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Krieg gegen die Ukraine – ein grundlegender Paradigmenwechsel der deutschen und europäischen Außenpolitik

Nach wie vor tobt der schreckliche völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Russland in der Ukraine. Der damit einhergehende Paradigmenwechsel der Politik in Deutschland und Europa ist enorm. Nicht nur die Sprache ist militaristischer geworden, auch die Aufrüstung nimmt bedrohliche und beängstigende Dimensionen an. Von einigen NATO-Ländern wird gefordert das 2-Prozent-Ziel nicht mehr länger als anzustrebende Größe, sondern als Mindestgrenze festzulegen. Dabei wird das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr als größtes Aufrüstungspaket der Nachkriegsgeschichte die Haushalte der nächsten Jahre massiv belasten. Nach der Lieferung von Marder- und Leopard-Panzern werden jetzt vom stellvertretenden Außenminister Andrij Melnyk Kampfjets und U-Boote gefordert.

Besonders Politiker*innen der Grünen und der FDP scheinen innerhalb der Ampelkoalition keine Grenzen mehr zu kennen. „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen“ (Pistorius), lautet das Credo. Ausgeblendet wird, dass das Leid, die Zahl getöteter und verwunderter Menschen auf beiden Seiten größer wird, je länger der Krieg dauert. Ohne Zweifel verlängern Waffenlieferungen den Krieg. Auch gibt es für die Bevölkerung nichts zu gewinnen, sie wird am Ende die große Leidtragende sein. Das Land wird mehr und mehr zerstört. Deshalb ist es völlig richtig, wenn DIE LINKE weiterhin Waffenlieferungen ablehnt. Wir müssen vielmehr aus der Logik des militaristischen Denkens fast aller Parteien und Medien ausbrechen, für einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen eintreten. Das mit gezielten Sanktionen gegen Oligarchen und den industriell-militärischen Komplex zu verbinden bleibt richtig. Allein Putin zu Verhandlungen aufzufordern ist zu wenig und wenig glaubwürdig, wenn keinerlei wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird.

Ausgeblendet wird von den Bellizisten, dass es sich bei Russland um eine Atommacht handelt und die Gefahr einer Ausdehnung des Krieges oder sogar der Einsatz von Atomwaffen steigt. Wenn Strack-Zimmermann, Hofreiter und andere sagen, dass Russland nur blufft, ist das völlig verantwortungslos. Woher wollen sie das wissen? Einerseits zeichnen sie Putin als Monster, gefährlichen und unberechenbaren Autokraten, andererseits blufft er nur mit seiner Androhung, auch Atomwaffen einzusetzen.

Der Krieg ist auch eine Folge massiver weltweiter hegemonialer Verschiebungen. Welche Konstellation sich dabei herausbilden wird, ist schwer zu sagen. Russland hat bisher seine Kriegsziele nicht erreicht, nämlich in der Ukraine einen größeren Korridor gegenüber dem Westen und der NATO zu schaffen und dauerhaft zu verhindern, dass die Ukraine in die NATO aufgenommen wird. Der Krieg hat erst einmal die NATO gestärkt. Sie erweitert sich – voraussichtlich – durch Finnland und Schweden. Eine neue Blockbildung zeichnet sich ab. Russland wird stärker an die Seite von China, die EU stärker an die Seite der USA gedrängt. Russland hat seine Einnahmen aus den fossilen Energien nicht genutzt, eine Transformation der eigenen Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Es bleibt ein politisch autoritärer und ökonomisch fossiler Oligarchenkapitalismus und eine absteigende Macht. Nicht so China, das einen bisher nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen und große Teile seiner modernen Sektoren transformieren kann. China tritt als neue Weltmacht auf den Plan, ohne jedoch die USA, die weiterhin die größte Militärmacht bleibt, militärisch herausfordern zu können oder auch zu wollen.

Chinas Außenpolitik ist nicht darauf ausgerichtet, eine hegemoniale Vormachtstellung zu erringen, sondern ihre auf weiteres Wachstum ausgerichtete Ökonomie abzusichern. China verfügt nur über einen einzigen Militärstützpunkt in Übersee (in Dschibuti). Das Land rüstet jedoch ebenfalls auf. Die USA wiederum verlagert längst Teile ihres Militärs Richtung China und rüstet weiter auf. Sie gibt ca. dreimal so viel für ihr Militär aus wie als China. Die USA hat jedoch ihre Stellung als alleinige Weltmacht verloren. Sie versucht, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg mittels wirtschaftlicher Sanktionen zu verhindern oder mindestens zu verzögern. Bisher mit wenig Erfolg.

Die EU wird an außenpolitischer Bedeutung verlieren, wenn sie enger an der Seite der USA operiert. Es handelt sich dabei mehr um eine Unterordnung als um ein gleichberechtigtes Bündnis. Die Blockbildung gegen Russland und China wird mit der Erzählung verbunden, dass es um einen Kampf zwischen autoritär geführten Ländern und liberalen Demokratien geht. Diese Erzählung ist wenig glaubwürdig, befinden sich doch in der NATO mit der Türkei, Ungarn und Polen autoritär regierte Länder und ebenso Bündnispartner wie Saudi Arabien, Ägypten oder Katar. Insoweit ist die „feministische“ und „menschenrechtsorientierte“ Außenpolitik von Annalena Baerbock mit einem erheblichen Schuss Heuchelei versehen. Indien und Brasilien als wichtige Schwellenländer haben die Wirtschaftssanktionen nicht mitgemacht und verfolgen eigene Interessen. Indien hat seine Importe von Öl und Gas aus Russland deutlich erhöht.

Das ist eine vorläufig skizzierte Beschreibung der Verschiebungen der hegemonialen Kräfte. Ingar Solty hat dazu einen interessanten Artikel geschrieben (Auf dem Weg in eine neue Blockkonfrontation), in dem er von einer mehrdimensionalen neuen Blockkonfrontation ausgeht, mit einer geschwächten EU. Der Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, Carlo Masala, spricht von einer Weltunordnung. „Die Ausstrahlung des liberaldemokratischen Westens mit dem von ihm maßgeblich geschaffenen internationalen System seit 1945 sinkt beständig. Es bleibt also bei einer Weltordnung, in der die disruptiven (zerstörerischen, BR) Tendenzen zunehmen werden und in der die auf- und absteigenden Mächte sich weiterhin nicht als Manager des internationalen Systems im 21. Jahrhundert verstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kampf um die Vorherrschaft in den kommenden Jahren an Schärfe deutlich zunehmen wird“ (Masala in: Weltunordnung, die globalen Krisen und die Illusionen des Westens, S180). Mit anderen Worten: Die Gefahr von weiteren Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen wird größer.

Wir müssen die Verschiebungen im Hegemonialgefüge analysieren und gleichzeitig einen klaren Standpunkt für Frieden und Abrüstung einnehmen. Dabei wird es auch um eine neue Friedensordnung gehen müssen. Die Position, dass mit Putin nicht verhandelt werden kann, bedeutet im Umkehrschluss: Bevor es keinen Regimechange in Russland gibt, kann kein Waffenstillstandsabkommen und kein Friedensvertrag geschlossen werden. Das ist absurd. Verschwiegen werden darf jedoch auch nicht, dass Putin zurzeit kein Interesse an Verhandlungen zeigt. Beide Seiten erhoffen sich Vorteile auf dem Schlachtfeld. Gleichzeitig sind wir nicht Teil irgendeiner der um Hegemonie streitenden Mächte, im Gegenteil: Wir kritisieren jeden Imperialismus und jede Kriegstreiberei, von wem auch immer sie ausgeht. Dabei lehnen wir es ab, die aggressive Kriegspolitik von Russland zu verharmlosen, zu relativieren oder auszuklammern.

Laut mehreren Befragungsinstituten gibt es eine relative Mehrheit gegen die Lieferung schwerer Waffen und eine absolute Mehrheit, die für die Aufnahme von Verhandlungen plädiert. DIE LINKE kann diesen Positionen eine wichtige Stimme im und außerhalb des Parlamentes verleihen.

Gleichzeitig heißt es wachsam zu sein gegenüber dem Vormarsch von autoritären und nationalistischen Tendenzen, wie auch dem Versuch, die Kosten von Krieg und Aufrüstung dem lohnabhängigen Teil der Bevölkerung aufzubürden. Der linke spanische Aktivist und Buchautor Cedillo sagt dazu: „Es braucht eine Verbindung zwischen Widerstand gegen den Krieg, inklusive Gehorsamsverweigerung, Desertation und Sabotage, mit den gewerkschaftlichen, feministischen, LGBTIQ-, antikolonialen, antifaschistischen und ökologischen Kämpfen, genauso wie mit den Mobilisierungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich.“ Dem kann man nur zustimmen. Dabei würde es auch keine Verwechslungen zwischen links und rechts geben.

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