum eine Spur.

Für eine linke, sozial-ökologische Mobilitätswende ist ein Systemwechsel in drei Bereichen notwendig: erstens in der Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, zweitens bei der Finanzierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und drittens in der Automobilwirtschaft. Das Programm der Partei DIE LINKE bietet hier schon sehr gute Ansätze. In Publikationen der letzten Monate und Jahre haben linke Verkehrsexpert:innen wie Sabine Leidig und Winnie Wolf wichtige Lösungsansätze erarbeitet und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind wissenschaftliche Studien zur Frage einer sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft entstanden. Diese Ansätze gilt es in die politische Praxis der LINKEN umzusetzen.

Lebenswerte Städte

In den 1960er Jahren wurden deutsche Städte nach der Vision von renommierten Stadtplaner:innen zu autofreundlichen Städten weiterentwickelt. Die Vorstellung, sich mit dem Automobil frei und grenzenlos fortbewegen zu können, hat dazu geführt, dass verschiedene Funktionen in der Stadt getrennt wurden. An einem Ende der Stadt wohnen und leben, in der Mitte Einkauf und Dienstleistungen, am Rand Gewerbe und Freizeit. Jeder dieser Orte wurde mit Parkplätzen ausgestattet, Straßen dazwischen wurden asphaltiert und alle konnten mit dem eigenen Auto vom Wohnort zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren und wieder zurück. Diese „Freiheit“ hat zu einer absoluten Fehlentwicklung geführt.

Die Menge an Autos hat in den letzten Jahrzehnten so sehr zugenommen, dass sie ständig im Stau stehen, Parkplätze fehlen und der Platz insgesamt für Menschen, Bäume, Radverkehr, Bus und Bahn im öffentlichen Raum fehlt. Die Fläche für Verkehr ist in vielen Städten oft genauso groß wie die Fläche, die wir zum Wohnen haben. Es entstehen weiterhin Einfamilienhäuser am Stadtrand, bezahlbare Wohnungen in Innenstädten werden zu Büros umgebaut, stehen leer und die Mietpreise steigen. Von Seiten der Ampelkoalition gibt es hierzu ebenfalls kaum ein Wort. Kommunen werden mit diesen Problemen meist sich selbst überlassen.

Um eine Abkehr dieser Entwicklung hinzubekommen, müssen Städte und Gemeinden in Zukunft umgebaut werden zu Städten der kurzen Wege. Alle notwendigen Dinge des Lebens sollten in wenigen Minuten erreicht werden. Fünf Minuten zu Fuß, zehn Minuten mit dem Rad und 15 Minuten mit Bus oder Straßenbahn. Die Funktionstrennung in der Stadt muss aufgehoben werden. Wohnen, arbeiten, einkaufen rücken zusammen. Innenstädte werden zu autofreien Zonen umgebaut, lebenswert mit mehr Platz für Kinder und ältere Menschen. Fahrspuren werden für den Rad- und Busverkehr umgewidmet. Wo heute geparkt wird, können zukünftig Menschen wohnen, neue Grünflächen, Spielplätze oder Parks entstehen. Ein solcher Umbau kostet Geld und es muss deutlich mehr investiert werden.

Kostenloser Nahverkehr

Der öffentliche Nahverkehr bildet das Rückgrat einer sozial-ökologischen Mobilitätswende. Bundesweit gibt es ganz verschiedene Verkehrsverbünde, die es mit Bussen, Straßenbahnen, U- und S-Bahnen allen Menschen ermöglichen, mobil zu sein. Qualität, Preis und Ausbaugrad variieren von Ort zu Ort stark. Meist ist das von der finanziellen Situation der jeweiligen Kommune abhängig. Umso ländlicher eine Gemeinde, umso länger müssen Menschen auf einen Bus warten – falls überhaupt einer fährt. In Städten hingegen steigen die Preise für den Nahverkehr kontinuierlich an, Busse und Bahnen sind überfüllt, veraltet und werden mit Diesel betankt. Zusätzlich fehlt das Personal zum Fahren und Warten der Fahrzeuge. Mitverantwortlich für diese Situation sind die letzten Bundesregierungen und viele grünkonservative Landesregierungen, die sich aus der Finanzierung des ÖPNV weitestgehend zurückgezogen haben.

Die Finanzierung des ÖPNV muss langfristig gesichert werden, damit eine Mobilitätswende überhaupt erst möglich wird. Dazu gibt es ebenfalls keine Ideen und Konzepte von Seiten der Ampelkoalition. Das Angebot muss zum Erreichen der Klimaneutralität massiv ausgebaut werden, vor allem in ländlichen Regionen. Sonst ist ein Umstieg vom privaten Auto hin zum ÖPNV kaum möglich. Die Preise für Tickets im öffentlichen Nahverkehr müssen stark sinken, kurzfristig für maximal 1 Euro am Tag, langfristig hin zu einem kostenlosen Nahverkehr. Und es muss mehr Personal ausgebildet und eingestellt werden, welches besser bezahlt wird.

Ein einfaches Einsteigen und Umsteigen in Bus und Bahn und ein Aufsteigen beim Lohn fürs Personal ist nur möglich mit deutlich mehr Investitionen. Diese dürfen jedoch nicht über immer weiter steigende Ticketpreise finanziert werden. Es braucht eine alternative Finanzierung des ÖPNV. Hier wurden in den letzten Jahren unter Beteiligung der LINKEN in den Landesregierungen von Berlin und Bremen verschiedene Modelle untersucht. Bremen will im nächsten Jahr schon mit der Umsetzung für einen kostenlosen Nahverkehr beginnen.

Die Finanzierung des ÖPNV muss sozial gestaltet sein. Eine Umverteilung ist notwendig. Unternehmen, Grundbesitzer:innen, Vermögende müssen bei der Finanzierung als Nutznießer des ÖPNV herangezogen werden. Unternehmen profitieren vom ÖPNV, wenn ihre Mitarbeiter:innen und Kund:innen mit dem Bus anfahren, Grundbesitzer:innen profitieren von höheren Grundstückspreisen bei einer guten ÖPNV-Anbindung und Vermögende haben die Verantwortung, sich an der Finanzierung der Klima- und Mobilitätswende mit einer ordentlichen Vermögenssteuer zu beteiligen. Kleine und mittlere Einkommen müssen entlastet werden, gerade auch bei den Kosten der Mobilität. Entsprechend lehnen wir die von den Grünen oft geforderte City-Maut oder sonstige zusätzliche pauschale Belastungen bei der Preisen für Autofahrer:innen ab. Solche Modelle sind unsozial, belasten kleine Einkommen und konterkarieren letztlich eine sozial-ökologische Mobilitätswende.

Klimafreundliche Arbeitsplätze

Viele Menschen in Städten wie Stuttgart, die von der Automobilindustrie geprägt sind, sorgen sich um ihre Arbeitsplätze bei einer konsequent umgesetzten Mobilitätswende. In verschiedenen Studien wird vorgerechnet, dass bis zum Jahr 2035 bis zu 50 Prozent der privat genutzten Autos weniger auf Straßen fahren dürfen, um das Ziel der Klimaneutralität erreichen zu können. Es sollen nur noch halb so viele Autos auf unseren Straßen fahren und das ganz unabhängig von der jeweiligen Antriebstechnik. Vor dieser Realität verschließen neben der FDP und SPD auch die Grünen die Augen. Ihr Lösungsvorschlag ist – ganz zur Freude der Automobilunternehmen –, die jetzigen Verbrennermotoren in PKWs durch Elektromotoren auszutauschen. Für die E-Mobilität plant die Ampelkoalition Milliardeninvestitionen und Subventionen in den nächsten Jahren.

Die bloße Konzentration auf eine Wende bei der Antriebstechnik, hin zur E-Mobilität führt zwar zu hohen Gewinnen bei Automobilunternehmen, sichert aber keineswegs die Arbeitsplätze der Beschäftigten. Für ein E-Auto braucht es in der Produktion viel weniger Beschäftigte. Zulieferer sind besonders hart betroffen, aber auch bei den großen Automobilfirmen werden Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut. Städte wie Stuttgart könnten zu einem neuen Detroit werden. Dies gilt es zu verhindern. Die Lösung hierfür liegt auch auf dem Tisch, indem die Automobilindustrie hin zu einer sozial-ökologischen Mobilitätsindustrie transformiert wird. Daran hat die Ampelkoalition im Schulterschluss mit der Kapitalseite der Automobilunternehmen bisher aber kein Interesse. Hier sind Gewerkschaften und Klimabewegungen gleichermaßen gefragt, den nötigen Druck zu erzeugen.

Dem Klima ist mit einer Entwicklung wie von der Ampel vorgesehen nicht geholfen, denn der notwendige Stadtumbau und ein Ausbau des ÖPNV wie in diesem Text beschrieben wird nicht gelingen. Eine Klimaneutralität rückt damit in weite Ferne. In einer aktuellen Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Titel „Spurwechsel – Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion“ wird vorgerechnet, dass mit einer klimagerechten Mobilitätswende viele neue und zusätzliche industrielle Jobs entstehen können.

Wenn wir den Umstieg zu mehr Bus, Bahn, Fern- und Güterverkehr auf der Schiene schaffen, dann eröffnet sich laut Studie ein großes wirtschaftliches Potenzial. Es braucht mehr S-Bahnen, Regional- und Fernzüge, E-Bussysteme, E-Oberleitungen, neue Leitsysteme, Schienen, Werkstätten, Lastenräder und E-Bikes. Es wird deutlich, dass eine Mobilitätswende, die soziale und ökologische Aspekte gleichermaßen umsetzt, weiterhin viele Arbeitskräfte und Personal braucht. Die Studie hat konkret berechnet, dass auch bei einer Halbierung der Automobilproduktion und bei einer gleichzeitig steigenden Fahrgastzahl im Nah- und Fernverkehr über 400.000 neue Arbeitsplätze entstehen können. Ein Großteil davon weiterhin als unentbehrliche Industriearbeitsplätze.

Fazit

Eine soziale und ökologische Mobilitätswende ist möglich. Die Ampelkoalition weist hier sehr viele Lücken auf. DIE LINKE sollte ihre Rolle als Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments nutzen und in diese Lücke vorstoßen. Langfristig werden die Hoffnungen in die Grünen in der Bundesregierung verpuffen. Das haben wir in Baden-Württemberg erlebt. Es ist unsere Aufgabe als LINKE, an der Seite der Beschäftigten der Automobilindustrie und an der Seite der Klimabewegungen zu stehen für eine sozial und ökologische Mobilitätswende.

Hier findet ihr unser Interview mit Bernd Riexinger zu seinem Buch „System Change – Plädoyer für einen linken Green New Deal“:

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