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Klimawandelbeschleunigungsprogramm

Innerhalb weniger Tage vollzog die Bundesregierung eine, wie die „Welt“ titelt, „Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“. 100 Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr. Mit ihrem Aufrüstungsprogramm beerdigt die sozialdemokratisch-grün-liberale Regierung den Klimaschutz. Statt gesellschaftlich Ressourcen für einen Destruktiv-Sektor wie das Militär zu vergeuden, der besser heute als morgen abgeschafft werden sollte, wären Investitionen in anderen Sektoren dringend erforderlich.

Rüstung = Klimakiller

Was in der ganzen Debatte über Auswirkungen durch das Militär so gut wie gar nicht vorkommt, ist die Frage, welche Auswirkungen militärische Aktivitäten auf das Klima haben. Dabei ist offenkundig: Die Rüstungsindustrie und die Armeen zählen zu den stärksten Treibhausgasemittenten. Die Bundesregierung hat sich bisher nicht bemüht, die klimaschädlichen Emissionen durch das Militär zu erfassen. Es wurde bisher davon ausgegangen, dass die Bundeswehr für ca. ein Millionen Tonnen CO2-Emissionen verantwortlich zeichnet. Dies ist aber sicherlich eine sehr beschönigende Berechnung, wobei die Emissionen der Verwaltung, die ungefähr 50 Prozent der Gesamtemissionen der Bundesverwaltung ausmachen, nicht mitgerechnet wurden. Aber vor allem verursachen die alltäglichen Militärübungen eine Menge an Emissionen. So müssen Pilot:innen regelmäßig Flugstunden absolvieren, Panzer und Schiffe bewegt werden. Ein Panzer verbraucht auf 100 Kilometer 530 Liter Diesel und ein Eurofighter 3,5 Tonnen Treibstoff. 2018 verbrachten die Kampfjets der Bundeswehr 10.480 Stunden in der Luft und verursachten damit 115.280 Tonnen CO2. In den USA geht man davon aus, dass durch die militärischen Aktivitäten 2017 mindestens 80 Millionen Tonnen CO2 emittiert wurden. Jeden Tag wird damit der Klimawandel weiter vorangetrieben, ohne dass es eine Vereinbarung zur Beschränkung militärischer Aktivitäten gibt.

Rolle rückwärts bei der Energieerzeugung

Das 100-Milliarden-Förderungsprogramm für das Militär läuft auf eine Rückwärtsrolle im Klimaschutz hinaus. Die Bundesregierung stülpt sich zwar ein ökologisches Mäntelchen über, ihre konkrete Politik sieht aber ganz anders aus. Sie will das Gas aus Russland durch Flüssiggas aus Katar oder sogar Fracking-Gas aus den USA ersetzen, das nach Aussage von Experten der Deutschen Umwelthilfe (DUH) „fast so klimaschädlich wie Steinkohle“ ist. Sie zieht die Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken in Erwägung. Weil die besonders dreckigen Braunkohlekraftwerke billiger sind, will die Bundesregierung insbesondere bei der Braunkohle den beschlossenen Ausstieg verzögern. Selbst ein Revival der gefährlichsten Form der Energieerzeugung, der Atomenergie, ist kein Tabu mehr.

Gefälligkeitspolitik für Autoindustrie

Die Bundesregierung tut gern, als wolle sie, wo immer es geht, bei den fossilen Energien Einsparungen vornehmen. Im Verkehrssektor ist davon wenig zu erkennen, obwohl es dort zahlreiche einfache und leicht umzusetzende Einsparmöglichkeiten gibt. Durch ein Tempolimit (120 km/h auf Autobahnen, 80 auf Bundesstraßen und Landstraßen) ergäben sich laut Umweltbundesamt (UBA) jährliche Treibhausgasminderungen in Höhe von 5,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten. Durch ein Tempolimit würde zudem die Zahl derjenigen, die im Straßenverkehr getötet werden, um mehr als 150 reduziert. Und das Jahr für Jahr! Es wäre auch an der Zeit, jetzt das Dieselprivileg und die Dienstwagenförderung abzuschaffen.

Es gäbe die Möglichkeit, bei den sogenannten Flottenverbrauchswerten nachzuschärfen. Automobilhersteller können gegenwärtig sehr einfach ihre Flottenbilanz „aufhübschen“. Sie können den hohen Spritverbrauch und CO2-Ausstoß bei PS-Monstern rechnerisch ausgleichen, indem sie auch (teil-)elektrische Autos verkaufen, die in die Flottenbilanz mit sehr niedrigen beziehungsweise gar keinen Emissionen eingehen und derzeit sogar mehrfach gezählt werden. So können Hersteller im Flottendurchschnitt den geltenden Grenzwert von 95 Gramm CO2/km einhalten und trotzdem weiter klimaschädliche SUV-Stadtpanzer und Limousinen mit hohen Gewinnmargen in den Markt drücken. Das ist Klimaschutz nur auf dem Papier. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert stattdessen die Einführung einer Obergrenze für den CO2-Ausstoß jedes neu registrierten Autos in Europa von maximal 120 Gramm CO2/km im realen Fahrbetrieb. Das entspricht einem Verbrauch von etwa fünf Litern Benzin oder 4,5 Litern Diesel pro 100 Kilometer. Einiges ließe sich durch Veränderungen bei der Kfz-Steuer erreichen. Sinn würde eine Kfz-Steuer auf die Erstzulassung machen. So etwas Ähnliches gibt es bereits in Frankreich, wo Neuwagenkäufer bis zu 20.000 Euro zahlen, wenn ihre Wagen besonders umweltschädlich sind.

Grundsätzlich sollte die KfZ Steuer so angelegt sein, dass Fahrzeuge mit hohem CO2-Ausstoß, hohem Gewicht und hoher PS-Zahl auch hoch besteuert werden. Das hätte ökologische Lenkungswirkung. Wer unbedingt meint, einen Diesel- und Benzinstinker oder einen fetten, tonnenschweren SUV spazieren fahren zu müssen, müsste tief in die Tasche greifen. Dass dergleichen für die Bundesregierung tabu ist, hat wohl vor allem damit zu tun, dass insbesondere die deutschen Autokonzerne auf protzige umweltschädliche SUVs und Luxuskarossen setzen, weil bei ihnen die Gewinnmargen deutlich höher sind als bei kleineren Autos. Seit Generationen verstehen sich alle Bundesregierungen bekanntlich als Dienstleister für die deutsche Autoindustrie.

Kerosinsteuer einführen! Kurzstreckenflüge auf die Schiene!

Flugverkehr ist die klimaschädlichste Art des Reisens. Dabei sind Kurzstreckenflüge pro Kilometer noch einmal besonders schädlich, da viel Energie bei Start und Landung verwendet wird. Außerdem sind die Kurzstreckenflüge am ehesten auf die Bahn verlagerbar. Aus klimapolitischen Gründen ist eine deutliche Reduzierung des Flugverkehrs dringend geboten. Natürlich ist es richtig, so wenig wie möglich zu fliegen, und innerdeutsch überhaupt nicht. Eine sinnvolle Maßnahme ist ein Verbot von Inlandsflügen. Ein Inlandsflug hat gegenüber einer Bahnfahrt einen über 100-fach größeren ökologischen Fußabdruck. Mit dem Verbot der Kurzstreckenflüge würden auch weitere Flughafen-Ausbaumaßnahmen obsolet. Stattdessen könnten sogar Flughäfen oder Teile davon renaturiert werden. Zudem würden viele Menschen von dem extrem schädlichen Fluglärm sowie der damit verbundenen Abgasbelastung entlastet. Als Alternative müsste das Bahnnetz ausgebaut und verbessert werden.

Beim Verbrennen von Kerosin entstehen klimaschädliche Abgase, die überwiegend aus Wasserdampf, Kohlendioxid und Stickoxiden bestehen. In den Höhen, in denen sich Flugzeuge bewegen, wirken sich diese Stoffe dreimal – manche Forscher sagen sogar sechsmal – stärker als am Boden aus und verstärken dementsprechend den Treibhauseffekt.

Anders als die Bahn oder das Autofahren ist der Flugverkehr von Kerosinsteuerbefreit und der grenzüberschreitende Flugverkehr auch noch von der Mehrwertsteuer. Damit genießt ausgerechnet der besonders klimaschädliche Flugverkehr ein enormes Steuerprivileg gegenüber allen anderen Verkehrsträgern. Experten empfehlen eine Kerosinsteuer von einem Euro pro Liter. Einen innereuropäischen Flug würde das durchschnittlich um etwa 30 Euro teurer machen.

100 Milliarden Sofortpaket: Für die Schiene, nicht fürs Militär!

Wir brauchen keine 100 Milliarden zusätzlich für Rüstung und Bundeswehr – zumal das Militär bekanntermaßen der größte Klimatreiber der Welt ist! Was wir benötigen, ist zum Beispiel ein 100-Milliarden-Euro-Sofortprogramm für eine Klimabahn und für den öffentlichen Verkehr:

  • Für eine umfassende Elektrifizierung des gesamten Netzes.
  • Für den Ausbau von Dutzenden Strecken von Eingleisigkeit auf Zweigleisigkeit
  • Für ein Sofortprogramm zur Wiedereinführung der Nachtzüge.
  • Für die Wiederinbetriebnahme der rund 6.000 km Bahnstrecken, die in den letzten Jahrzehnten stillgelegt wurden.
  • Für ein Programm zur Revitalisierung von 2.500 Bahnhöfen zu Mobilitäts- und Kommunikationszentren!
  • Für eine deutliche Steigerung des öffentlichen Verkehrs in den Städten und des Schienenverkehrs durch einen modifizierten Deutschland-Takt, für den gilt: Takt vor Tempo!
  • Und nochmals und nochmals und nochmals: Für ein Ende der Betonprojekte wie die Fehmarn-Querung, wie die Zerstörung des Bahnhofs Altona in Hamburg, wie den Bau eines Fernbahntunnels in Frankfurt, wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover–Bielefeld … und natürlich wie Stuttgart 21 nebst all den neuen absurden Tunnel- und Ergänzungsbauten!
  • Notwendig ist stattdessen ein klimaschonender Ausbau der Bahn. Hier ist an erster Stelle der Stopp des Milliardengrabs Stuttgart 21 zu nennen. Eine Modernisierung des Stuttgarter Kopfbahnhofs wäre immer noch bedeutend billiger als der Weiterbau des Tunnelbahnhofs.

Bekanntlich ist der Verkehr mit ca. 20 Prozent für die Produktion der Treibhausgase verantwortlich. Gute Alternativen zum motorisierten Individualverkehr können auch im Autofahrerland Deutschland viele Menschen dazu veranlassen, auf das Auto zu verzichten und auf ökologische Alternativen wie Bahn, Straßenbahnen, Busse und Fahrrad umzusteigen.

Auch in anderen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen, der Industrieproduktion, der Landwirtschaft und für den Wohnungsbau wären ebenfalls eine Reihe von Sofortmaßnahmen nötig und möglich. Die Klimaschutzbewegung ist gefordert, ihre Stimme zu erheben und eigene, für breitere Bevölkerungskreise nachvollziehbare Alternativen zu entwickeln.

IPCC –Bericht: Beschleunigter Klimawandel

Just in diesen Tagen wurde der neue Bericht des Weltklimarats bekannt. Die Wissenschaftler*innen beschreiben, wie Dürren, Überschwemmungen und andere Wetterextreme sich häufen und welchen Schaden sie für Menschen und Ökosysteme bedeuten. Schon heute leiden Milliarden Menschen unter Wassermangel, schlechterer Luftqualität, Nahrungsmittelknappheit und haben Hitzestress.

Der Bericht macht dramatische Auswirkungen des Klimawandels für unseren Planeten deutlich. „Die Auswirkungen des Klimawandels nehmen schnell zu, sie treffen uns früher als erwartet, und sie betreffen mehr Menschen“, erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström. „Die Zeit zum Handeln ist gekommen“, hob auch er hervor.

Umweltverbände sehen den neuen Bericht des Weltklimarats IPCC als Alarmruf auch für die deutsche Politik. Der am Montag veröffentlichte Bericht, den UN-Generalsekretär António Guterres einen „Atlas der Leiden“ nannte, sei „ein flammender Appell an die Bundesregierung, endlich sofort wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen“, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner.

Die Bundessregierung hat offenbar ganz andere Prioritäten – Prioritäten, die für uns katastrophale Folgen haben können. Es wäre verhängnisvoll, wenn die Klimabewegung gegen diesen Wahnsinn nicht die Stimme erheben und die Regierenden einfach gewähren ließe.

Von Paul Michel. Paul arbeitet im „Netzwerk Ökosozialismus“. Ein Beitrag des „Netzwerk Ökosozialismus“ wird sein, eine Reihe von Texten von Autor*innen aus dem englischsprachigen Raum ins Deutsche zu übersetzen und auf der Webseite netzwerk-oekosozialismus.de zugänglich zu machen. Im englischsprachigen Raum (USA, GB, Kanada, Australien) ist die Debatte um Ökosozialismus deutlich weiter entwickelt als in der BRD.

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