Alle Muslime werden unter Generalverdacht gestellt - Quelle: Karsten

Linke Forderungen im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus

Kurz nach dem terroristischen Anschlag in Hanau gab Innenminister Seehofer die Einrichtung eines „Expertenkreises zu Muslimfeindlichkeit“ bekannt . Nicht wenige sahen in dieser Bekanntgabe einen wichtigen Schritt, endlich politische Antworten auf einen sich seit Jahrzehnten immer sichtbarer werdenden antimuslimischen Rassismus zu formulieren.

Abgesehen davon, dass eine tatsächliche Zusammenkunft dieses Kreises noch aussteht, sollten wir uns vorsehen, allzu große Hoffnungen auf staatliches Handeln gegen antimuslimischen Rassismus zu setzen. Vielmehr ist es im dringend notwendigen Kampf gegen antimuslimischen Rassismus unabdingbar, staatliches Handeln selbst auf tief eingeschriebene rassistische Muster zu untersuchen, diese Muster klar zu benennen und den Staat mitsamt all seinen Institutionen zur Verantwortung zu ziehen.


So sind die mittlerweile lautbar gewordenen politischen Forderungen nach staatlichen Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus, wie die Einrichtung von unabhängigen Polizeibeschwerdestellen oder die Schaffung von breit angelegten Förderprogammen für anti-rassistische Bildungsangebote, zwar konkrete, womöglich auch gut umsetzbare Vorschläge. Sie werden jedoch wirkungslos bleiben, solange nicht gleichzeitig und konsequent die verdeckten, die kaschierten rassistischen Mechanismen staatlichen Handelns in Bezug auf Islam und Muslima und Muslime in Deutschland adressiert werden.

Antimuslimischer Rassismus unter dem Mantel von Terrorabwehr

Denn antimuslimische Ressentiments werden durch staatliche Institutionen vor allem über Umwege kommuniziert und gerechtfertigt. Antimuslimischer Rassismus erfährt besonders häufig eine Legitimierung und sogar Verharmlosung durch die ständige Beschwörung des Bedrohungsszenario eines sogenannten islamistischen Terrorismus.

An drei kurzen Beispielen können wir uns diese verdeckten Rassismen vor Augen führen: Erinnern wir uns zu erst an die Geschehnisse zum Ende des Ramadan 2019 in Köln: Zum Anlass der Feierlichkeiten des islamischen Festtages in traditionelle Gewänder gekleidete, arabischsprechende Männer of colour wollten einen Zug im Kölner Hauptbahnhof erreichen und wurden ohne ersichtlichen Grund von zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizistinnen und Polizistenfestgehalten und auf dem Boden fixiert, anschließend wurden sie von Mitarbeitern des Staatsschutzes überprüft und befragt . Das ist racial profiling. Der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob wies jegliche Rassismusvorwürfe jedoch zurück mit der Aussage, die Polizei reagiere lediglich „mit der erforderlichen Konsequenz auf Situationen, die Menschen Angst machen und den Anschein erwecken, dass erhebliche Gefahren drohen“ . Nicht ein antimuslimisch rassistischer Wahrnehmungsfilter, mittels welchem lange, als fremd wahrgenommene Gewänder und arabische Worte automatisch mit Gefahr assoziert werden, ist laut Kölner Polizei also das Problem, sondern die scheinbar berechtigte Angst beim Anblick von Muslimen.

Verharmlosung im Aktionsplan gegen Rassismus

Wir finden ähnliche Verharmlosungen und Relativierungen auch im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus der Bundesregierung aus dem Jahr 2017. Im Abschnitt über „Islam- und Muslimfeindlichkeit“ – der Begriff des antimuslimischen Rassismus wird dort grundsätzlich ignoriert – ist verzeichnet, dass es „allerdings […] auch auf menschenrechtlicher Basis durchgeführte innerreligiös-kritische sowie aufklärerisch-religionskritische Diskurse, die den Schutz der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Weltanschauungsfreiheit genießen“ gäbe und diese von Rassismus klar zu unterscheiden sein . In keinem anderen Abschnitt, beispielsweise über Antisemitismus, Antitziganismus oder anti-schwarzen Rassismus lassen sich ähnliche Relativierungen und Einschränkungen finden. Deutlich wird so, dass für antimuslimischen Rassismus laut NAP nicht die rassismustheoretische Prämisse zu gelten scheint, nach der durch den Rassismus erst die rassialisierten Objekte produziert werden – Rassismen also nie als Sicht auf tatsächliche Menschen missverstanden werden sollten. Der Bundesregierung hingegen ist es wichtiger zu betonen, dass Missstände in den muslimischen communities kritiserbar sein müssten, ohne als Islamfeindlichkeit verstanden zu werden – sie hält so die Tür für rassistische Argumentationen im Zuge von ewigen Integrationsdebatten unter ohnehin falschen Vorzeichen weit offen.

Rassismus als Legitimation für staatliches Handeln

Auch als Begründung für staatliches Handeln wird der salonfähig gewordene antimuslimische Rassismus genutzt. 2007 formulierte das Bundesamt für Verfassungsschutz eine richtungsweisende Selbstermächtigung in der Broschüre „Integration als Extremismus- und Terrorismusprävention“: Ausgehend von der Beobachtung, dass soziale Faktoren wie zum Beispiel „die prekäre Lebenssituation und aggressive oder gewaltbereite Grundeinstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ und „abgeschotteten islamischen Parallelgesellschaften“, kurz: „Integrationsdefizite“, in islamistischen Radikalisierungen eine Rolle spielten, wird Integrationspolitik dort zum Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes erklärt . Auffällig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass für die Existenz von islamischen Parallelgesellschaften keine empirische Grundlage geliefert wird, sondern sich die Broschüre lediglich auf eine ansteigende antimuslimisch rassistische Stimmung bezieht. Deutlich ist dies zu erkennen, wenn beispielsweise geschrieben wird: „Die Medien berichten seit geraumer Zeit regelmäßig von sozialen und ethnischen Konflikten“, oder: „immer häufiger ist in der Öffentlichkeit die Rede von islamischen Parallelgesellschaften“ . Diese Analyse des Verfassungsschutzes ist gleichzeitig Ausdruck und Triebfeder für empirisch nicht klar belegte Zuschreibungen in Bezug auf Muslimas und Muslime in Deutschland.

Ähnlich argumentiert heute zum Beispiel NRW-Innenminister Herbert Reul, wenn er als Legitimation für die gesetzeswidrige Abschiebung eines aufgrund unklarer Kriterien als „Gefährder“ eingestuften Mannes oder die ständigen Razzien in Shisha-Bars das „Rechtsempfinden“ der breiten Bevölkerung anführt – und damit vor allem die rassistische Forderung nach ungleich härteren Maßnahmen gegen Muslima, Muslime und people of colour meint. Was folgt daraus für eine linke Sicht auf antimuslimischen Rassismus und staatliches Handeln? Eine linke, antirassistische Perspektive muss zuvorderst immer wieder darauf hinweisen, dass staatliches Handeln, auch wenn es zeitweise gar als explizit anti-rassistisch kommuniziert wird, zutiefst von rassistischen Mechanismen und Versatzstücken durchzogen ist. Dazu gehört vor allem, verdeckte Rassismen zu offenbaren und sich deutlich von denjenigen, die Rassismen reproduzieren, abzugrenzen. So sollten antirassistische Linke sich weder mit stigmatisierenden, alarmistischen Stimmen, die die ständige Erweiterung von sogenannten Islamismuspräventionsmaßnahmen fordern, gemein machen – unabhängig ob es um mehr Fußfesseln oder mehr Aufklärungsprogramme geht. Noch sollten sie auf die Einhaltung von Neutralität pochen und so in Kauf nehmen, dass sichtbare und im weißen, protestantisch-säkularen, heteronormativen deutschen Diskurs als anders markierte Menschen, wie eben Muslimas und Muslime, im Namen dieser Neutralität, beispeilsweise durch die Verweigerung von Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, diskriminiert werden.

AfD ist nicht allein Schuld


Auch auf eine plakative Agitation ausschließlich gegen die AfD sollte zugunsten einer umfassenden Rassismuskritik verzichtet werden. Denn antimuslimischer Rassismus und Generalverdacht sind keine Schöpfungen von Gauland, Hoecke oder Weidel. Dass antimuslimischer Rassismus in allen politischen Parteien verbeitet ist, zeigte uns unter anderem eindrücklich der Umgang der SPD mit Thilo Sarazzin und das Beispiel der Grünen in Hamburg, welche unliebsam gewordene muslimische Fraktionskolleginnen und -kollegen als „Islamisten“ verunglimpften . Nicht zuletzt die Anfälligkeit einiger Teile der Linkspartei selbst für sogenannte islamkritische, rassistische Sichtweisen auf muslimisches Leben in Deutschland haben eine starke linke Politik gegen antimuslimischen Rassismus lange verhindert. Zu oft galten und gelten in linken Kreisen ausgerechnet diejenigen, die sich um die Unversehrtheit von Muslimas und Muslimen besonders angesichts von Islamismusvorwürfen, Beobachtung durch den Verfassungsschutz und der Verdrängung aus der Öffentlichkeit sorgen, als „Islamismusversteherinnen und Islamismusversteher“.
Besonders bezogen auf das Aufdecken von rassistischem staatlichen Handeln im Zuge der Bekämpfung des sogenannten Islamismus sollten sich Linke deshalb gewahr werden, dass Islamismus ein Konzept ist, mit welchem bewusst die Grenzen zwischen religiöser Praxis, colour und sogenanntem Extremismus verwischt wird. Gerade deshalb müssen wir uns, wollen wir wirklich starke, grundlegende, antirassistische Positionen entwickeln, an einen Grundsatz erinnern: Das Ziel linker Politik ist stets der Schutz aller Menschen vor staatlicher Willkür, Kriminalisierung und Verfolgung – unabhängig von Religiosität und auch unabhängig von politischen Ansichten.

Dieser Kommentar wurde, in leicht veränderter Form, vom Autoren während des von der Linksfraktion des Bundestages organisierten Online-Fachgesprächs „Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland“ am 25.06.2020 verlesen.

Sindyan Qasem ist Sprachwissenschaftler und beforscht diskursive Formationen zu Islam in Deutschland. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht eine hegemoniekritische Betrachtung von Islamismusprävention. Er arbeitete zuletzt für das European Network against Racism an einer Studie zu diskriminierenden Auswirkungen von Terrorabwehr und Präventionsmaßnahmen.

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2 Antworten

  1. Heiliger Strohsack! Was sind denn „Männer of colour“ und „people of colour“ in einem solchen Text?
    Den Rest habe ich mir dann geschenkt.

  2. Mich beschäftigt die Frage, ob auf einem Portal mit dem Titel „Freiheitsliebe“ ein Artikel zur Religionsfreiheit im Islam veröffentlicht werden könnte (die nicht vorhanden ist?), und ob Islamfeindlichkeit auch darin begründet sein könnte, dass islamisch dominierte Staaten im Welt-Friedensindex meistens auf den letzten Plätzen zu finden sind (siehe Buch „Das Religionsparadox“) und der Schutz von Kindern und Frauen vor Gewalt in diesen Ländern sehr niedrig ist? ( Daten von endcorporalpunishment.org und vom Women Peace and Security Index). Nur Mut, sich diesen unangenehmen Themen zu stellen! Liebe Grüße, Andrea

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