Dassault Mirage 2000, die in Mali eingesetzt wird. By Bobdenard57, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 3.0.

Mali: Sehenden Auges in die Eskalation

In den frühen Morgenstunden des 25. Juni wurde ein von Bundeswehr-Soldaten im Norden Malis errichtetes provisorisches Nachtlager von einem Selbstmordattentäter angegriffen. Die Soldaten hatten zuvor im Rahmen der UN-Mission MINUSMA eine Kompanie der malischen Streitkräfte in Richtung Kidal im Norden des Landes begleitet. Bei dem Anschlag wurden 12 Soldaten verletzt, drei davon schwer. Das mit Sprengstoff beladene Auto des Attentäters kam nur kurz vor einem Tankfahrzeug der Bundeswehr zum Halten.

Der Anschlag ist eine Zäsur für die Bundeswehr in Mali, doch er kommt keineswegs überraschend: Seit Jahren verschlechtert sich die Sicherheitslage, immer häufiger werden internationale und nationale Streitkräfte Ziel von Angriffen. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/DIE GRÜNEN bis zur CDU sind sich darüber einig, dass sich Deutschland militärisch in Mali engagieren muss. Es wird behauptet: Der UN-Einsatz sei notwendig, um das Friedensabkommen zu sichern. Die Bundeswehr schaffe „Stabilität“ durch die Ausbildung von nationalen Streitkräften. Damit wird seit 2012 die stetige Ausweitung der Militäreinsätze in der Region gerechtfertigt.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Seit Beginn der Militäreinsätze in der Region hat sich die Sicherheitslage massiv verschlechtert. Der Anschlag ist auch das Ergebnis der verfehlten Sahel-Politik der Bundesregierung. Der Anschlag führte einer breiten Öffentlichkeit vor Augen: Deutschland führt Krieg in der Sahel-Region.

Je robuster ein Einsatz, desto stärker die Gegenwehr

Seit acht Jahren ist die Bundeswehr an der UN-Mission MINUSMA und der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali beteiligt. Mit bis zu 1.700 Soldat*innen handelt es sich derzeit um den größten Bundeswehr-Einsatz. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich kündigte an, die Anti-Terror-Operation Barkhane bis 2022 schrittweise zu beenden. Ein Ende des blutigen „Kriegs gegen den Terror“ in der Sahel-Region ist jedoch nicht in Sicht.

Der MINUSMA-Einsatz gilt als der gefährlichste UN-Einsatz überhaupt, bereits 245 Soldaten sind gestorben. Meistens trifft es Soldaten afrikanischer Truppensteller oder malische Soldaten. Mit dem Selbstmordanschlag auf die Bundeswehr wurde der Ruf nach Kampfdrohnen für die Bundeswehr wieder laut. Die verteidigungspolitische Sprecherin der SPD, Siemtje Möller, sagte: „Es wird deutlich, in welch gefährliche Einsätze wir unsere Soldatinnen und Soldaten entsenden.“ Die Erkenntnisse aus Mali müssten „einfließen in die Entscheidungsfindung der Partei“. Das Argument, Kampfdrohnen böten Soldaten Schutz, ist jedoch ein Mythos. Der Anschlag auf das Bundeswehr-Camp hätte mit Kampfdrohnen nicht verhindert werden können. Eine mit Kampfdrohnen ausgestattete Bundeswehr würde noch tiefer in den Krieg gezogen werden. Denn wie in Afghanistan zeigt sich auch in Mali: Je robuster der Einsatz, desto stärker die Gegenwehr.

Aus Afghanistan wissen wir, dass der der Anstieg des Einsatzes von Sprengfallen gegen NATO-Truppen einherging mit der Ausweitung des Operationsgebietes der NATO-Truppen. Recherchen zeigen, dass Sprengfallen (Improvised Explosive Devices, IEDs) eine zunehmende Gefahr in Mali, aber auch in Niger und Burkina Faso darstellen. Insbesondere in den letzten Monaten haben Anschläge auf die malischen Sicherheitskräfte mithilfe von IEDs zugenommen – im Januar 2021 ereigneten sich so viele Anschläge wie zuletzt 2018. Das Verteidigungsministerium bestätigt, dass auch in Mali eine technische Weiterentwicklung von Sprengfallen zu beobachten ist. So habe sich die Sprengladung von Sprengfallen verdoppelt. Ein ehemaliger Kampfmittelbeseitiger berichtet im MDR über einen Know-how-Transfer: „Die Aufständischen probieren sich aus, sie lernen dazu, verwenden mehr oder andere Sprengmittel.“

Die Nichtregierungsorganisation ACLED sammelt Daten über Konflikte weltweit. In der Sahel-Region beobachtet sie, dass dschihadistische Gruppen wie der sog. „Islamische Staat“ oder die Al-Qaida-nahe Gruppe „Jamaat Nusrat Al Islam wal Muslimin“ (JNIM) ihr Operationsgebiet ausweiten, um dem Druck, den ausländische Militärakteure durch Militärschläge auf sie ausüben, auszuweichen.

Krieg ist Terror

Die Armeen Malis, Nigers und Burkina Fasos, die immer stärker in den „Krieg gegen den Terror“ eingebunden sind, tragen zur Eskalation der Gewaltspirale bei. Im Jahr 2020 wurden insgesamt mindestens 2.400 Zivilist*innen in Mali, Burkina Faso und Niger getötet – dabei wurden mehr Zivilist*innen von staatlichen Sicherheitskräften als von anderen bewaffneten Gruppen umgebracht.  Mitverantwortlich für diese Gemengelange ist auch die Bundesregierung. Denn die Bundeswehr bildet das malische Militär und die nigrischen Spezialkräfte für den Kampfeinsatz aus.

Das Vorgehen der französischen Operation Barkhane zeigt, dass Krieg auch Terror ist: Französische Kampfflugzeuge bombardierten Anfang Januar eine Hochzeitsgesellschaft, 22 Zivilisten starben. Dies belegt eine Untersuchung von MINUSMA, die dort durchgeführt wurde. Die französische Regierung wischte den Bericht vom Tisch und weist jede Schuld von sich. Die mangelnde Aufarbeitung von Kriegsverbrechen nährt die Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung. Davon profitieren dschihadistische Gruppen und Milizen, die so weiter Kämpfer rekrutieren können.

Ein Frieden, der keiner ist

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) behauptet im Interview mit dem Deutschlandfunk nach dem Anschlag auf die Bundeswehr-Soldaten, dass die deutsche Militärpräsenz wichtig für den „Versöhnungsprozess“ und für die Stabilität des Landes sei. Der sogenannte Friedensprozess ist jedoch mehr Konfliktursache als Lösung und der Fokus auf den Anti-Terror-Kampf behindert Friedensverhandlungen unter Einbeziehung aller Akteure.

Die UN-Mission MINUSMA hat den Auftrag, die Umsetzung des auf großen Druck der internationalen Gemeinschaft 2015 geschlossenen Friedensabkommens zu unterstützen. Die Bundeswehr ist an dem Einsatz mit 1.100 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Doch die Bilanz ist negativ: Den Frieden, den es zu schützen gilt, gibt es nicht. Das Friedensabkommen, das von MINUSMA umgesetzt werden soll, schafft neue Konflikte. Die Zahl der bewaffneten Gruppen und ihre Rekrutierungsfähigkeit steigen weiter. Die Mali-Expertin Charlotte Wiedemann fasst zusammen: „Der offizielle Friedensprozess für Nordmali hat nicht zur Entmachtung der bewaffneten Gruppen geführt, sondern zur Vervielfachung von Milizen. Die Grenzen zwischen Bündnispartnern, Dschihadisten und Großkriminellen sind fließend. In Zentralmali vermischt sich unterdessen Dschihadismus mit sozialer Revolte.“

In den letzten Jahren wurden viele lokale Waffenstillstandsabkommen zwischen aufständischen und dschihadistischen Gruppen und lokalen Autoritäten verhandelt. In beschränktem Maße ermöglichen sie so die Wiederaufnahme von gesellschaftlichem Leben. In Mali und auch im benachbarten Burkina Faso macht sich zunehmend die Einsicht breit, dass Gespräche mit allen Konfliktparteien notwendig sind, um die Gewaltspirale zu beenden. Von Frankreich kommt jedoch Gegenwind: „Kein Dialog, kein Kompromiss“, sagte Frankreichs Präsident und wiederholt damit seine Ablehnung gegen jede Verhandlung mit malischen dschihadistischen Aufständischen. Auch die Bundesregierung schloss sich dieser Position an und verhindert damit ein Ende der Konfrontation.

Stabilität, aber nicht im Sinne der Malier*innen

Frankreich erklärte Ende Juni das Ende der Anti-Terror-Operation Barkhane. Das bedeutet jedoch nicht das Ende des katastrophalen „Kriegs gegen den Terror“ in der Sahel-Region. Der französische Präsident Macron will damit auch vorantreiben, womit er seit Monaten nicht vorankam: Die Last der Einsätze auf mehrere Schultern verteilen. Der Anti-Terror-Kampf soll künftig verstärkt unter dem Dach der sogenannten Task Force Takuba, einer europäischen Spezialeinheit, die gemeinsam mit Spezialkräften der G5-Sahelstaaten operiert, stattfinden. Das Hauptquartier wird in den Niger verlegt, der französische Präsident strebt eine militärische Präsenz in ganz Westafrika an. Die Umgestaltung von Barkhane ist auch eine Reaktion auf den Widerstand gegen den Militäreinsatz. Der Sahel-Einsatz, bei dem bereits 50 Soldat*innen umgekommen sind, ist in Frankreich zunehmend unbeliebt. Auch in Mali wird der Protest gegen die französische Militärpräsenz und Einflussnahme immer lauter.

Mit der Ankündigung reagierte Frankreich auch auf den zweiten Militärputsch in Mali innerhalb eines Jahres. Der Putsch ist Ausdruck der Konflikte innerhalb der malischen politischen Klasse und des Militärs. Obwohl der Anführer des Putsches und jetzige Präsident Assimi Goita von Anfang an seine Bereitschaft erklärte, mit der internationalen Gemeinschaft und den Militäreinsätzen zu kooperieren, unterstreicht der Militärputsch das Scheitern des militärischen Ansatzes Frankreichs und seiner Verbündeten.

Anstatt eine Bilanz der desaströsen Einsätze zu ziehen, fordert Kramp-Karrenbauer eine „Kursbestimmung“ und eine Debatte über realistische Ziele der internationalen Einsätze. Im Interview mit N-TV betont Kramp-Karrenbauer: „(…) wenn wir und die anderen Nationen aus der Region rausgehen, wer sorgt dann für Stabilität?“ Eines ist klar: Frankreich, der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS und der Bundesregierung geht es nicht um Stabilität im Sinne der Malier*innen. Ihnen geht es nicht darum, einen Prozess zu unterstützen, der die friedenspolitischen und demokratischen Interessen der Malier stärkt. Sie verfolgen eine eigene Agenda: Sie wollen eine ihnen genehme Regierung, die die Militäreinsätze im Land duldet und sich in die europäischen Migrationsabwehr einspannen lässt. Der Selbstmordanschlag auf die Bundeswehr macht deutlich: Deutschland ist Teil des Krieges in der Sahel-Region. Die Bundesregierung muss endlich die Konsequenz aus dem Mali-Desaster ziehen: Militärinterventionen bringen keine Sicherheit und keine Demokratie, von außen diktierte Friedensabkommen bringen keinen Frieden. Für die Menschen vor Ort bedeutet der Krieg in Mali und der Sahel-Region anhaltende Armut, Vertreibung und Gefahr für Leib und Leben. Die Logik des Anti-Terror-Kampfes und der dauerhaften Militäreinsätze schafft mehr Gewalt und verkleinert die Spielräume für gesellschaftlichen Widerstand und lokale Friedensbemühungen von unten. Die Bundeswehr muss sofort abgezogen werden.

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